Die letzte Generation
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 26. Februar 2022
Notwehr gegen die Ritualisierung von Politik
Genau solche Aktionen wurden vor ca. 15 Jahren schon in der Linken eingefordert! Proteste gehören dorthin, wo der Anlass dafür geboren wird. Notfalls auch in Spaziergängen vor den Privathäusern der Banker oder Politiker. Aber eben Gewaltlos.
Von Volkan Agar
Aktivist:innen blockieren Autobahnen und fordern konsequentere Maßnahmen gegen die Klimakrise. Kritisiert werden sie aus allen politischen Lagern. Woher kommt die Einigkeit?
Es gibt einen amüsanten Ausschnitt aus einer Diskussionsveranstaltung im Jahr 2015 mit dem Publizisten Thomas Ebermann. „Ich drehe am Rad“, sagt Ebermann immer wieder. Und das Publikum lacht. Ebermann regt sich über sogenannte fantasievolle Protestaktionen auf. Als Beispiel nennt er Studierende, die in den städtischen Brunnen springen und die Aktion mit dem Spruch rahmen: Die Bildung geht baden. Oder Protestierende, die einen Sarg tragen, auf dem „Gesundheitswesen“ steht. Auch eine Aktion der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“, bei der Aktivist:innen Mitte Februar Mist im Landwirtschaftsministerium ausgeschüttet haben, weil die Politik der Regierung in der Klimakrise eben Mist sei, kann man dazuzählen. Ebermann kritisiert solche Aktionen, die oft damit begründet werden, dass man viele Menschen erreichen möchte. Er nennt sie Selbstinfantilisierung, Selbstverharmlosung und Selbstverblödung. Die Aktivist:innen machten sich nicht nur lächerlich. Sie signalisierten den Kritisierten auch, dass sie letztlich harmlos seien.
Für Aufregung sorgen gerade andere Aktionen von „Aufstand der letzten Generation“. Aktivist:innen blockieren seit Wochen Autobahnen in Deutschland. Sie wollen auf die Dringlichkeit der Klimakrise aufmerksam machen, fordern eine sofortige Agrarwende und ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung. Das „Essen-retten-Gesetz“ soll das Containern entkriminalisieren und Supermärkte verpflichten, Lebensmittel zu spenden, die sie wegschmeißen würden. Ein Ultimatum, das die Aktivist:innen an verantwortliche Politiker:innen gestellt hatten, lief vergangenen Sonntag aus. Deshalb blockierten sie am Montag mehrere Stunden die Köhlbrandbrücke am Hamburger Hafen. Manche haben sich mit Sekundenkleber und Bauschaum an der Brücke festgeklebt und Rapsöl auf die Fahrbahnen gegossen. „Hamburg ist Schauplatz der Zerstörung. Sein Hafen zeigt das todbringende industrielle Weiter-so, während die Auswirkungen der Klimakrise hier bald nicht mehr zu übersehen sein werden“, erklärte die Gruppe. Auch Flughäfen wollen sie bald blockieren.
Für die Blockaden kassieren die jungen Menschen viel Hass und Häme. Nicht nur von betroffenen Autofahrer:innen. Die Welt bezeichnet die Blockaden als narzisstische Nonsens-Aktionen, verglich die Aktivist:innen mit Sekten und stellte ihnen den von Rechtsextremen durchsetzten Trucker-Protest aus Kanada gegenüber, der als Protest für körperliche Selbstbestimmung und berufliche Sicherheit verklärt wurde. Die Bild fragte, ob im Kampf um das Klima eigentlich alles erlaubt sei und empörte sich darüber, dass die Aktivist:innen Leben gefährdeten – als ob die Aktivist:innen durch deutsche Innenstädte marodieren würden, um gezielt Coronamaßnahmen zu brechen und tatsächlich andere gefährden. Erwartbar fielen auch die Reaktionen konservativer bis rechter Politiker aus. „Sie wollen anderen Schaden zufügen“, sagte Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. AfD-Frakionschef Tino Chrupalla stellte fest: „Vergehen sind konsequent zu ahnden.“
Aber auch die, die mit dem Thema Klimakrise an Regierungsmacht gekommen sind, sehen das ähnlich. Mit den Blockaden spielten die Aktivist:innen „den reaktionären Kräften in die Hand, die eben gerade keinen Klimaschutz wollen“, sagte der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, in dessen Bereich die konkrete Forderung der Aktivist:innen fällt. „Ganz wenige“ würden „Mehrheiten für den Klimaschutz gefährden“. Eine Demokratie lasse sich nicht erpressen, so Özdemir, der den Aktivist:innen ein vordemokratisches Politikverständnis attestierte. Drastisch artikulierte sich die Grüne Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin von Hamburg: „Kein Verständnis für Protest mit der Brechstange“. Die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke sah das anders. Aber nur kurz. Sie hatte zivilen Ungehorsam zunächst als „absolut legitim“ bezeichnet – und stimmte später dem FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann zu, der die Blockaden als „rechtswidrig“ kritisierte.
An dieser Stelle ist es hilfreich, auf den politischen Kontext zu blicken, in dem Aktivist:innen in Deutschland Autobahnen blockieren und von führenden Grünen-Politiker:innen als undemokratisch gerügt werden: Denn es sieht gegenwärtig so aus, dass selbst die relativ ambitionierten Klimaziele der Ampelkoalition nicht ausreichen dürften, um das 1,5-Grad-Ziel ernsthaft zu verfolgen. Manche Expert:innen sagen, dass es kaum mehr in Reichweite sei, dass Deutschland einen ausreichenden Beitrag zu dieser Zielsetzung leistet.
Trotzdem kann man dann noch fragen: Was bringt es, Autobahnen zu blockieren?
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
*********************************************************
Grafikquellen :
Oben — Der Aufstand der Letzten Generation blockiert Straße am Hauptbahnhof, Berlin, 28.01.22
*****************************
Unten — Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation verschenken weggeworfene Lebensmittel im Kaufland in der Residenzstraße. Polizei diskutiert mit Aktivisten. Mitte Henning Jeschke, rechts Lina Eichler. Berlin, 08.01.21