Quatschargumente statt Fakten

Hier ist die Politik Zuhause : Wo leere Köpfe Hosen tragen
Wenn Regierende irrationale Ängste zur Basis ihrer Entscheidungen machen, kann aus grobem Unfug eine gefährliche Realität werden. So etwa in Krefeld, wo die Maskenpflicht bei Kindern abgeschafft wurde.
Man könnte es »Falschismus« nennen, das »l« ist wichtig. Klar. Falschismus ist die Akzeptanz von grobem Unfug als vollkommen ernst zu nehmende Meinung. In der deutschen Öffentlichkeit ist Falschismus allgegenwärtig und manchmal verstörend mächtig. Er mündet schnell in eine gefährliche Politesoterik, wo Entscheidungen aufgrund von Quatschargumenten getroffen werden. Auch wenn Falschismus auf den ersten Blick simpel anmuten mag – handelt es sich um eine durchaus komplexe, gesellschaftliche Angelegenheit. Denn alles dreht sich um die Frage, was genau grober Unfug ist, sprich: Was ist so eindeutig und nachweisbar und einfach erklärbar falsch, dass es nicht ernst genommen werden darf, weil es auf gefährliche Weise in die Irre führt?
Ein Klassiker des Falschismus wäre, in einer Diskussion um die Vermessung des Planeten auch die Meinung einzubeziehen, die Erde sei eine Scheibe. Daran lässt sich gut erkennen, worin genau eine der Gefahren besteht: Falschismus kann Problemlösungen vergiften und sogar verhindern. Leider ist die Diagnose Falschismus im Alltag meist weniger einfach – und trotzdem notwendig, wie man an einem aktuellen Beispiel erkennt. Denn Falschismus ist wenig verwunderlich rund um die Pandemie erneut offensichtlich geworden.
Regierungsentscheidungen auf Basis von faktischem Unfug
Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann zwingt die Stadt Krefeld, die Maskenpflicht in den Klassenräumen an Krefelder Schulen aufzuheben. Die Stadt hätte sie gern beibehalten, es gibt aktuell an insgesamt 36 Schulen Coronafälle. In der Pressekonferenz lässt Laumann durchblicken, weshalb: »Ich kann Ihnen nur sagen, dass vor drei oder vier Wochen meine Mail-Lage so war, dass man gesagt hat ›Du musst jetzt die Masken abschaffen! Du erstickst unsere Kinder!‹«
Die zitierte Aussage ist grober Unfug. Durchschnittliche, gesunde Kinder ersticken nicht, wenn sie ein paar Stunden durch Masken atmen müssen (Erwachsene natürlich auch nicht). Die nordrhein-westfälische Regierung mit ihrem neuen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst zeigt hier mustergültig die Gefahr des Falschismus auf, Entscheidungen auf Basis von faktischem Unfug. Die dazu noch eine Bedrohung für Leib und Leben darstellen können.
Noch etwas schlimmer wird die Gesamtsituation, weil Laumann im Verlauf der Pressekonferenz deutlich macht, dass er selbst nicht an den Unfug glaubt, sondern die Schutzwirkung von Masken sehr genau kennt. Die meisten Kinder sind nach wie vor ungeimpft, die Luftfiltersituation in Schulen ist, vorsichtig gesprochen, uneinheitlich bis unterprächtig, und Abstand zu halten, ist in voll besetzten Klassen unmöglich. Masken sind quasi der einzige Schutz für Kinder in Klassenräumen – trotzdem verbietet Laumann die Maskenpflicht.
Die Jugendorganisation der AfD, die noch etwas radikalere Junge Alternative, hat um 2015 eine Art Selbstverständnis formuliert. Die Aussagen sind noch heute auf einer »Über Uns«-Seite des JA-Landesverbandes Baden-Württemberg zu bestaunen. Dort steht wörtlich: »Auch mutige, fragwürdige oder irrsinnige Meinungen verdienen es, gehört zu werden.« Dass wir uns nicht missverstehen: Natürlich dürfen irrsinige Meinungen geäußert werden, aber dass irrsinnige Meinungen gehört werden sollen, ist bereits eine irrsinnige Meinung. Ein furioser Zirkelschluss also: Falschismus in Reinform. Weil es, wie das Beispiel Laumann gut illustriert, am Ende nicht nur um »gehört werden« geht. Sondern darum, wie viel Rücksicht man auf Unfug nehmen kann oder darf oder eben nicht darf.
Falschismus als Dünger für faschistische Bewegungen
Falschismus ist, wenn man ihn wie eine Zwiebel Schicht um Schicht abschält, natürlich nicht neu. Eine Keimzelle des aktuellen Falschismus könnte – wie auch anders – im »Dritten Reich« liegen, zumindest indirekt. Als die jüdische Philosophin Hannah Arendt 1949 nach Deutschland zurückkommt, um nach ihrer Flucht vor den Nazis das Land zu analysieren, schreibt sie: »Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen.« Diese von Arendt beschriebene Selbsttäuschung funktioniert nur, wenn man die Grenzen zwischen Tatsachen und Meinungen einreißt. Im Umkehrschluss behandelt man dann nicht nur Tatsachen wie Meinungen, sondern sieht in Meinungen plötzlich auch Fakten. Zumindest herbeigefühlte Fakten.

Laumann sagte in der erwähnten Pressekonferenz auf die Frage, ob die Angst vor Masken nicht Humbug sei: »Ich würde mit Ängsten von Menschen nicht umgehen und sagen ›Das ist Humbug‹.« Das hört sich irgendwie edelmütig an und ist doch Kern des Problems, also Kern des Falschismus. Denn nicht alle Ängste sind gleich. Gezielt geschürte und irrationale, aber lange überlieferte Ängste sind die Basis für die meisten gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten, von Rassismus und Antisemitismus bis zu den vielen Geschlechter- und Sexualitätsfeindlichkeiten.
Im Wort Homophobie – man muss es mit Homosexuellenhass übersetzen – ist die Angst (griech.: -phobie) sogar noch im Wort vorhanden. Aufklärung bedeutet, bei bestimmten Ängsten zu sagen: Sorry Leute, das ist gequirlter Quark, bildet euch, entwickelt euch weiter, aktualisiert euer verbogenes Bauchgefühlsspektrum. Nicht jeder Falschismus mündet in Faschismus, und Deutschland ist kein faschistisches Land und auch nicht in unmittelbarer Gefahr, erneut eines zu werden. Aber Falschismus wirkt wie ein Dünger für faschistoide Bewegungen.
Regieren nach Gefühlen kann durchaus legitim sein
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Landesminister Karl-Josef Laumann während einer Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 2. Juli 2020 in Berlin.
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Unten — Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.…
Erstellt am Donnerstag 4. November 2021 um 14:14 und abgelegt unter Feuilleton, Gesundheitspolitik, Nordrhein-Westfalen, P.CDU / CSU.
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