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Die Linke macht rüber

Erstellt von Redaktion am Samstag 13. Januar 2018

Im Osten war die Linke immer Volkspartei.

DIE LINKE Bundesparteitag 10. Mai 2014-2.jpg

Aus Karlsruhe, Pirna und Dippoldiswalde Anna Lehmann

Das änderte sich mit der Flüchtlingskrise. Jetzt kommen zwei Drittel ihrer Bundestags-abgeordneten aus dem Westen. Was macht das mit der Partei?

Nimmt ein älterer Herr in der Sprechstunde des Bundestagsabgeordneten André Hahn von der Linkspartei im Wahlkreisbüro in Pirna Platz, einen akkurat gefalteten Zeitungsartikel mit beiden Händen umklammernd, und legt in reinstem Sächsisch los. Ihn täte da mal interessieren, was die Linke zur Flüchtlingspolitik sagt.

Genauso stellt man sich das vor in Sachsen, wo die AfD bei der Bundestagswahl stärkste Partei wurde und die Linke einbrach.

„Wenn jemand bei uns an der Haustür klingelt und um Hilfe bittet“, sagt der Mann, „aber ich merke, dass der lügt, dann sag ich: Nee. Geht nicht.“ Und: „Die Linke stellt sich nu aber vor solche Leute und sagt: Zwangsabschiebungen machen wir nicht.“

Er schaut Hahn fragend an. Hahn kaut an einem Hackepeterbrötchen.

Bisky und Hahn, August 2009 - by Die Linke Sachsen.jpg

Die neuen Bundesländer, sie waren immer eine Hochburg der Linkspartei, noch 2009 stimmten dort knapp 30 Prozent der Wählerinnen für sie. Mittlerweile hat sich der Anteil der Linkenwähler fast halbiert.

Den PDS-Nachfolgern, einst unangefochten zweitstärkste Kraft hinter der CDU, droht im Osten das Schicksal der SPD – eine Existenz als Zehnprozentpartei. Nur ohne Regierungsoption.

Die Genossen wissen, dass die Verluste der Linken im Osten mit der liberalen Haltung der Partei zu Flüchtlingen zusammenhängen. „Zwar gestanden viele Personen ein, die Linke gut zu finden, aber auf Grund der ‚Flüchtlingspolitik‘ ihr Kreuz bei der AfD zu machen“, heißt es in einer parteiinternen Wahlauswertung. Bundesweit wechselten 420.000 Wähler von der Linken zur AfD. Zu keiner anderen Partei wanderten so viele Linkenwähler ab. Im Wahlkampf, berichtet ein Genosse aus Sachsen, musste er sich anhören, die Linke mache ja nur noch Politik für Schwule und Ausländer.

Bundesweit kam die Linkspartei trotzdem auf 9,2 Prozent. Zugewinne im Westen kompensierten die Verluste im Osten. Von der SPD kamen 700.000 Wähler, 330.000 von den Grünen, 590.000 waren ehemalige Nichtwähler. Die Wählerschaft der Linken hat sich verändert. Sie ist jünger, gebildeter und westlicher als früher. Bestand die Bundestagsfraktion bisher zur Hälfte aus Abgeordneten aus dem Osten und dem Westen, kommen nun zwei Drittel aus den alten Bundesländern. Die Ostländer planen, sich zur Landesgruppe Ost zusammenzuschließen, um ihre Interessen besser koordinieren zu können.

Die einstige ostdeutsche Regionalpartei verändert sich im elften Jahr ihrer Gründung gerade gewaltig. In welche Richtung, ist noch nicht ausgemacht. Ähnlich einer Halbwüchsigen, die halb frohlockend, halb unbehaglich in die Pubertät eintritt.

Das neue Gesicht der Linken ist jung. Und unprätentiös. Einen Führerschein besitzt Michel Brandt nicht. Er trägt am liebsten Kapuzenpulli und Turnschuhe. Brandt, Platz 6 der baden-württembergischen Landesliste, hat vor zehn Jahren das Abitur abgebrochen, um über eine Begabtenprüfung seinen Traumberuf zu studieren: Schauspieler. Gerade noch hat er am Badischen Staatstheater den Werther gegeben, jetzt lässt er den Beruf ruhen.

Den Wahlabend verbrachte Brandt mit 170 Linken-Anhängern in einer alternativen Bar in Karlsruhe, wo er gebannt die Hochrechnungen verfolgte. Erst um fünf Uhr morgens war klar: Die Linke in Baden-Württemberg entsendet sechs Abgeordnete in den Bundestag. Brandt war drin. Er bestellte eine Runde Wodka. Dann legte er sich eine Stunde hin, packte seine Sachen und nahm den Zug nach Berlin. Zu seiner ersten Fraktionssitzung.

In seinem Wahlkreisbüro in Karlsruhe lächelt Brandt immer noch, wenn er daran denkt, was sie da gewuppt haben: Die absolute Zahl der Zweitstimmen hat sich gegenüber der letzten Bundestagswahl fast verdoppelt. Wie das ging? Mit einem Verband, der sich im Wahlkampf anschickte, die Linke in Karlsruhe omnipräsent zu machen: Sie standen vormittags vor dem Arbeitsamt, nach Feierabend vor Netto und Alnatura, und gingen nachts zu den Menschen in die Kneipen. Und präsentieren eine klare Haltung in der Flüchtlingspolitik: „Ich habe selbst unterm Bus gelegen und Abschiebungen blockiert. Die Leute wissen, wofür ich stehe“, sagt Brandt.

In Pirna, 600 Kilometer von Karlsruhe entfernt, muss André Hahn seine Haltung in der Flüchtlingspolitik verteidigen. Hahn schluckt das Hackepeterbrötchen herunter und hebt an, sie dem Besucher mit der gefalteten Zeitung zu erläutern. Die Flüchtlinge seien ja nun mal da, und überhaupt: „Mir ist das zu einfach, zu sagen: Raus, raus, raus.“ Seit 1990 habe Sachsen 800.000 Einwohner verloren, „und da sollen wir nicht in der Lage sein, 80.000 Flüchtlinge aufzunehmen?“ Sachsen habe einen Ausländeranteil von knapp 3 Prozent. „Mir fällt es wirklich schwer, zu verstehen, woher eigentlich die Angst vor Überfremdung kommt.“

Hahn kann man sich gut in einem Klassenzimmer vorstellen. In den späten achtziger Jahren studierte er Lehramt für Deutsch und Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität, trat damals auch in die SED ein, die später zur PDS wurde. Seit 2013 ist er Bundestagsabgeordneter, er saß im NSA-Untersuchungsausschuss.

Der Besucher antwortet: „Aber ich kann doch nicht erst Einfluss nehmen, wenn es zu spät ist.“ Er wolle nicht in einem Deutschland leben, in dem 25 Prozent eine andere Herkunft haben. Dass die AfD stärkste Partei geworden sei, gefalle ihm auch nicht. Wen er gewählt hat, verrät er nicht.

Während die Linke mit ihrer „Offene Grenzen für alle“-Haltung die einen verschreckt, zieht sie andere damit an. Kann die Linke die einen Wähler ansprechen, ohne die anderen zu verlieren? Es geht auch um auch die Frage, welche Mi­lieus die Partei bedienen will. „Wir wollen beide – die Bockwurstesser und die Bionadetrinker“, meint Parteichefin Katja Kipping. Aber geht das?

Wenn die Partei über ihren Kurs diskutiert, ist die Lage unübersichtlich geworden. Traditionell verliefen die Konflikte zwischen Ost und West, zwischen Reformern und Fundamentalisten. Sie kreisten um die Frage: Wollen wir mitregieren oder wollen wir strikt opponieren? Immer bereit zum Regieren waren die Genossen im Osten, wo man seit der Wende in Kreis- und Landtagen präsent war. Auf keinen Fall regieren wir, warnten die Genossen im Westen, schon gar nicht mit den Sozen. Denn dann verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit.

Diese Debatten gibt es immer noch, doch die Argumentation verläuft inzwischen anders. Es geht nicht mehr um die Frage „Pragmatismus oder Fundamentalismus“, sondern um die offene oder die geschlossene Gesellschaft. Während Fraktionschefin Sahra Wagenknecht vom linken Flügel für den Sozialismus in nationalen Grenzen kämpft, steht Parteichefin Katja Kipping, die rechts von Wagenknecht als Reformerin verortet wird, für ein klares Bekenntnis zu grenzenloser Bewegungsfreiheit. Kipping wirbt für ein Einwanderungsgesetz, Wagenknecht ist dagegen, Kipping setzt auf mehr Europa, Wagenknecht will weniger. Die Konflikte ziehen sich quer durch die traditionellen Lager, die sich langsam neu sortieren.

Die Frage, vor der die Linkspartei in der kommenden Legislaturperiode steht, ist: Wen sprechen wir eigentlich an? Hipster oder Kleinbürger? Wie stellen wir uns die Gesellschaft von morgen vor? Fordern wir ein bedingungsloses Grundeinkommen oder die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich? Arbeit für alle oder Recht auf Faulheit? Aufbruch oder Verteidigung alter Errungenschaften?

Die Linke Weltpremiere Der junge Karl Marx Berlinale 2017.jpg

Nieten in Nadelstreifen – Letzteres  sorgt für einen aufrechten Gang ?

Wagenknecht hat sich mit ihrem Co-Fraktionschef, dem Reformer Dietmar Bartsch, verbündet, und zwischen Parteichefin Kipping und den zweiten Vorsitzenden Bernd Riexinger, einst vom linken Flügel aufgestellt, passt kein Blatt. Die Atmosphäre unter den Spitzenduos ist angespannt.

Nicht mal einen Monat nach der Bundestagswahl rumst es gewaltig.

Mitte Oktober steigt André Hahn in seinen grauen Audi und Michel Brandt in den ICE. In Potsdam treffen sich die Abgeordneten der neuen Linksfraktion. 27 von 69 sind zum ersten Mal im Bundestag. Brandt und Hahn schütteln sich kurz die Hände, reden ein paar Worte. Bis heute kann der eine über den anderen wenig berichten. Denn die Vorstellungsrunde in dem tanzsaalgroßen Sitzungsraum muss ausfallen. Stattdessen erheben sich nacheinander die beiden Fraktionschefs Bartsch und Wagenknecht und die Parteichefs Kipping und Riexinger und referieren. Es gibt Streit, es geht um die Verteilung der Vorstandsposten, um das Rederecht im Bundestag. Es ist ein Kampf der Parteiführung gegen die Fraktionsführung. Sahra Wagenknecht droht mit ihrem Rücktritt als Fraktionsvorsitzende. Die neuen Abgeordneten halten sich raus. In der Pause bilden sich Grüppchen, sie stehen zusammen und pumpen den Filterkaffee aus den Ther­mos­kannen vor dem Saal. Die Stimmung ist gedrückt.

Quelle     :       TAZ      >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen     :

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Bundesparteitag DIE LINKE Mai 2014 in Berlin, Velodrom

 

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