Die Katholische Kirche
Erstellt von Redaktion am Samstag 20. März 2021
Schuld und Sühne
Jeden Tierchen sein Pläsierchen – auf jeden Pott passt auch ein Gott.
Eine Kolumne von Thomas Fischer
Die Erzdiözese Köln hat das lang erwartete Gutachten veröffentlicht. Dass es der Christenheit wirklich wichtig ist, was drinsteht, erscheint fraglich. Und vor allem: Was kommt nach der Empörung?
Opfer?
Wie fast alle Religionen hat auch die christliche eine innige Verbindung zum Opfern. Zuvor war schon das Alte Testament, wie dem einen oder anderen vielleicht noch geläufig sein mag, voll von Opfern, Opfergaben, Opferaltären, Bitt-, Dank-, Sühne- und Reinigungsopfern. Schon dem Stammvater Abraham musste, als er in fremdschädigender Verzückung seinen eigenen Sohn zu schlachten und zu opfern anhub, sein Gott mit einem Wunder in den Arm fallen.
Seither ist unendlich viel geopfert, aber im Ergebnis recht wenig damit gewonnen worden, sollte man meinen, wenn man einmal von den Märtyrern absieht, die sich zum Zwecke des Zeichengebens selbst opfern. Das will heute natürlich hierzulande niemand mehr ernsthaft, und wer immer auf der weiten Welt solche Gedanken hat oder zu ihrer Verwirklichung ansetzt, gilt uns Alten und Jungen als verrückt, mindestens als hochgefährlich, meist beides zugleich.
Deshalb warte ich, ehrlich gesagt, schon seit Längerem darauf, dass einmal eine der an der Spitze der Opferbewegung marschierenden Personen auf die Idee kommt, ein wenig etymologische Forschung zu betreiben, bevor sie andere Menschen und besonders gern sich selbst als permanentes »Opfer« von irgendwas und irgendwem bezeichnet und wieder andere wahllos der Missachtung dieses Opferseins bezichtigt. Leider tut sich in dieser Richtung gar nichts, sodass die Welt und ich weiter unter den sprachlichen Springfluten der Opferung leiden müssen. Wäre es nicht an der Zeit, einmal zu fragen, ob die Bezeichnung als »Opfer« nicht die Würde-Identität des selbstbestimmten Individuums tangiert?
Für den Fall, dass Sie, verehrte Leser, sich die Frage stellen, warum ich dies mitteile: In Köln hat der dortige Erzbischof und Kardinal das seit Monaten über alle Maßen herbeigesehnte »weitere Gutachten« über die »Aufarbeitung« von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker in der Erzdiözese Köln veröffentlicht. Noch am vergangenen Wochenende durften wir in einer großen deutschen Tageszeitung ein weiteres ganzseitiges Werk über die verzweifelte Lage des Amtsgerichts Köln angesichts der langen Schlangen kirchensteuerzahlungsunwilliger Katholiken lesen, bebildert mit dem üblichen Konterfei des schuldigen Erzbischofs und angereichert mit allerlei Untergangsgemurmel des vielleicht frommen Autors. Auch zahllose andere große und kleine Pressemedien haben sich nicht lumpen lassen und berichten mehrmals täglich über den Stand des tsunamistischen Abfalls von der Heiligen Römischen Kirche, besonders in Köln und um Köln herum.
Täter?
Am Donnerstagvormittag wurde das hoffnungsvolle Herbeirufen eines endgültigen, katastrophalen Zusammenbruchs des zentral organisierten Christentums kurz unterbrochen von der Meldung: »In Köln hat Kardinal Woelki erste personelle Konsequenzen gezogen«. Oha! Herr Woelki hat »Konsequenzen gezogen«! Hat er sich, auf den Knien rutschend, auf den Weg nach Rom gemacht? Lässt er sich nach Limburg versetzen? Geht er in Frühpension, »tritt er zurück«? Nichts von alledem: Er hat vorerst mal zwei Personen von ihren Dienstaufgaben entbunden. Bei der Polizei im Krimi heißt das: Marke und Waffe abgeben, »suspendiert«. Später wird alles wieder gut.
Der Gutachter, Rechtsanwalt Prof. Dr. Gercke, hat pünktlich sein Gutachten vorgelegt; zugleich wurde es der Staatsanwaltschaft zur gegebenenfalls weiteren Veranlassung übersandt. Die Christenheit und der Chefredakteur von »Bild« mussten sage und schreibe drei Monate warten: Eternitas Ecclesiae!
Aus dem Gutachten ergibt sich, dass zwischen 1975 und 2018 nach den zur Verfügung stehenden Akten insgesamt 314 Personen – meist Jungen unter 14 Jahren – durch Straftaten des sexuellen Missbrauchs geschädigt wurden; die Anzahl der Tatverdächtigen liegt bei etwa 220. Natürlich lässt es sich kein Medium entgehen, die Taten allesamt »sexualisierte Gewalt« zu nennen, wie es heute üblich ist, wenn man zeigen will, dass man sich auf der Höhe der sprachlichen Sensibilität bewegt. Ob die »Gewalt« tatsächlich ist oder war, was die Menschheit seit mindestens 2000 Jahren »Gewalt« nennt, ist dabei gleichgültig. Wie es der deutsche Strafgesetzgeber kürzlich in unnachahmlicher Treuherzigkeit formulierte: Der Begriff »sexualisierte Gewalt« umfasst ab sofort auch Handlungen ohne Gewalt. Er wird verwendet, um gewaltloses (!) Missbrauchsverhalten zu »brandmarken«. Gesetz, Medien und Wissenschaft, Arm in Arm mit der Waschmittelwerbung. Am Anfang, so sagt uns das Buch der Bücher, war das Wort. Vermutlich wird es auch am Ende sein.
Bevor jetzt wieder ein Geschrei über die »Verharmlosung« anfängt: keine Angst, Leser und Bürger! Der Kolumnist ist ganz und gar gegen den Missbrauch von Abhängigkeit und Macht aus sexuellen Motiven. Er bedauert jede einzelne Person, die durch solche Taten in ihrer sexuellen Selbstbestimmung verletzt, in ihrem Vertrauen in die Welt verstört, in ihrem Lebensweg behindert wurde. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle Verletzten gleich stark verletzt sind und gleich viel erlitten haben. Es gibt Unterschiede beim Schmerz der Verletzten wie bei der Schuld der Täter. Wer das nicht sehen will oder kann, gibt sich einem Fanatismus hin, der niemandem nützt, am wenigsten den Geschädigten.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Deutsch: Pressekonferenz zur Ernennung von Rainer Maria Kardinal Woelki zum Erzbischof von Köln
Foto: Rainer Maria Kardinal Woelki
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Unten — Thomas Fischer auf der re:publica 2016
Ot – Eigenes Werk
Thomas Fischer (Jurist)
CC-BY-SA 4.0
File:Thomas Fischer-Jurist-rebuliva16.JPG
Erstellt: 4. Mai 2016
Erstellt am Samstag 20. März 2021 um 12:31 und abgelegt unter International, Justiz-Kommentare, Kriegspolitik, Religionen. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.