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Erstellt von Redaktion am Freitag 26. April 2019

Die Chancen der Digitalisierung

File:Franz Kardinal König mit P. Carlo Mondini OMV, 17.4.1994.jpg

von Hauke Behrendt

In der März-Ausgabe der »Blätter« beschrieb der Kommunikationswissenschaftler Fred Turner, wie die Vision der digitalen Befreiung zur Realität der autoritären Unterdrückung wurde. Das hält der Philosoph Hauke Behrendt für entschieden zu eindimensional.

Die Erwartungen, die sich seit seiner Geburtsstunde am 12. März 1989 an das World Wide Webknüpfen, sind gewaltig. Als eine dezidiert neue, einzigartige Organisationsform werde es alle Menschen dieser Erde miteinander verbinden, die individuelle Freiheit und Selbstbestimmung stärken sowie die Abhängigkeit des Einzelnen von Staaten und Konzernen aufbrechen. Für seinen Vordenker, Tim Berners-Lee, stellt das Internet die digitale Grundlage für herrschaftsfreie Begegnungen, Konversationen und Kollaborationen jenseits von Raum und Zeit dar. Das gesamte hochgradig fragmentierte Weltwissen wäre für alle zu jeder Zeit und von überall her aus abrufbar. Was sich einst auf der antiken Agora oder in den Kaffeehäusern der Aufklärung abspielte, sollten fortan virtuelle Plattformen leisten: eine Stärkung gemeinschaftlicher Werte und die Emanzipation des Individuums. Noch zehn Jahre nach der Gründung bezeichnete sein Schöpfer das Internet als eine „Vision, die neue Freiheiten eröffnet und schnelleren Fortschritt erlaubt, als es durch die Fesseln jener hierarchischen Klassifikationssysteme möglich wäre, an die wir uns selbst gebunden haben.“[1] Kurz darauf platzte die Dotcom-Blase – und das Netz demonstrierte zum ersten Mal sein disruptives Potential, indem es immense Vermögenswerte der IT-Branche vernichtete.

In der März-Ausgabe der „Blätter“ machte nun Fred Turner dem umjubelten Internet die Gegenrechnung auf, indem er den Weg von der Idee der Befreiung zur autoritären Überwachung nachzeichnet. Allerdings greift auch diese Diagnose in ihrer spiegelverkehrten – nun eben absolut negativen – Schwarz-Weiß-Zeichnung zu kurz. Denn in Wirklichkeit ist die Bilanz weit gemischter. So driften nicht nur Quantität und Qualität des Internets auseinander, sondern auch Risiken und Chancen – wobei Letztere in manchen Fällen noch gar nicht allgemein erkannt sind.

Zunächst muss man dem Internet unter rein quantitativen Gesichtspunkten tatsächlich einen bis heute ungebrochenen Siegeszug attestieren. Misst man den Erfolg nur an Einfluss und Ausdehnung, ist die Zukunftsvision einer vollständig vernetzten Welt tatsächlich greifbar nahe. Im vergangenen Jahr waren in Deutschland gerade einmal fünf Prozent noch niemals online. Und mit der flächendeckenden Ausbreitung mobiler Endgeräte reicht das Netz inzwischen buchstäblich überall hin. Ein Großteil unseres Lebens – vom Einkaufen über das Arbeiten bis zur Partnersuche – spielt sich heute im Virtuellen ab. Kurzum: Das Internet ist tatsächlich zu einer nahezu alle Lebensbereiche prägenden digitalen Infrastruktur geworden. Mehr noch: In den Augen der Mehrheit in Europa sollte dem Zugang zu virtuellen Handlungen und Räumen sogar der Status eines universellen Menschenrechts zukommen.[2] Dieser Siegeszug des Digitalen lässt sich auf die enorme Leistungssteigerung seiner technischen Grundlagen zurückführen.

Der Historiker Reinhart Koselleck prägte für die folgenschwere Übergangszeit vom 18. ins 19. Jahrhundert, in deren Verlauf die Moderne geboren wurde, den Begriff der „Sattelzeit“.[3] Heute stehen wir erneut an einer Epochenschwelle von welthistorischem Rang, die man als digitale Sattelzeit bezeichnen kann.[4]

Nimmt man jedoch statt der Quantität die Qualität der zurückliegenden Entwicklung in den Blick, fällt das Urteil ernüchternd aus. Regierungen und Großkonzerne haben sich den Cyberspace gegen die Interessen der Öffentlichkeit angeeignet und für ihre Zwecke zunutze gemacht. Anstelle von Transparenz, Emanzipation und Aufklärung erleben wir eine neue Dimension kommerzieller wie politischer Manipulation und Überwachung, die die Nutzer in systematische Abhängigkeiten zwingt. Monopolstrukturen verdrängten die anfängliche Vielfalt, dezentrale Selbstorganisation weicht wenigen zentralisierten Plattformbetreibern, die Privatsphäre wird ausgehöhlt, die Selbstbestimmung der Bürger radikal bedroht. Wie brachte es der ehemalige Google-Vorstandsvorsitzende Eric Schmidt auf den Punkt: „Wir wissen, wo Du bist. Wir wissen, wo Du gewesen bist. Wir wissen mehr oder weniger, woran Du denkst.“

Mittlerweile haben wir es mit einer solchen Menge an verwertbaren Daten zu tun, dass die vorhandenen Informationen für den Menschen allein nicht mehr handhabbar sind – ja, zurzeit selbst von kaum einem handelsüblichen Computer noch wirklich beherrscht werden können. Man muss sich klarmachen, dass die digitale Weltgesellschaft seit 2007 mehr Daten produzierte als den dazu benötigten Speicherplatz. Bereits im Jahr 2011 wurde erstmals die magische Marke von einem Zettabyte(1000 Exabytes) erzeugter Daten geknackt.

»Die digitale Transformation wird als Revolution erlebt, die alles mitreißt wie eine unkontrollierbare Naturkatastrophe.«

Quelle     :     Blätter       >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :    —       Franz Kardinal König mit Pfarrer P. Carlo Mondini OMV und 2 Flüchtlingskindern, Pfarrkirche Zum Guten Hirten, Wien Hietzing, 17.4.1994, Digitalisierung einer selbstgemachten analogen Aufnahme

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Author Dnalor 01    –   Source  : Own work

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