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Die Generation Weltbürger

Erstellt von DL-Redaktion am Montag 28. Mai 2018

Essay zu Nation, Werten und Grundgesetz

Von  Yannick Haan

Vor Kurzem ist Yannick Haan Deutscher geworden. Das Konzept Nation bedeutet ihm dabei weniger als das Grundgesetz. Warum, schreibt er hier.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Haan, Sie sind jetzt Deutscher!“, ruft mir eine sichtlich erfreute Sachbearbeiterin im Kreuzberger Rathaus entgegen und überreicht mir eine Mappe mit dem Berliner Bären drauf. Hinter mir liegt ein etwa einjähriger Prozess, ein mit Bestnote bestandener Integrationstest, bei dem ich unter anderem per Multiple-Choice-Verfahren gefragt wurde, wofür die Abkürzung „SPD“ steht – und vor allem unzählige ausgefüllte Formulare über mein bisheriges Leben.

Als ich das Kreuzberger Rathaus wieder verlasse und auf mein Fahrrad steige, fühlt es sich komisch an. Auf der einen Seite hatte ich nie einen Bezug zum Thema Nationalität. Die Nation war für mich nie mehr als eine Information, die man in Formularen angeben muss. Nie mehr als ein Begriff in meinem Pass. Bei unwichtigen Formularen habe ich zum Trotz oft einfach „Europäer“ ausgefüllt. Ich wollte meinem wahren Gefühl Ausdruck verleihen. Und doch hat sich etwas in mir verändert. Ich bin jetzt Deutscher.

Ich bin in Luxemburg aufgewachsen und mit 19 Jahren zum Studieren nach Deutschland gekommen. Wie so viele bin ich dann in Berlin hängen geblieben. Mein Entschluss, nach zehn Jahren Deutscher zu werden, war kein emotionaler. Es gab nicht den Wunsch tief in mir, endlich dazuzugehören. Ich wollte vor allem endlich das Wahlrecht in Deutschland erhalten. Für mich war es immer sehr frustrierend, nach unzähligen Wahlkampfständen und verteilten Flyern den anderen beim Wählen zuschauen zu müssen.

Mit meiner ambivalenten Haltung gegenüber der eigenen Nationalität bin ich nicht allein. Der akademische und urbane Teil meiner Generation hat den Bezug zur Größe „Nation“ längst verloren. Ich stamme aus einem kleinen Land, in dem mittlerweile 50 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund besitzen. In meiner Schulkasse hatten fast alle unterschiedliche Muttersprachen. Die Vielfalt des Internets führt zusätzlich dazu, dass meine Generation kaum noch über kollektive Erlebnisse verfügt. Während meine Eltern samstagabends vor „Wetten, dass ..?“ saßen, schaue ich heute, wo und wann ich will, eine der tausend auf Netflix angebotenen Serien. Die persönlichen Identitäten meiner Generation sind daher komplexer als je zuvor.

Bildergebnis für Wikimedia Commons Der Weltbürger Alexander Humboldt

Warum diese Renaissance?

Wenn ich mich unter meinen Freunden in Berlin umhöre, dann würde niemand sagen, dass er sich als Deutscher fühlt. Ich bin im Jahr 1986 geboren. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, jemals an einer innereuropäischen Grenze kontrolliert worden zu sein oder noch mit der Deutschen Mark bezahlt zu haben. Während ich mit 30 schon jeden Kontinent der Erde bereist hatte, haben meine Eltern Europa nie verlassen. Meine „Generation Easyjet“ ist wohl die erste, die das Gefühl des Weltbürgers hat. Ein lang gehegter Wunsch liberaler Soziologen scheint sich zu erfüllen. Zumal wir als Generation, obwohl uns alle Erfahrungen mit der Nation fehlen, noch ­einen starken Bezug zu den negativen Folgen des Nationalismus der Vergangenheit haben. Doch warum erlebt dann die Nation als Bezugsgröße bei so vielen Menschen eine solche Renaissance?

Bis in die 1950er und 60er Jahre wurde Identität zu großen Teilen von dem Land geprägt, in dem der oder die Einzelne lebt. Die Nation verband den Einzelnen mit dem Kollektiv, als symbolisch aufgeladene Einheit. So gut die Nation als Identität für viele auch funktioniert haben mag, so exklusiv und ausgrenzend war sie. Wer nicht die richtige Hautfarbe besaß oder im falschen Land geboren war, der gehörte nicht dazu – und hatte auch kaum die Möglichkeit, sich aus eigener Kraft eine Zugehörigkeit zu erarbeiten. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts lösten dann die Großorganisationen, wie die Volksparteien, die Kirchen oder die Gewerkschaften die Nation als identitätsstiftendes Merkmal ab. Man ging als Individuum in die SPD und kam als Genosse wieder hervor.

An Weihnachten saß ich mit der Familie meiner Stiefmutter zusammen. Als es zu einer politischen Diskussion am Tisch kam, sagte der Vater meiner Stiefmutter dann auf einmal: „Durch meinen Körper fließt schwarzes Blut.“ Er meinte damit, dass er immer bei der CDU Mitglied war und es auch immer bleiben würde. In den 60er Jahren war die Entscheidung für eine Partei oft eine Schicksalsfrage fürs Leben. In den Volksparteien gilt es bis heute noch als Auszeichnung, wenn man möglichst lange dabei ist. Noch immer gibt es bei SPD-Veranstaltungen diese merkwürdige Tradition, zu sagen, wie viele Jahre man bereits Mitglied der Partei ist. „Ich bin schon unter Willy Brandt eingetreten“, schallt es mir dann regelmäßig stolz entgegen. Vor allem ältere Genossen sind stolz auf diese Nadel, die ich als Ortsvereinsvorsitzender ihnen kurz vorher meist recht ungeschickt an der Kleidung anbringen musste.

Doch für viele in meiner Generation sind Parteien nur noch Lebensabschnittsgefährten. Leider haben das nur die Parteien selber noch nicht verstanden. Die Strukturen, in denen ich tagtäglich politisch arbeiten muss, sind nicht auf ein situatives, sondern auf ein jahrelanges Engagement angelegt. Die Parteien verharren im Zeitalter der Großorganisationen und verlieren damit zunehmend die Jungen für die politische Arbeit. Das Durchschnittsalter der SPD-Mitglieder (mittlerweile stolze 59 Jahre) spricht für sich.

„I am what I am“

Quelle    :       TAZ         >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen   :

Oben   —     Schiller, Wilhelm und Alexander von Humboldt sowie Goethe in Jena

 

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