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Die kaputte Welt der Wikinger

Erstellt von Redaktion am Freitag 26. September 2014

Museales in schwieriger Zeit

Autor: Botho Cude

Rationalgalerie

Datum: 25. September 2014

Da fanden sie Halfdan Hochbein, und Einar ließ ihm einen „Adler“ auf den Rücken schneiden mit dem Schwerte und alle Rippen von dem Rückgrat ablösen und die Lunge dort herausziehen, und er gab sie Odin zum Siege für sich.
Die Geschichte von Jarl Thorfinn dem Mächtigen /1/

Ein Jahrtausend lang galten die Wikinger als die Geißel des frühen Mittelalters. Ihre Blütezeit rechnen die Mediävisten etwa vom Jahr 800 bis 1050. Die Bezeichnung „Wikinger“ entstammt dem Altnordischen und bedeutet schlicht Pirat. Die Etymologie des Worts ist nicht abschließend geklärt, hat aber wohl mit der Seefahrt zu tun. Die von den Zeitgenossen als Wikinger, Normannen und Waräger bezeichneten Völkerschaften entstammen dem heutigen Norwegen, Schweden und Dänemark. Sie besiedelten die Inseln des Nordatlantiks, darunter Island und Grönland, die Küsten von Nord- und Ostsee, und errichteten Reiche in Skandinavien, England, Irland, Nordfrankreich und Russland.

Die Wikinger führten ein schlichtes Dasein, das in heutigen Comics und Zeichentrickfilmen pädagogisch verzeichnet wird. Anders als Orm der Wikinger, Hägar der Schreckliche und die rote Vicki vermuten lassen, spielten Kinder nicht die Hauptrolle. Der typische Wikinger verbrachte den Winter daheim, erzählte am Herdfeuer blutrünstige Seeräuberpistolen, schwängerte sein Weib und traf sich im Frühling mit den Spießgesellen, um den nächsten Beutezug auszubaldowern. Dann ließen die Mannen die Langboote zu Wasser und verwüsteten die Küsten der umliegenden Meere. Die emanzipierte Wikingerfrau kümmerte sich im Sommer um Haus und Hof. Ihr oblag die Kindererziehung, das Durchprügeln der Sklaven und die Ernte. So erklären sich die hoch gewachsenen Schwedinnen, wie wir sie von der Popgruppe Abba kennen und vielleicht die Erfindung der Plateausohle in den 70ern, die den Mitteleuropäer endlich auf Augenhöhe brachte.

Zurück zum frühen Mittelalter, das nicht umsonst das dunkle genannt wird, denn es war eine finstere gewalttätige Zeit. Die Historiker haben nach nunmehr 1000 Jahren festgestellt, dass den Wikingern „eine negative Konnotation“ anhaftet. /2/ Da schien es höchste Zeit für eine Präsentation, die diese kriegerischen Horden aufwertet. Das Dänische Nationalmuseum in Kopenhagen, das London British Museum und das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin haben sich zusammengetan und eine sehenswerte Ausstellung organisiert, zu der zahlreiche Museen Europas Objekte beigesteuert haben. Nur Island fehlt. Vermutlich fehlte einfach das Geld, denn in der Einleitung zum Katalog spricht Matthias Wemhoff, der Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, von Finanzierung mit Eigenmitteln „in schwieriger Zeit“. /3/
Jetzt ist die Wanderausstellung in Berlin im Martin-Gropius-Bau angekommen. Sie ist imposant und kindgerecht, und sie zeigt die Wikinger ein wenig von der Schokoladenseite.

Das Sahnestück unter den Exponaten ist das Roskilde-Schiff 6 aus der Zeit Knuts des Großen. Es maß einst 37 m und ist damit das größte je gefundene Langschiff der Wikinger. Solche „Wogenwölfe“ (altisländisches Kenningar für Schiffe) waren in der Wikingerzeit das, was heute die Flugzeugträger für die NATO sind. Die Roskilde 6 besteht aus den komplett erhaltenen Kielbalken und lädierten Planken und Spanten, die in eine moderne Stahlgitterkonstruktion gebettet sind. Ein begehbarer hölzerner Nachbau wäre bestimmt aufregender gewesen, aber kaum zu transportieren.
Der monumentale Runenstein des Königs Harald Blauzahn, entstanden um 965 und fast 2 ½ m hoch, ist aus gleichem Grund als bunt bemalte Pappmaché-Replik zu bewundern. Der „Taufstein Dänemarks“ trägt die Inschrift: König Harald ließ diese kumbl [Denkmäler] machen nach Gorm, seinem Vater, und Thyra, seiner Mutter, jener Harald, der für sich gewann ganz Dänemark und Norwegen und der die Dänen zu Christen machte. /4/

Die Hauptmasse der Ausstellungsstücke entstammt Bodenfunden. Emsige Archäologen haben durch Grabraub die Museen mit Gürtelschnallen, Gewandfibeln und Schmuck gefüllt. Und weil der Wikinger seinem Nachbarn nicht trauen durfte, wenn er auf große Fahrt ging, graben Schatzsucher heute noch Hortfunde aus. Diese Preziosen machen ein Gutteil der Exponate aus. Der Kunstsinn der Wikinger lässt sich daraus erahnen, wie sie in der Fremde erbeutetes Geschmeide mit Vorliebe zu Hacksilber verarbeiteten, das sich so besser aufteilen und transportieren ließ. Kriegszüge, aber auch der Handel mit Beute und blonden Sklaven trieben die Wikinger bis Konstantinopel und brachten sie mit den Arabern in Verbindung. Daher könnten sie als erste das Schachspiel nach Europa gebracht haben. Dem berühmten Lewis-Schachfigurenfund entstammen drei aus Walrosselfenbein geschnitzte „Schildbeißer“ in der Ausstellung, eine späte Reminiszenz an die Berserker der Sage.

Ein ganzer Raum ist dem Handwerkszeug des Wikingers gewidmet. In raffiniert gestellten Vitrinen, die den Betrachter zum Mäandern nötigen, werden reichlich rostzerfressene Mordinstrumente präsentiert, Axtköpfe, Lanzenspitzen und Ulfbhert-Schwerter. Diese gemarkten Klingen waren übrigens Importe aus dem Frankenreich. Sie galten als die Rolex unter den Schwertern und wurden gern gefälscht.

Für den deutschen Katalog haben Bundespräsident Gauck und Ihre Majestät Königin Margarethe von Dänemark Geleitworte geliefert. Er krönt seine gewundene Würdigung mit „einem großen europäischen Traum“, sie schätzt die Wikinger als Seefahrer, Bootsbauer und Gründer des Königreichs Dänemark. Die Queen hat very british auf jegliches Statement verzichtet. Im Vorwort klopfen sich die Museumsdirektoren ordentlich auf die Schulter und sprechen von kulturellen Wechselwirkungen.
Der Katalog selbst präsentiert sich als eine Kulturgeschichte der Wikinger. Die Ausstellungsstücke werden fünf Themenkomplexen zugeordnet: Kontakte und Austausch, Krieg und Eroberung, Macht und Herrschaft, Glaube und Ritual, Die Schiffe der Wikinger. Die prachtvolle Bebilderung wurde um mittelalterliche Buchillustrationen und Fotomaterial zu Landschaft, Architektur und Grabungen vermehrt. Dagegen kommen die historischen Ereignisse im Begleittext etwas zu kurz.
So wird die Staatengründung der Waräger in Russland sehr stiefmütterlich behandelt, obwohl dortige Museen köstliche Exponate geliefert haben. Seltsam wirkt die Marginalisierung Islands, das anscheinend nichts zur Ausstellung beigesteuert hat. Schließlich verdanken wir den Isländern einen Großteil der schriftlichen Überlieferung der Wikingerzeit. Im Katalog wird immerhin erwähnt, dass DNA-Untersuchungen für die männlichen Isländer skandinavische, für die Frauen dagegen irische Herkunft belegen. /5/ Das Geschehen ist aus den isländischen Sagas längst bekannt.

Auf eine „Ehrenrettung“ der Wikinger als Händler, Kulturbringer und Staatengründer lässt sich gut verzichten. Sie stellt den untauglichen Versuch dar, heutige ethische Maßstäbe auf längst vergangene Zeiten zu übertragen. Die alten Haudegen wären in brüllendes Gelächter ausgebrochen, wenn man ihnen auf ihren Zügen die Verbreitung von Kultur und Verbindung der Völker durch Handel unterstellt hätte. Es trieb sie schlicht und einfach die Gier, ein Motiv, das uns bekannt vorkommt.

Anmerkungen
/1/ Die Geschichten von den Orkaden, Dänemark und der Jomsburg (Sammlung Thule, Bd. 19), Diederichs, Jena 1924, S. 27
/2/ DIE WIKINGER (Ausstellungskatalog der Staatlichen Musen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz), Hirmer, München 2014, S. 80
/3/ ebenda, S. 11
/4/ ebenda, S.158
/5/ ebenda, S. 50

DIE WIKINGER Ausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte im Martin-Gropius-Bau in Berlin (bis 4. 1. 2015)

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Fotoquelle: Wikipedia – Urheber Steen Weile, Notmark, Denmark

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