Die Grüne Zukunft ?
Erstellt von Redaktion am Sonntag 12. Januar 2020
Schluss mit Dagegengeschwätz
Von Peter Unfried
Wenn die Grünen es wirklich ernst meinen mit der Politik für das Ganze, dann müssen sie jetzt aufs Kanzleramt zielen.
ie Wahl von Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg im Frühjahr 2011 ist der historische Moment, der die Grünen fundamental verändert hat. Sosehr sich manche von ihnen auch noch jahrelang dagegenstemmten.
Es war eine zufällige Konstellation der Geschichte, die sie aus ihrer bequemen Minderheiten- und Besserwisserposition herauskatapultierte und zwang, Verantwortung für das Große und Ganze zu übernehmen. Dafür sind sie vor 40 Jahren nicht gegründet worden, aber das ist jetzt ihre Chance und Verpflichtung, angesichts der gravierenden politischen Lücke in der erodierenden Volksparteienlandschaft.
Unsere alte Privilegierten-Erzählung der liberalen Moderne mit ihrem linearen und scheinbar unendlichen Fortschritt an Wohlstand, Freiheit, Gerechtigkeit und Emanzipation ist zu Ende. Zum einen wurde das Versprechen der sozialen Gerechtigkeit auch in reichen Gesellschaften nicht eingelöst, zum anderen wird langsam durch die Klimakrise klar: Die Welt ist zu klein für diesen an fossiles Wirtschaftswachstum gekoppelten Fortschrittsgedanken. Alles hängt zusammen und auch unsere emanzipatorischen Fortschritte und der Freiheitsgewinn des Einzelnen werden fossil angetrieben. Das nächste große Ding ist die Moderation der Angleichung von globalen Lebensverhältnissen bei gleichzeitiger Bewahrung der Lebensgrundlagen aller. Das geht nicht dadurch, dass die SPD das fossil Erwirtschaftete etwas anders verteilt oder die Union sich ein Fossil als Kanzlerkandidat wählt. Es braucht eine zügige Transformation ins Postfossile.
Ich verzichte auf den handelsüblich-romantischen Rückblick auf die grüne Geschichte. Erstens übernehmen sie das selbst. Zweitens ist es nicht angebracht.
So weitsichtig die Grünen und die sie tragenden Milieus mit ihrem frühen Insistieren auf die sozialökologische Herausforderung waren, so verbohrt und realitätsfeindlich waren sie bei der Bearbeitung. Das meint: die Ablehnung der Politik als Profession und Handwerk, die Liebe zu absoluten Ansprüchen und das Desinteresse an parlamentarischen Mehrheiten. Die Unfähigkeit, realitätsnotwendige Positionen zu Nato und Militäreinsätzen zu klären, was zur Schocktherapie in Regierungsverantwortung führte. Die Ablehnung der EU und des Maastrichter Vertrages als neoliberales Monster und das späte Engagement für die europäische Idee in ihrer konkreten Form als EU. Die Skepsis gegenüber einem wiedervereinigten Deutschland und den kulturellen Werten vieler Ostdeutscher.
Die ideologischen Bremsen waren allgegenwärtig, und wenn man unter großem Gestöhn eine gelöst hatte, dann war schon die nächste da. Für diese Selbstfixierung, „Strömungsdiskussionen“ genannt, wurden riesige Mengen an Energie verbraucht, unter anderem zur internen Hassproduktion. „Man hätte allein mit dieser Energie drei Atomkraftwerke ersetzen können“, sagt der langjährige grüne EU-Fraktionsvorsitzende Daniel Cohn-Bendit.
Das Problem der Grünen und großer Teile der linken, emanzipatorischen Milieus war das Verwechseln von Kultur und Politik. Diese grüne Kultur ging weit über die Partei hinaus und ist eine Fortsetzung der 68er-Gegenkultur. Ihr politischer Kern besteht im Proklamieren berechtigter Ansprüche diskriminierter Minderheiten und der eigenen Haltung als höherer Wahrheit. Als habitueller Sprech- und Identitätsentwurf läuft das auf eine Abspaltung von der Mehrheitsgesellschaft hinaus, einem vermeintlich moralisch minderwertigen Mainstream.
Vereinfacht gesagt: Die von grüner Kultur geprägten Leute, zu denen ich auch gehörte, dachten zu lange, dass sie „die Welt“ mit Woodstock, Wohngemeinschaften, alternativer Mikroökonomie und Dagegengeschwätz verändern. Sie hatten nicht kapiert, was Politik eigentlich ist. Die Vorstellung, sich mit anderstickenden Teilen der Gesellschaft auf etwas Gemeinsames zu verständigen und sich dafür arbeitend in der Realität die Hände schmutzig zu machen, ist für Hardcore-Vertreter der grünen Kultur heute noch ästhetisch unerträglich. Das belegt die anhaltende Wut und Enttäuschung klassischer Kulturlinker über einen grünen Ministerpräsidenten, der von 30 Prozent gewählt wurde und für alle Politik machen muss und will.
Das Verwechseln von Kultur und Politik führte zum maximalen Desaster der Post-68er-Teilgesellschaft: die Fehleinschätzung der rot-grünen Jahre 1998 bis 2005 und das Wegschenken des Jahrzehnts danach durch diejenigen, die rot-grün gewählt hatten. Vizekanzler Joschka Fischer und die Regierungsgrünen wurschelten viel rum, zeigten aber auch, dass man unter den schwierigen Umständen der globalen Realität (Kriege, Koalitionspartner, neue globale Wirtschaftsmächte) in Teilen Zukunftspolitik hinkriegen kann. Aber gerade die Milieus, die sich für progressiv hielten, ließen Rot-Grün im Stich, weil ihnen die Realität von Krieg und Ende der nationalen Industriegesellschaft unangenehm war. Damit wollte man nichts zu tun haben. Dann lieber CDU, da konnte man wieder mit ruhigem Gewissen dagegen sein.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Bündnis 90/Die Grünen protest against nuclear energy near nuclear waste disposal centre Gorleben in northern Germany
Source | Politprominenz |
Author | Paula Schramm |
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Unten — Annalena Baerbock und Robert Habeck sind die Parteivorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Foto: © Dominik Butzmann