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Die Kraft der Zerstörung

Erstellt von Redaktion am Freitag 30. April 2021

Wasserkraftwerk Walchensee in Bayern

Von Ulrike Fokken

Das Walchenseekraftwerk in Bayern erzeugt Energie mit Wasserkraft. Das gilt als klimafreundlich, dabei werden dafür Tiere und Pflanzen verdrängt.

Goldbraun heben sich die Huchen in der Strömung vom Kies im Isar-Bett ab. Sie könnten als rostiger Zaunpfahl durchgehen, wenn nicht dann und wann eine Schwanzflosse aus dem Wasser ragen würde. Zwei Huchen stehen einen halben Meter vom Ufer der Schotterbank am Münchner Flaucher entfernt. Am schmalen Kopf zeichnet sich ein langes Maul ab. Raubtiere.

Da schnellt das 80, 90 Zentimeter lange Huchen-Weibchen um die eigene Achse, zeigt weißen Bauch, peitscht mit der hinteren Körperhälfte den Kies, liegt für einen Moment rücklings im Wasser, schwappt zurück und steht schon wieder ruhig in der Strömung, als das Männchen über dem Kies hoffentlich das macht, was er soll: Die im Kies liegenden Eier besamen.

Die bis zu 1,50 Meter großen Huchen (Hucho hucho) sind mit den Forellen und Lachsen verwandt. Angeln verboten, sie sind vom Aussterben bedroht, auch wenn sie hier mitten in der Millionenstadt München laichen und leben. In ihrem Lebensraum einiger Alpenflüsse auf dem Weg zur Donau fehlen die mit sauerstoffreichem, kaltem Wasser überspülten Kiesflächen. Der Großteil des Wassers aus den Alpen wird wie aus der Isar alle paar Kilometer in Kanälen für Wasserkraftwerke abgeleitet. Der Fluss ist eine Restwasserstrecke, wie Wasserbauingenieure sagen.

Oder die Flüsse werden wie der Lech alle paar Kilometer gestaut und plumpsen dann durch die Turbinen, damit aus der gewonnenen Energie irgendwo Strom wird. Die Huchen, Äschen, Nasen und anderen Fischarten der Alpenflüsse brauchen den Kies. Er ist Brutkammer und Kinderstube der Fischlarven und deren Futter aus Insektenlarven und Kleinkrebsen. Fließt zu wenig Wasser, verklebt ein Schmodder aus Lehm und Pflanzenresten die Lebensritzen der Flusstierchen.

Hoch oben in den Alpen gibt es ein anderes Problem. Den für die Wasserkraft geteilten Alpenflüssen fehlt die Kraft, um Steine und Kiesel zu bewegen. Geschiebe heißen die Schottermengen in natürlichen Alpenflüssen, doch die Isar schiebt am Oberlauf nichts mehr. Der Schotter türmt sich, muss aus dem trockenen Flussbett gebaggert und abtransportiert werden. Die Wasserkraft der Isar fließt in das System des Walchenseekraftwerks.

„Das Walchenseekraftwerk ist eine ältere Dame“, sagt Theodoros Reumschüssel, der Pressesprecher für Wasserkraft bei dem Energieunternehmen Uniper. Er spricht mit Pausen, ist geübt darin, das komplexe Kraftwerkssystem auch Laien verständlich zu machen. Das Kraftwerk gehört Uniper, 2030 läuft die Genehmigung dafür ab, Uniper hat beim Bayerischen Umweltministerium bereits den Weiterbetrieb beantragt. Reum­schüssel hält auch den Kontakt zu den Bürgermeistern entlang der Flüsse, spricht mit den Fischereiverbänden und mit der kommunalen „Notgemeinschaft Rettet die Isar jetzt“. „Eine ältere Dame mit einer weitverzweigten Verwandtschaft“, sagt Reumschüssel und lässt seinen Blick über einen Schaukasten mit dem Walchenseekraftwerk-System schweifen.

Vom Kochelsee schaut er die sechs grünen Rohre des Druckwasser-Kraftwerks hinauf zum Walchensee. Am südlichen Seeufer erhebt sich das Karwendelgebirge, zwischen den 2.500 Meter hohen Bergen für das Spielzeugeisenbahnformat windet sich der Rißbach. Isar und Loisach laufen bis nach Wolfratshausen im Alpenvorland, Streichholz große Strommasten ziehen sich durch die alpenländische Miniaturlandschaft bis in die Münchner Ebene. „Die Verwandtschaft oder das Kraftwerkssystem beginnt am Wehr in Krün“, sagt Reumschüssel, drückt einen Knopf am Schaukasten und eine winzige Lampe leuchtet tief in den Alpen am Stausee einer blau gemalten Isar bei der Ortschaft Krün.

In Krün leitet Uniper den Großteil des Isarwassers in ein Betonkorsett. Hier ist die alte Dame knausrig und lässt seit einem Landtagsbeschluss 1990 drei beziehungsweise 4,8 Kubikmeter Wasser pro Sekunde im Flussbett. Die Wasserverringerung hat die Kilowattstundenausbeute im Walchenseekraftwerk um 50 Millionen kWh im Jahr geschmälert. Doch das der Isar überlassene Restwasser reicht für das natürliche Ökotop am Alpenfluss nicht aus. Lavendel- und Purpurweiden verbuschen die Schotterinseln, Fichten breiten sich in der Au aus, wo Schneeheide und Kiefern wachsen sollten. Es fehlt die Wasserkraft der Zerstörung, die das Ökosystem Alpenfluss ermöglicht. Alpenflüsse wie einst die Isar winden sich durch breite Täler, schieben Steine und Kiesel von den Gletschern hinab, mäandern klar und türkisgrün, schwellen während Regen und der Schneeschmelzen zu schlammigen Strömen, reißen Weidengebüsch von den Ufern und Schotter von ihren Bänken.

Die Flüsse wechseln mit den Hochwassern ihren Lauf, türmen Steine, wo zuvor der Enzian blühte. Die Harmonie der Alpenflüsse liegt in der Zerstörung, erst der ewige Wandel verschafft den an dieses Ökosystem angepassten Tieren und Pflanzen einen sicheren Lebensraum. Noch grünt im kargen Kiesbett der Isar unscheinbar und weltweit einzigartig die Deutsche Tamariske, die sich an Hitze, Dürre und Kälte in den Schotterritzen angepasst hat. Der seltene Flussregenpfeifer brütet auf dem Kies, die Gefleckte Schnarrschrecke hat auf den Geröllhalden der Alpenflüsse ihren letzten Lebensraum in Deutschland.

2030 läuft die Konzession für das Walchenseekraftwerkssystem ab. „Voraussetzung für eine neue Zulassung ist, dass die Belange der Wasserrahmenrichtlinie im wasserrechtlichen Verfahren angemessen berücksichtigt werden“, schreibt das Bayerische Umweltministerium auf Anfrage. Bislang vernachlässigt der Freistaat die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie rund um das Walchenseekraftwerk. Die Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass Flüsse in „gutem ökologischenZustand“ sein müssen. Späteste Frist ist 2027. Das Umweltministerium will sich diese Zeit nehmen.

Alle Bundesländer müssen die Wasserrahmenrichtlinie umsetzen. Sie soll vor allem den Lebensraum von Fischen wieder herstellen. An Tausenden Flüssen mit kleiner Wasserkraft tut sich die Bayerische Landesregierung bislang schwer, dem Druck der Wasserkraftlobbyisten zu widerstehen. So verschleppt das Bayerische Umweltministerium seit 2017 einen Mindestwasserleitfaden, der das ökologisch notwendige Restwasser in Zeiten des Klimawandels in den Flüssen regelt. Rund 4000 der 4268 Wasserkraftanlagen an den bayerischen Flüssen und Bächen sind so klein, dass sie zusammen nicht mehr als 9 Prozent des bayerischen Stroms aus Wasserkraft erzeugen.

Die Betreiber der Kleinwasserkraftanlagen sind politisch bestens vernetzt. Die Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein (seit dem Corona-Maskenskandal nicht mehr in der CSU) und Peter Ramsauer (CSU) haben „stets ein offenes Ohr für die Anliegen von uns Wasserkraftwerksbetreibern“, schreibt der Verband der Bayerischen Wasserkraftwerke in einem Rundschreiben Anfang 2021. Er dankt den beiden CSU-Lobbyisten, dass sie im Dezember 2020 dafür sorgten, dass die Kleinwasserkraftbetreiber nach der Novelle des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes 3 Cent mehr pro Kilowattstunde aus der Staatskasse erhalten.

Quelle        :       TAZ          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben     —     Blick vom Kochelsee auf das Kraftwerk

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