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Die Grünen ohne Söder

Erstellt von Redaktion am Samstag 4. August 2018

Die Kämpferin und ihr Co

Datei:Katharina Schulze im Bayerischen Landtag.jpg

Aus München Dominik Baur

In Bayern liegen die Grünen bei bis zu 16 Prozent. Sie sind zweitstärkste Kraft. Doch Schwarz-Grün ist unter dem nach rechts gedrifteten Markus Söder keine Option, finden Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. Das grüne Spitzenduo arbeitet nun auf das scheinbar Unmögliche hin: eine Regierung ohne Söder.

Der Tag, den Ludwig Hartmann als einen der aufregendsten in seinem politischen Leben bezeichnet, beginnt um fünf Uhr. Eigentlich hatte der Grünen-Politiker den Wecker auf halb sechs gestellt, doch dann konnte er nicht mehr schlafen. Zweieinhalb Jahre hat er auf das Volksbegehren hingearbeitet, über das an diesem 17. Juli entschieden wird. „Betonflut eindämmen – damit Bayern Heimat bleibt“, heißt es und soll den Flächenfraß in Bayern auf fünf Hektar pro Tag begrenzen. Derzeit werden noch mehr als zehn Hektar täglich zubetoniert, im Jahr eine Fläche so groß wie der Ammersee.

Um 7.20 Uhr steht Hartmann in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs an einer Fußgängerampel. Gegenüber, beim Bayerischen Rundfunk, hat er gleich einen Termin, wird in der Sendung „Radiowelt am Morgen“ seine Pläne erklären, sagen, dass die Betonflut Wahlkampfthema bleibt – mit oder ohne Volksbegehren. „Alle warten auf Grün“, ruft Hartmann in den verschlafenen Sommermorgen hinein. Ein Passant lacht. Dann schaltet die Ampel auf Grün.

Am 14. Oktober wählen die Bayern einen neuen Landtag. Für Hartmanns Grüne könnte es derzeit kaum besser laufen: Mit 16 Prozent haben sie sich im letzten „Bayerntrend“ des Bayerischen Rundfunks deutlich von SPD und AfD abgesetzt. Sie profitieren auch von der Aufbruchstimmung rund um Robert Habeck und Annalena Baerbock, die neue Parteispitze in Berlin.

Die effektivste Unterstützung aber erhalten die Grünen im Moment von der CSU. Längst haben sich die Konservativen mit ihrem asylfeindlichen und antieuropäischen Kurs aus der politischen Mitte zurückgezogen, haben dort Wählerpotenzial freigegeben. Die CSU kommt in der Umfrage gerade noch auf 38 Prozent – das sind fast zehn Prozentpunkte weniger als bei der Landtagswahl 2013.

Um die enttäuschten ehemaligen CSU-Wähler streiten auch Sozialdemokraten, Freie Wähler und die FDP. Doch gerade auf dem Land haben zumindest SPD und FDP in Bayern wenig zu melden. Für die Grünen indes gibt es dort viel zu gewinnen. Noch nie ist die Partei einer Regierungsbeteiligung in Bayern so nahe gekommen. Und doch gibt es da ein Problem, ein geradezu existenzielles. Es heißt Markus Söder.

Die CSU ist in Bayern der einzig denkbare Ko­alitionspartner, ihr Kandidat aber ist der, über den Hartmann sagt: „Der ist ja nicht nach rechts außen abgedriftet, der ist ja förmlich gesprungen.“ Ludwig Hartmann hat gerade seinen 40. Geburtstag gefeiert. Seit 24 Jahren ist er Grüner. Er hätte schon sehr rebellisch sein müssen, um bei einer anderen Partei zu landen – angesichts einer solchen familiären Vorbelastung: Seine Tante Ruth Paulig, eine der Gründerinnen der bayerischen Grünen, war selbst schon Fraktions- und Parteichefin. Seine inzwischen verstorbene Mutter war eine Größe in der Kommunalpolitik in Landsberg am Lech. Die halbe Grünen-Fraktion im Stadtrat heißt noch heute Hartmann: der Vater, der Bruder, er selbst.

Einst setzte er sich in seiner Heimatstadt für eine Skateboardanlage und legale Flächen für Graffitisprayer ein, darüber kam er in die Kommunalpolitik, dann studierte er Kommunikations­design. Seit 2008 saß er im Landtag, 2012 scheiterte er nur knapp in der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters von Landsberg. Seit 2013 ist er Fraktionsvorsitzender, jetzt auch Spitzenkandidat seiner Partei. Hartmann steht für grüne Klassiker wie die Energiewende, die giftfreie Landwirtschaft oder eben den Kampf gegen den Flächenfraß. Als „Vordenker“ hat ihn jüngst die ­Mittelbayerische Zeitung tituliert. Das hat ihm gefallen. Er sagt: „Ich sehe mich als kreativen Ideen­geber.“ Doch Hartmann ist nur die eine Hälfte vom Duo.

Datei:Ludwig Hartmann im Interview.jpg

Bayerischer Landtag, Südbau, fünfter Stock. An der Bürotür von Katharina Schulze, der anderen Hälfte des Spitzenduos, zeigt eine Arbeiterin Faust und Muskeln. Darüber der Satz: „We Can Do It“. Das bekannte Plakatmotiv stammt aus dem Jahr 1943, es sollte die Moral amerikanischer Arbeiterinnen während des Krieges hochhalten. In den 1980ern wurde es von Feministinnen wiederentdeckt.

Als sie nach ihrer Wahl zur Fraktionsvorsitzenden ihr neues Büro bezog, hat Schulze das Plakat mitgenommen. Eines, erzählt sie, das hätten ihr die Eltern schon früh mit auf den Weg gegeben: „Hör auf rumzujammern! Wenn dich was stört, schau, dass du’s ändern kannst.“ Schon in der Grundschule war Katharina Klassensprecherin. „Mit dem Kai, das weiß ich noch.“ Doppelspitze kann sie.

Seit Anfang 2017 sitzt Schulze mit Hartmann nun an der Spitze der Fraktion, die vorige Chefin Margarete Bause zog es in den Bundestag. Zuvor war Schulze bereits stellvertretende Fraktionsvorsitzende und saß im Innenausschuss. „Grün, Frau, jung und macht Innenpolitik. Am Anfang wurde ich schon komisch beäugt“, erzählt sie. Es sind die harten Themen, auf die sie sich fokussiert hat. Und doch gilt gerade sie als die Gute-Laune-Frau der Partei. „Es ist doch schlimm, wenn du immer nur hörst, was angeblich nicht läuft. Es gibt doch viel, was wirklich klappt“, sagt sie. Und lacht. Schulze lacht viel. Eigentlich fast immer. Sie sei Optimistin, sagt sie.

Wenn sie spricht, sind ihre Hände in ständiger Bewegung, kehren immer mal wieder zur Brust zurück, Hand aufs Herz, um dann wieder auszuschwärmen und die Lufthoheit über dem Tisch zu sichern. Eskortiert wird ihre Körpersprache von einem nicht zu stoppenden Redeschwall. Es fliegen Vokabeln wie „super“, „toll“, „mega“, „krass“, „crazy“ durch den Raum. So viel Jugendlichkeit ist gewöhnungsbedürftig im bayerischen Landtag – und wirkt doch auf manche ansteckend.

Im Netz, im Parlament, auf der Straße – Katharina Schulze ist dieser Tage allgegenwärtig. Schon vor ihrem Wechsel an die Fraktionsspitze verschickte sie mindestens eine Pressemitteilung pro Woche, sie ist die erste YouTuberin des Landtags, auf Twitter – nach Ministerpräsident Markus Söder – die Aktivste. Die Regierung bombardiert sie mit schriftlichen Anfragen, in denen es um Bürgerbeteiligung, Datenschutz, Reichsbürger, Polizeischulungen oder Tierschutz geht.

Quelle      :       TAZ         >>>>>       weiterlesen

Grafikquellen     :

Oben     —       Katharina Schulze am Redepult im Plenum des Bayerischen Landtags. Foto: Andreas Gregor

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Namensnennung: Andreas Gregor

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Unten     —        Ludwig Hartmann im Interview

Quelle Eigenes Werk
Urheber Andreasgregor

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