Die Armee des Wahns
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 14. Januar 2023
In Brasilien ist der Sturm auf das Parlament gescheitert.
Typisch Politiker-innen sie wollen alle hoch hinaus um dann aus Maul zu stürzen
Ein Bericht VON NIKLAS FRANZEN UND NATASCHA STROBL
Wie vor zwei Jahren in Washington hat populistisches Gift eines abgewählten Präsidenten die Bevölkerung kontaminiert. rotz allem haben die Bolsonarist*innen ihr Ziel erreicht: Sie haben die Erosion demokratischer Strukturen ein Stück weiter getrieben.
Brasília, 9. Januar: Händehaltend marschiert eine Gruppe die Rampe des Präsidentenpalasts hinunter. Es sind Brasiliens Staatschef Lula, Verfassungsrechtler*innen und die Gouverneur*innen der 27 Bundesstaaten. Ein medienwirksamer Auftritt und eine Ansage: Wir lassen uns nicht einschüchtern! Keine 24 Stunden zuvor rannten dort noch vermummte Randalierer*innen umher, einige drangen in den Kongress und den Obersten Gerichtshof ein. Sie legten Brände, zerstörten Kunstwerke, urinierten in Büros und prügelten auf Journalist*innen ein. Der Angriff der Anhänger*innen von Ex-Präsident Jair Bolsonaro war ein Schock für Brasiliens junge Demokratie.
Viel wird in den nächsten Wochen aufzuarbeiten sein. Warum gelang trotz es Warnzeichen nicht, die Angreifer*innen zu stoppen? Welche Mitschuld haben die Sicherheitskräfte? Wer finanzierte die Krawalle? Was auffällt, sind die Parallelen zu den Ereignissen in den USA im Januar 2021. Auch damals verschafften sich völlig radikalisierte Anhänger*innen eines abgewählten Präsidenten Zugang zur Herzkammer der Demokratie. Auch damals hinterließen sie eine Spur der Zerstörung. Und auch damals versetzten die Ausschreitungen ein Land in Schockzustand.
Weder der Sturm auf das Kapitol noch der Angriff auf Brasiliens Regierungsviertel kamen überraschend. Während ihrer Amtszeiten hetzten Trump und Bolsonaro regelmäßig gegen die demokratischen Institutionen, beschimpften Journalist*innen, starteten Desinformationskampagnen. Zwar ist es beiden nicht gelungen, einen offenen Bruch zu provozieren, die Institutionen beider Länder erwiesen sich als widerstandsfähig. Doch sowohl Trump als auch Bolsonaro richteten in vielen kleinen Schritten große Schäden an. Beide haben ihre Länder nachhaltig geprägt und ihr Gift hat einen Teil der Bevölkerung kontaminiert.
Ähnlich wie die Trump-Jünger in USA sind auch die Bolsonarist*innen in Brasilien fest davon überzeugt, dass bei der Wahl im vergangenen Jahr nicht alles mit rechten Dingen zuging. Bolsonaro bereitete den Mythos des großen Betrugs aufwendig vor. Immer wieder hatte er Zweifel am Wahlsystem gesät, sich auf Putsch-Protesten feiern lassen. Dass ein Teil seiner Entourage nun den Aufstand wagte, ist in Anbetracht seiner Amtszeit fast schon logisch. Und Bolsonaro zündelt weiter. Zwei Tage nach dem Sturm auf Brasília äußerte er erneut Zweifel an den Wahlergebnissen: Lula sei gar nicht vom Volk gewählt worden, sondern von einem Gericht in das Amt gehoben worden.
Dass Bolsonaros Fußvolk bereit sein würde, bis zum Äußersten zu gehen, hatte sich wochenlang abgezeichnet. Seit der Wahl im Oktober harren seine Fans bei Wind und Wetter in Protestcamps aus und rufen zum Widerstand gegen die neue Regierung auf. Sie blockierten Autobahnen, planten gar Bombenanschläge. Der Sturm auf das Regierungsviertel dürfte nicht die letzte Aktion dieser Armee des Wahns gewesen sein. Durch die kritische Berichterstattung über die Ereignisse fühlen sich viele in ihrer Meinung bestätigt, dass ein Komplott gegen sie im Gang sei. Und sie sehen sich als Teil eines Endkampfes von epischen Ausmaßen: Eine tapfere Avantgarde gegen die Fake-News-Medien! Das Volk gegen das Establishment!
Der Bolsonarismus und der Trumpismus sind sektenhafte Bewegungen, getrieben von Verschwörungsmythen, faschistischem Habitus und religiösem Fanatismus. Und schon lange sind diese selbst erklärten Widerstandskämpfer*innen nicht mehr empfänglich für Informationen von außerhalb und driften immer mehr in rechtsextreme Paralleluniversen ab. Es droht nun eine weitere Radikalisierung.
Ihre Auftritte mit Kriegsbemalung und Hörner-Kopfschmuck mögen bisweilen grotesk, fast schon clownhaft wirken. Doch zum Lachen ist das nicht. Denn Bolsonaro und Trump haben es geschafft, aus Politik ein Gefühl zu machen. Es ist das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein, gehört zu werden und die Geschicke des Landes mitzugestalten. Möglich wurde das auch durch den Siegeszug der sozialen Medien. In seinem Buch „Ingenieure des Chaos“, schreibt der italienische Journalist Giuliano da Empoli über die Kraft der Netzwerke: „Aus Zuschauern werden Akteure; Einkommen oder Bildungsgrad spielen eine Zeit lang keine Rolle. Die Meinung des erstbesten Dahergelaufenen ist genauso viel wert wie die des Experten, möglicherweise sogar mehr.“
Warum verteidigten die Politiker-innen nicht ihr Heiligtum ?
Die sozialen Medien sind auch die Orte, wo sich die Rechten international vernetzen. Sie feuern sich gegenseitig an und lernen voneinander. Stephen Bannon, ehemaliger Trump-Chefberater, feierte die Krawalle in Brasília und nannte die Eindringlinge „Freiheitskämpfer“. Es muss noch untersucht werden, welche Rolle die Strategen der US-Rechten beim Sturm auf Brasília spielten. Aber es steht außer Frage, dass sich die brasilianischen Putschist*innen von ihren Brüdern und Schwestern aus dem Norden zumindest inspirieren ließen.
Gemeinsamkeiten sind jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. So wie sich die ikonischen Bilder der Hauptstadtstürme gleichen, so gleichen einander auch die vorangegangenen Narrative und Diskurse: Eine „globalistische Linke“ greife nach der Weltherrschaft. Trump und Bolsonaro seien die, die ihnen im Weg stehen. Es ist die klassische Verschwörungsideologie, die diese Leute antreibt und damit auch ihre Vehemenz und Gewaltbereitschaft erklärt. Wer sich im kosmischen Endkampf des Guten gegen das Böse wähnt, hat eben nichts zu verlieren.
Die Vernetzung der extremen Rechten erfolgt seit vielen Jahren transnational. Das bedeutet, dass wie selbstverständlich über Länder- und Sprachgrenzen hinweg zusammengearbeitet wird. Die Phänomenologien gleichen einander weltweit, weil die Protagonist*innen tagtäglich dieselben Realitäten erfahren bzw. kreieren. Und das vor allem in den sozialen Medien. Nationale Besonderheiten treten in den Hintergrund, und die extreme Rechte vereinheitlicht sich in Sprache und Auftreten. Die Arena, in der dieser imaginierte Endkampf ausgetragen wird, ist eben auch nicht mehr „nur“ das eigene Land, sondern die ganze (westliche) Welt. Es fehlt also weder an Pathos noch an Megalomanie. Das Netzwerk selbst ist aber auch keine große Verschwörung, sondern logische Folge einer sich schon lange inter- und transnationalisierenden extremen Rechten, die das Ideal und Kampfbegriff der „Nation“ zugunsten von „Kultur“ aufgegeben und so größere imaginierte Kriegsfelder für sich entdeckt hat. Diese Entwicklung hat sich schon in der Europa-Ideologie der Identitären (und dann der Neuen Rechten) angekündigt und zieht nun größere Kreise. Russland, Brasilien oder Israel sind weitere Projektionsflächen im Kampf „Globalismus“ vs. Traditionalismus. Der Globalismus wird dabei vor allem im Weltwirtschaftsforum, bei George Soros und seiner Open Society oder auch der WHO und jeder nicht-rechtsextremen Regierung vermutet. Statt konkrete Kritik an den Verhältnissen zu formulieren, wird ein latentes Unwohlsein mit der krisenhaften Gegenwart in idealistischen Kulturkampf übertragen. Dies geschieht in Brasília genauso wie in Washington oder Europa.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Kongressgebäude
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Unten — Estrago patrimonial no prédio do Congresso Nacional, invadido na tarde deste domingo (8), por manifestantes bolsonaristas. É possível identificar objetos quebrados, cadeiras jogadas e vidros estilhaçados, além de extintores e mangueiras contra incêndio espalhadas pelo local. Na manhã desta segunda (9) a Polícia Federal faz perícia para avaliar danos ao Senado após as invasões. Foto: Pedro França/Agência Senado