Die andere DDR Wende
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 2. September 2017
Wie lebten sie? Eine Erinnerung
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Essay – Die DDR-Geschichte wird noch immer so erzählt, dass sich neun von zehn Menschen nicht darin wiederfinden.
Wenn ich meine Mutter besuche, auf dem Friedhof in einem Berliner Vorort, bringe ich nie Blumen. Es macht keinen Sinn. Ihr Urnengrab ist ständig zugestellt: Rosen, Tulpen, Nelken und weiß ich was. Manchmal stehen auch kleine Blumentöpfe dort, wie man sie beim Discounter kaufen kann. Die werfe ich weg, ebenso wie die Schnittblumen, denn für gewöhnlich sind sie alle verwelkt – bis auf ein, zwei Sträuße, denen ich mit frischem Wasser Erste Hilfe leiste. Mutter ist bald zwei Jahre tot, mein Vater aber geht immer noch jeden Vormittag ans Grab und bringt Blumen – ohne aber die alten wegzunehmen. Er hat Demenz in einem relativ frühen Stadium. Als seine Frau starb, sah die Wohnung aus wie ihr Grab heute. Mein älterer Bruder und ich geben seither unser Bestes, die Räume in Ordnung zu bringen, das Bad aufzuwischen wie überhaupt den Müll in Grenzen zu halten.
In der DDR waren meine Eltern „kleine Leute“. Sicher hätten sie mir widersprochen, hätten den Begriff für sich abgelehnt. Mutter war Unterstufenlehrerin. Vater hatte es im Abendstudium zum Diplomgesellschaftswissenschaftler gebracht; am Ende war er Chefredakteur der Betriebszeitung im Kabelwerk Oberspree. Und doch waren sie kleine Leute: Jahrgang 1942, beide Halbwaisen. Sie hatte früh ihre Mutter verloren, er im Krieg seinen Vater. Sie hatte die Schule nach der achten Klasse verlassen, mein alter Herr nach der zehnten. Dafür hatte Mutter einen ordentlichen Beruf gelernt, Industriekauffrau, während ihr Zukünftiger erst einmal ohne Ausbildung, jedoch mit hervorragenden Orthografiekenntnissen Anstellung in einer Druckerei fand.
Ihren beruflichen Aufstieg hätten sie in der BRD der 1950er und 60er wahrscheinlich nicht erlebt. Dort verbesserten sich erst unter Brandt die Bildungschancen für Arbeiterkinder. Meine Großmutter väterlicherseits war Küchenhilfe und später Hilfskrankenschwester. Der Vater meiner Mutter war Rohrleger, der allerdings in Westberlin seiner Arbeit nachging und bis zum Mauerbau dort gut verdiente, so dass seine neue Frau sich um den Haushalt und die Kinder kümmern konnte. In der Familie meines Vaters hat es Holzarbeiter gegeben, einen Onkel Rudi, der eine kleine Gastwirtschaft hatte. Dann war da Hartmut, ein Cousin, der es am weitesten gebracht hat als Kraftfahrer. Nicht, dass er die Welt bereiste – Hartmut arbeitete beim Intershop.
Staatsvolk der kleinen Leute
Und zwar so wie in dem Witz: „Aus unseren Betrieben ist noch viel mehr rauszuholen!“ Nur hat er es übertrieben, den gestohlenen Farbfernseher verkauft. Der neue Besitzer brachte das Gerät irgendwann zur Reparatur, wo man routinemäßig die Gerätenummer an die Polizei weitergab, so dass sich Hartmut für längere Zeit dem DDR-Strafvollzug anvertrauen musste. Soweit ich das überblicke, war er der einzige Krampitz, der wirklich Ärger mit dem Staat bekam. Unter meinen Altvorderen, den Cousinen, Onkeln und Tanten ist mir niemand bekannt, der politisch in Bedrängnis geraten wäre. Auch keine Ausreisewilligen. Alle waren sie Arbeiter oder Angestellte, die sich unter großen Mühen ein bisschen Wohlstand erarbeitet hatten. Trabbi, Schrankwand, Balaton – mehr war nicht drin. Sozialismus war ihnen keine Ideologie, sondern ein gefühltes Versprechen von „denen da oben“, dass es ihnen im Lebensstandard jedes Jahr ein wenig besser ging. Erst in meiner Generation veränderten sich die Bedürfnisse und auch die Frustration. Das DDR-Syndrom: Nach außen lebte man systemkonform, während die innere Verweigerung mehr und mehr zunahm. Diese Spannung entlud sich 1989. Vater hat den Protest nicht nachvollziehen können. Er hatte dem Staat viel zu verdanken, er war der einzige Studierte bei uns, mit richtigem Hochschuldiplom. Darauf und aufs Parteiabzeichen am Revers war Vater ziemlich stolz. Eine Zeit lang hatte er in der Arbeiter- und Bauerninspektion gearbeitet. Er war ein kleines Rad im Getriebe.
Quelle : Der Freitag >>>>> weiterlesen
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