Es hat nur wenige Tage gedauert, da war der deutsche Rettungsschirm für Unternehmen aufgespannt. Da waren Schuldenbremsen und andere Schönwetterregeln ausgesetzt. Da funktionierten binnen Stunden neue Kurzarbeiterregeln und Finanzhilfen. Egal, ob das am Ende reicht – oder eher nicht: schneller hätte kaum kommen können, womit das wirtschaftliche Corona-Desaster gestoppt werden soll.
Umso bescheidener wirkt, was die Deutschen in Europa erwirkt haben. Da folgte die Bundesregierung den wirtschaftspolitisch gewöhnlich noch eigensinnigeren Niederländern – und der Grunddevise, dass halt am Ende doch jeder selbst zusehen soll, wie er mit der Krise klarkommt. Egal, wie gut das der eine oder andere gerade noch kann. Bloß keine Eurobonds! Weil man dafür ja gemeinsam haften müssen könnte.
Das wirkt jetzt nicht gerade besonders großherzig. Nicht nur, weil es moralisch-menschlich Potenzial nach oben hat, wenn dem Wirtschaftsminister da gerade die klischeegeprägte Sorge vor dauerhaften Ansprüchen wichtiger zu sein scheint als die Frage, wie sich die aktuelle Not bekämpfen lässt. Sondern weil es womöglich furchtbar schlechte Ökonomie ist. Und das Nein zu den Bonds auch die Deutschen teuer zu stehen kommen könnte.
Das Problem ist dabei gar nicht mehr, dass ohne besagte Eurobonds in den nächsten Tagen die nächste Eurokrise droht. Nach Beschlusslage dürfen Länder, die durch Panik auf den Finanzmärkten in Bedrängnis geraten, beim Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM Geld beantragen – was sodann die Voraussetzung dafür schafft, dass die Europäische Zentralbank mit Rettungsgeldern jede weitere Spekulation gegen das betreffende Land stoppen kann. Schon die Ankündigung dieser Sicherung hat gereicht, um die zwischenzeitlich hochgeschnellten Risikoprämien auf italienische Staatsanleihen wieder sinken zu lassen.
Das Groteske an der Lösung ist nur, dass zum einen damit jedes Land, das gerade taumelt, anschließend noch mehr taumeln wird, weil die Kredite zurückzuzahlen sind. Das hilft dem jeweiligen Land dann genauso bedingt, wie es hiesigen Mittelständlern gerade hilft, denen Liquiditätskredite gewährt werden, die sie nach der Krise wieder zurückzahlen müssen – wenn sie dafür bis dahin gar keine Substanz mehr erwirtschaften können.
Zum anderen ist die derzeitige Lösung, alles am Ende de facto über Zigmilliarden-Käufe der EZB auffangen zu lassen, ja nicht unbedingt das, was bei uns in Deutschland als besonders hip gilt, um es vorsichtig auszudrücken. In einem Land, dessen Sparkassenchefs und Orthodoxliberale seit Jahren theatralisch den Untergang des Abendlands beschwören, weil eben die EZB genau das macht.
„Gemeinsame europäische Staatsanleihen könnten angeblich dazu führen, dass die Zinsen steigen. Ernsthaft? Das sagen die, die seit Jahren sagen, wie furchtbar es ist, dass wir viel zu niedrige Zinsen haben.“
Ähnlich befremdlich klingt, wenn hierzulande geschimpft wird, gemeinsame europäische Staatsanleihen könnten dazu führen, dass die Zinsen steigen. Ernsthaft? Das sagen die, die seit Jahren sagen, wie furchtbar es ist, dass wir viel zu niedrige Zinsen haben. Wobei gar nicht mal sicher ist, ob die Zinsen so viel höher lägen, wenn die Eurostaaten eine gemeinsame Anleihe ausgäben. Zwar würden die Deutschen dann zusammen mit Italienern Anleihen ausgeben, die dafür allein in der Regel mehr Zinsen zahlen müssen. Ob der Eurobond deswegen zwingend dazwischen läge, ist aber gar nicht sicher. Hinter einer solchen Anleihe stünden ja sehr viele sehr geschätzte Länder als Sicherheit. Ganz schön attraktiv.
Man kann halt entweder niedrige Zinsen doof finden – oder Eurobonds. Beides passt gerade logisch nicht ganz stringent zusammen.
Europas Puppenspielerin
Genau hier liegt ja der eigentliche Reiz der Idee in einer instabilen Finanzwelt – selbst für uns. Wenn die Zinsen in Deutschland so niedrig sind, liegt das zu einem guten Teil ja daran, dass bei jeder Krise vermeintlich tollkühne Anleger plötzlich wie Memmen in sichere Anlagen flüchten – wozu neben Gold und Schweizer Franken auch deutsche Staatsanleihen zählen. Was nach dem Gesetze von Angebot und Nachfrage die Zinsen eben sinken lässt. Ohne dass die Deutschen hier und jetzt dafür so viel können – genauso wenig wie Gold etwas dafür kann, dass es immer noch als (mehr oder weniger) sichere Anlage gilt.
Sparer und Finanzminister gleichzeitig zu entzücken, ist schwer
Anders ausgedrückt: Da Finanzakteure entgegen allem Anschein ziemlich oft nach Klischee und Gewohnheit gehen, haben Deutsche und Schweizer selbstverstärkend einen Bonus – dessen Kehrseite ein regelmäßiger Run in die eigenen Anleihen sowie eben entsprechend niedrige Zinsen sind. Nett für den Finanzminister, der weniger Zins auf seine Schulden zu zahlen hat; weniger gut für Sparer. Beide gleichzeitig zu entzücken, geht halt schwer.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Hülsenfrüchte und Samen der Sorte Blaue Speiseerbse PS-HB 019
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