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Die »Carbon Bubble«

Erstellt von Redaktion am Sonntag 27. September 2020

Finanzwirtschaft am Kipppunkt?

von Jörg HaasBarbara Unmüßig

Wie Umweltbewegung und BlackRock die Klimakrise bekämpfen könnten.

m Januar 2020 wurden die Zuschauer*innen des amerikanischen Wirtschaftsfernsehens CNBC Zeuge einer ungewöhnlichen Szene. Der US-Börsenguru Jim Cramer, bekannt geworden als Autor von Büchern, in deren Titeln zumeist die Formulierung „Get Rich“ auftaucht, wurde von der Moderatorin nach den Chancen von Öl- und Gasaktien wie Chevron oder Exxon befragt. Seine überraschende Antwort: Er habe fossile Energien satt, sie seien erledigt. Und er begründete dies damit, dass die Finanzmanager*innen, die Pensionsfonds, aus den fossilen Energien ausstiegen und die jungen Leute gegen diese Aktien seien.[1] Diese Aussage aus dem Munde eines Mannes, der nun nicht gerade für Altruismus und ökologische Motivation bekannt ist, mag nur anekdotischen Wert habe. Aber auch Anekdoten können ein Indiz sein. Denn Jim Cramer ist nicht allein: Fast zur gleichen Zeit schrieb Larry Fink, der Chef des weltgrößten finanziellen Vermögensverwalters BlackRock, einen offenen Brief an die Unternehmenslenker*innen der Firmen, an denen BlackRock beteiligt ist – und das sind fast alle börsennotierten Unternehmen. Er forderte nichts weniger als „eine fundamentale Umgestaltung der Finanzwelt“. Klimarisiken seien Investitionsrisiken, es brauche deshalb entsprechende Transparenz für Anteilseigner*innen, und es müsse umgeschwenkt werden auf mehr Nachhaltigkeit generell bei allen Investitionen.[2]

Erleben wir also gerade einen Kipppunkt in der Beziehung zwischen Finanzwelt und fossiler Wirtschaft? Wendet sich der Herdentrieb der Finanzmärkte gegen die fossilen Energien? Ist das nur Greenwashing? Oder kann die Finanzwirtschaft gar zu einem zentralen Hebel werden, um den Klimakollaps doch noch aufzuhalten? Und wie muss die Politik diesen Prozess steuern und begleiten? Um diese Fragen zu beantworten, kommt es zunächst darauf an, die Entwicklungen zwischen Finanzwirtschaft und fossilen Energien im vergangenen Jahrzehnt zu verstehen, also den Stand der Debatten und Initiativen in verschiedenen Teilen des Finanzsystems nachzuvollziehen. Dabei spielten zwei große Initiativen eine besondere Rolle: erstens, die mächtige Erzählung von der „Carbon Bubble“, dem Risiko für Finanzinvestoren und Finanzmärkte durch Klimawandel und Klimaschutz, Rendite im fossilen Sektor zu verlieren. Sie wirkte vor allem bei privaten Finanzmarktakteuren und den Finanzmarktregulatoren. Und zweitens, ein wenig beachteter Artikel im Pariser Klimaabkommen, der die Ausrichtung von Finanzströmen auf den Klimaschutz fordert und vor allem für öffentliche und multilaterale Banken ein wichtiger Grund ist, sich aus fossilen Krediten zurückzuziehen.

Die »Carbon Bubble« – eine wirkmächtige Erzählung

Schaut man sich die jüngere Geschichte der Verknüpfung von Klimawandel und Finanzmärkten an, stößt man auf zwei Menschen, die sich in ihren Talenten kongenial ergänzen und die gemeinsam eine wirkmächtige Erzählung entwickelten: Mark Campanale und Bill McKibben. Der Brite Campanale hatte schon mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Finanzindustrie und in nachhaltigem Investment gesammelt, als er 2011 die Carbon Tracker Initiative gründete. Der erste Bericht der Initiative, publiziert im November 2011, entwickelte das Konzept der Carbon Bubble: Die Börsenbewertung von fossilen Firmen beruhe in erheblichem Maße auf ihren Reserven an fossilen Brennstoffen. Doch diese Reserven bestünden zu einem großen Teil aus „unburnable carbon“: Kohlenstoff, der nicht verbrannt werden darf. 80 Prozent der Reserven der 100 größten Kohle- und der 100 größten Öl- und Gas-Aktiengesellschaften müsse in der Erde bleiben, wenn die Menschheit ihr bereits bei der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 verabschiedetes 2-Grad-Limit einhalten will. Damit seien fossile Firmen massiv überbewertet, es drohe das Platzen dieser Blase, mit erheblichen Risiken für die Anteilseigner*innen und die Stabilität des Finanzsystems.[3]

Im Frühjahr 2020 hat die Carbon Tracker Initiative die ursprüngliche Analyse noch einmal grundlegend aktualisiert. Der neue Bericht „Decline and Fall: The Size and Vulnerability of the Fossil Fuel System“ stellt die These auf, dass eine grundlegende Disruption des Energiesystems in naher Zukunft bevorstehe, die riesige Vermögenswerte entwerten könne. Betroffen seien 39 Billionen US-Dollar an Kohle, Öl- und Gasreserven, 10 und 22 Billionen Dollar an Infrastruktur zur Versorgung mit bzw. Verbrennung von fossilen Brennstoffen, 18 und 8 Billionen Dollar an börsennotierten Aktien und Unternehmensanleihen, sowie eine etwa auf das Vierfache geschätzte Zahl von nicht börsennotierten Finanzanlagen. Wenn wir diese Zahlen zum globalen Bruttoinlandsprodukt von 142 Billionen Dollar (2019) ins Verhältnis setzen, dann zeigt sich die Dimension des Problems.[4] Der erste Carbon-Tracker-Bericht von 2012 erwies sich als außerordentlich fruchtbar. Ihm folgte eine ganze Serie von weiteren, detaillierten Studien, die auf der Grundlage dieser Grundannahme die Risiken des Klimawandels für das Finanzsystem in immer größerem Detail ausleuchteten.

Der Bericht wäre dennoch vielleicht eine Fußnote der Geschichte geblieben, hätte der Finanzfachmann Campanale nicht im amerikanischen Publizisten Bill McKibben einen Mitstreiter gefunden: McKibben schrieb den Aufsatz „Global Warming’s Terrifying New Math“, der im Juli 2012 im amerikanischen Magazin „Rolling Stone“ erschien, und trug damit Campanales Erzählung wortgewaltig in die Welt. Er sollte einer der meistgelesenen und wirkmächtigsten Aufsätze in der Geschichte des Kampfes gegen den Klimawandel werden.[5] Die erschreckende Rechnung, die McKibben darin aufmacht, ist einfach und beruht auf drei Zahlen: Zwei Grad Celsius ist die maximale Erhöhung der Durchschnittstemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveau, auf die sich die Welt als gerade noch erträgliche Grenze geeinigt hat. Wenn wir die durchschnittliche globale Erwärmung unter zwei Grad halten wollen, dann dürfen wir nur noch ein begrenztes CO2-Budget in die Atmosphäre entlassen – damals waren das 565 Gigatonnen CO2. Demgegenüber steckten 2795 Gigatonnen CO2, das Fünffache des Zulässigen, in den nachgewiesenen Reserven an Kohle, Öl und Gas. Reserven, gehalten von oft börsennotierten Konzernen und Ländern wie Venezuela und Kuwait, die wie fossile Konzerne agierten. Den Marktwert dieser fossilen Brennstoffe kalkulierte McKibben überschlägig auf 27 Billionen US-Dollar, und wenn man davon 80 Prozent als „überschüssig“, weil unverbrennbar, in den Wind schreiben müsse, dann müssten die Finanzmärkte einen Verlust von 20 Billionen Dollar hinnehmen. Die US-Immobilienblase, die die Finanzkrise von 2007/2008 auslöste, sei klein im Vergleich. McKibben lieferte mit dieser Rechnung nicht nur eine ökonomische Analyse, sondern auch eine hoch plausible Erklärung für den mangelnden Fortschritt beim Klimaschutz: Die fossilen Firmen haben sehr, sehr viel zu verlieren und damit ein starkes Motiv, ihre gewaltigen Lobbyressourcen gegen Klimapolitik ins Feld zu führen.

Politökonomisch gesprochen ist es ganz einfach: Der an den Finanzmärkten schon eingepreiste zukünftige Wert des unverbrennbaren Kohlenstoffs drängt auf seine Realisierung durch Förderung und Verkauf des fossilen Rohstoffs an den Weltmärkten und kauft sich entsprechenden politischen Einfluss.[6] Die neue Erzählung von McKibben weicht in erheblichem Maße von anderen, damals wie heute gängigen Erzählungen über die Klimakrise ab. Statt auf Emissionen an einer Myriade von Orten lenkt er den Blick auf die fossilen Reserven, die an einer überschaubaren Zahl von Orten im Boden lagern und dort bleiben müssen, wenn wir den Klimawandel begrenzen wollen. Statt auf die Verbraucher*innen, die mit ihrem Konsumverhalten den Klimawandel anheizen, richtet er den Scheinwerfer auf die fossilen Konzerne, die ein massives Interesse an der weiteren Verbrennung fossiler Brennstoffe haben. Statt um globale Verhandlungsprozesse zwischen Staaten auf Klimakonferenzen geht es um Investitionen und Vermögenswerte, um die Mechanismen auf Finanzmärkten und den Einfluss von Konzernen auf die Politik.

So unglaublich es klingt, so hat doch die Erzählung von der Carbon Bubble und den Klimarisiken für den Finanzmarkt in zwei, eigentlich hoch verschiedenen Milieus ihre Wirkung entfaltet. Denn, was die Verbreitung dieser Erzählung enorm beförderte: Campanale und McKibben hatten enorme Glaubwürdigkeit in zwei höchst unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Während Campanale in der Finanzwelt mit ihrem Zentrum in London Wirkung entwickelte, war McKibben das Idol einer wachsenden Bewegung von Klimaaktivist*innen.

»Do the Math«: Die ersten Erfolge der Divestment-Kampagne

Bill McKibben ist Mitbegründer der Organisation 350.org, einer vor allem von jungen Leuten getragenen Klimakampagnenorganisation, die sich von amerikanischen Universitäten ausgehend über größere Teile der Welt ausgebreitet hat. 350.org trug die Erzählung McKibbens in einer großen Kampagne „Do the Math“ in viele Teile der Welt. Und sie organisierte eine Kampagne für das Gegenmittel, das McKibben propagiert hatte: Divestment, das Abziehen von Geldern aus fossilen Geldanlagen. Ausgangspunkt waren Städte, Gemeinden, Universitäten und Kirchen, die auf Druck der jungen Aktivist*innen ihre Gelder aus fossilen Portfolios zurückzuziehen begannen. Die Kombination von moralischen Argumenten mit einem Appell ans finanzielle Eigeninteresse – dem Risiko des Platzens der Kohlenstoffblase – erwies sich als äußerst wirkungsvoll. Nur eines von beidem hätte wohl nicht diese Durchschlagskraft entfaltet. Was an Universitäten, bei Kirchen und Städten begann, erreichte mit gezielten NGO-Kampagnen bald institutionelle Anleger wie Pensionsfonds und Versicherer. Neben der Furcht vor einem Reputationsverlust ist der Rückzug aus fossilen Energieträgern vor allem dem Risikomanagement geschuldet. Wenn politische Entscheidungen für mehr Klimaschutz fallen, dann könnte das angelegte Geld zu einem „stranded asset“, zu verlorenen Vermögenswerten, werden.

Die Divestment-Kampagne hat nicht nur ein Bewusstsein für diese Zusammenhänge geschaffen, sondern institutionelle Anleger wie den norwegischen Pensionsfonds oder die Allianz-Versicherung dazu gebracht, sich wenigstens partiell aus fossilen Anlagen zurückzuziehen. Mehr als 1000 Institutionen mit einem Gesamtvermögen von fast 8 Billionen US-Dollar hatten sich bis Ende 2018 verpflichtet, ihre Investitionen in fossile Energieunternehmen abzuziehen.[7] 2015 fand die Erzählung von der Carbon Bubble, die die Finanzmarktstabilität gefährdet, dann Eingang in die höchste Ebene globaler Governance der Finanzmärkte. Die G 20 beauftragte das Financial Stability Board (FSB) unter Vorsitz des Gouverneurs der Bank of England, Mark Carney, Überlegungen anzustellen, wie der Finanzsektor Klimarisiken für das Finanzsystem berücksichtigen könnte. Das FSB war 2009 von den G 20 im Nachgang der globalen Finanzkrise gegründet worden.

Mit diesem Mandat griff Carney am 29. September 2015 in einer Rede in der Versicherungsbörse Lloyd’s of London die Analyse von Campanale und McKibben auf. Carney sprach von der „Tragedy of the horizons“, nach der die katastrophalen Klimaschäden jenseits des Handlungshorizonts zentraler Institutionen lägen – jenseits des Geschäftszyklus, jenseits der politischen Zyklen wie Wahlperioden und jenseits des Horizonts von technokratischen Einrichtungen wie Zentralbanken. Als Konsequenz forderte Carney in dieser Rede die Einrichtung einer Task Force for Climate Related Financial Disclosure (TCFD), einer Arbeitsgruppe für klimabezogene finanzielle Offenlegung.[8] Diese wurde vom FSB während des Pariser Klimagipfels am 4. Dezember 2015 ins Leben gerufen, zusammengesetzt aus zentralen Persönlichkeiten der privaten Finanzwelt unter Vorsitz von Michael Bloomberg, dem CEO des US-Finanzdatenkonzerns Bloomberg. Dass dies auf dem Pariser Klimagipfel geschah, ist keineswegs Zufall: Denn das Pariser Klimaschutzabkommen beinhaltet – wenn auch viel zu wenig beachtet – auch einen wesentlichen Auftrag an Finanzmärkte und private wie öffentliche Banken. Zum einen verschärfte das Abkommen auf Druck der am meisten verwundbaren Entwicklungsländer das globale Temperaturziel: die Erderwärmung soll nun auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt werden, und die Staaten verpflichteten sich, Anstrengungen zu unternehmen, möglichst bei 1,5 Grad zu landen. Das CO2-Budget schrumpft dadurch erheblich.

In Artikel 2.1c des Abkommens haben sich die Unterzeichnerstaaten zudem dazu bekannt, Finanzströme mit den Zielen des Abkommens in Einklang zu bringen. Konkret heißt es: „Finanzströme in Einklang zu bringen mit einem Entwicklungspfad hin zu niedrigen Treibhausgasemissionen und einer klimaresistenten Entwicklung.“[9] Dies lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass alle Geldflüsse und -anlagen – öffentliche wie private – so reguliert werden müssen, dass die daraus resultierenden wirtschaftlichen Aktivitäten die Temperaturziele des Abkommens einhalten.[10]

Der Auftrag der Task Force um Michael Bloomberg: die Entwicklung von Standards für die freiwillige Offenlegung von klimabezogenen Risiken durch Firmen für ihre Investoren, Gläubiger*innen, Versicherer und andere Interessengruppen. Dabei sollen physische, politisch-regulatorische und Haftungsrisiken durch den Klimawandel berücksichtigt werden.

Mitte 2017 gab die Task Force ihre Empfehlungen ab, auf welche dann vom G 20-Gipfel in Hamburg Bezug genommen wurde. Im Dezember 2019 hatten sich 930 Organisationen mit einer Marktkapitalisierung von 11 Billionen Dollar hinter diese Empfehlungen gestellt.[11] Der Grund dafür: Anders als US-Präsident Donald Trump können es sich Finanzmarktakteure nicht leisten, die Realität der Klimakrise dauerhaft zu ignorieren. Dabei mache man sich keine Illusionen – es geht hier nicht um humanitäre Überlegungen: Ob Inseln im Pazifik untergehen oder Hurrikane Kleinbäuer*innen in Mittelamerika obdachlos machen, interessiert die Finanzmärkte wenig. Denn arme Menschen sind nicht versichert und haben kein Vermögen – und auf den Finanzmärkten werden nur geldwerte Vermögen gehandelt.

Quelle        :          Blätter      >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —       The main sources of renewable electricity worldwide: wind powerhydroelectricity, and solar power

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Unten      —         Inflatable carbon bubble asking the Swiss National Bank to divest from fossil fuels (2019).

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