Die Akte – Heimatschutz
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 20. Dezember 2017
Die Razzia am 28. August 2017
Von Martin Kaul, Christina Schmidt und Daniel Schulz
Im Reservistenverband halten sich Männer und Frauen bereit, um im Ernstfall das Land zu verteidigen. Aber was ist, wenn sie eine ganz eigene Idee davon haben, vor wem es beschützt werden muss?
Es dämmert bereits, als Horst S. an einem kalten Herbstabend auf den Parkplatz des Bundeskriminalamts in Berlin einbiegt. Er parkt seinen schwarzen Volkswagen, steigt aus, holt eine Jacke aus dem Kofferraum. Unter seinem Nummernschild steht ein Zitat der Band Rammstein: „Manche führen, manche folgen“. S. geht mit forschen Schritten auf das Wachhäuschen zu. Er will die Sache endlich erledigen. „Guten Tag“, sagt er zum Pförtner. „Ich bin hier, um meine Asservate abzuholen.“
Horst S. lebt in Krakow am See, einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern. Er wohnt dort in einem roten Backsteinhaus, mit seiner Frau und einem Kater. Sechs Wochen vor diesem Herbstabend hatten Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) in dem Haus eine Razzia durchgeführt. Sie hatten Beweise gesucht – dafür, dass Horst S. mehr weiß, als er zugibt, über eine Gruppe, die schwere Anschläge geplant haben soll. Auf linke Projekte, Politiker, Aktivisten.
An dem Herbstabend in Berlin bringt ein BKA-Mitarbeiter ein Paket. Darin liegen zwei Festplatten, zwei USB-Sticks, ein Laptop. „Basierend auf den Absprachen mit Ihnen“, sagt er.
„Na ja“, antwortet S. „Absprachen.“
„Den Karton dürfen Sie gern behalten“, sagt der BKA-Mann. Dann kann Horst S. mit seinen Sachen gehen.
Horst S. gilt in den Ermittlungen nur als Zeuge, nicht als Beschuldigter. Es ist ein schwerwiegender Verdacht, den der Generalbundesanwalt am 28. August bekannt macht. An diesem Tag schickt er bewaffnete BKA-Einheiten nach Mecklenburg-Vorpommern, die Wohn- und Geschäftsräume von sechs Personen durchsuchen. Sie setzen Blendgranaten und Sprengstoffspürhunde ein.
Die Ermittler finden bei einem Anwalt mehrere Ordner mit Personendaten von mehr als 5.000 Menschen. Darunter über hundert Namen, Adressen und Fotos von Politikern, überwiegend aus dem linken Spektrum.
Der Vorwurf: In Chatgruppen sollen sich Männer darüber ausgetauscht haben, dass der Krisenfall eine Chance berge – dann könne man die Macht übernehmen, linke Politiker gefangen nehmen oder gleich töten. Im Juristendeutsch: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.
Die Beschuldigten sind ein Rechtsanwalt und ein Kriminalpolizist. Zu dem Netzwerk zählen zudem ein Malermeister, ein weiterer Polizist, ein Versicherungsvertreter und der Kommandant einer Reservisten-Kompanie. Das ist Horst S. Bei den Ermittlungen gelten diese Vier als Zeugen.
Die sechs Männer in Mecklenburg verbindet eine Idee. Es kann Krisen geben, denken sie, in denen der Staat seine Bürger nicht mehr versorgen kann. Schwere Stürme oder Stromausfälle. Oder Invasionen. Dafür trainieren sie. Man nennt solche Menschen Prepper. Abgeleitet ist der Begriff vom Englischen to be prepared, auf Deutsch: bereit sein. Anfang Dezember haben die Innenminister der Länder und des Bundes entschieden: Sie wollen mehr über Prepper wissen. Ist das eine Szene? Gibt es in ihr Radikalisierungstendenzen, vielleicht sogar Extremisten? Ähnlich wie bei den Reichsbürgern? Die Verfassungsschutzämter sollen nachforschen.
Nur: Wenn solche Prepper gefährlich sind – warum ist dann auch vier Monate nach der großen Razzia in Mecklenburg bisher niemand festgenommen worden? Dahinter steht eine schwierige Frage: Wann wird jemand von einem gesetzestreuen Bürger mit einem etwas größeren Konservendosenvorrat zu einem gefährlichen Rechtsextremen mit Umsturzplänen?
Viele, um die es in dieser Recherche geht, wollen nicht sprechen. Andere haben Angst zu erzählen, was sie wissen. Deshalb finden wir Dokumente, die heimlich unter Tische fallen gelassen werden, und führen Gespräche, aus denen wir nicht zitieren dürfen. Wir sprechen mit Experten im Bundestag, Nachrichtendiensten, Ermittlern. Wir lernen Prepper kennen und eine Gruppe von Menschen, die den Staat nicht nur kritisiert, sondern ihm zutiefst misstraut. Was fünf der sechs Männer in der Chatgruppe verbindet: Sie sind Mitglieder im Reservistenverband, einer Gemeinschaft ehemaliger Soldaten.
Zum Beispiel Jan Hendrik H. Er ist der Rechtsanwalt, bei dem die Listen mit den Namen gefunden wurden. Er soll darüber fantasiert haben, Menschen zu töten, die ihm politisch nicht genehm sind. Er ist Beschuldigter.
Die Annäherung an Jan Hendrik H. beginnt im Bahnhofsviertel in Rostock. Hier reihen sich Villen in Rosé und Gelb aneinander. Arztpraxen,Versicherungsbüros und Kanzleien von Notaren und Anwälten residieren hier. Wenn H. aus dem Fenster seines Büros in einem Plattenbauhochhaus schaut, kann er die Villen sehen. Für die taz ist H. nicht zu sprechen. Auch nach mehrfachen telefonischen, schriftlichen und persönlichen Anfragen nicht.
Also treffen wir Personen, die ihn kennen. Freunde, Geschäftspartner, Menschen, mit denen er auf den Schießstand ging oder Politik machte. Sie erzählen Bruchstücke aus H.s Biografie. Zusammen ergeben sie die Geschichte einer Radikalisierung.
Geboren wird er 1971 in Eisenach, er macht eine Lehre auf dem Bau. Nach der Wende folgt das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, dann ein Jurastudium. 2009 tritt H. in die FDP ein, wird Landtagskandidat, 2014 dann Abgeordneter in der Rostocker Bürgerschaft, schließlich Vizevorsitzender der Fraktion, die den Oberbürgermeister stellt.
Eine Politikerin der Linkspartei nennt ihn stringent, streng im Haushalten, einer, der nicht mitkam, wenn andere noch ein Bier trinken gingen.
Treffen in der Garage
Was viele über H. erzählen: Er ist einer, der gern Gäste einlädt – in seine Garage, die er umgebaut hat zu einem Ort zum Diskutieren. In dieser Garage trifft er auch einige der Männer, bei denen der Generalbundesanwalt ebenfalls die Wohnungen durchsuchen lässt. Nach der Razzia geht H. in die Offensive. Er ruft die Vorsitzenden der Fraktionen an, schreibt Briefe, bestreitet, dass es je eine „wie auch immer geartete Todesliste“ gegeben habe.
Diejenigen, die H. kennen, beschreiben, wie er sich nach und nach verändert hat. Immer häufiger streitet er sich mit seiner Partei. Er nennt sich Sympathisant der Pegida-Forderungen, schreibt von einer „gesinnungseinheitlichen“ Berichterstattung, die nur neurechte Medien durchbrächen. Als er dann noch in der Flüchtlingspolitik mit einem AfD-Politiker zusammenarbeiten will, berät der FDP-Kreisverband Rostock über ein Ausschlussverfahren. Dem kommt H. zuvor. Anfang 2016 tritt er aus der Partei aus.
Er beginnt, sich für Schießsport zu interessieren, wird Sportschütze und Jäger, legt sich ein halbautomatisches Gewehr und einen alten Karabiner zu. Bekannte, die ihn in seiner Garage besuchen, bekommen sie vorgeführt.
Es ist die Zeit einer großen Verunsicherung: Die Finanzkrise hat bei vielen den Glauben an die freien Märkte erschüttert, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz aktualisiert seine Katastrophenhinweise, an der EU-Ostgrenze demonstrieren Panzer die Stärke der Nato. Dazu die rasant gestiegene Zahl von Flüchtlingen im Jahr 2015.
Zu dieser Zeit gründet ein SEK-Beamter aus Westmecklenburg eine Chatgruppe für Prepper, in der über einen Messengerdienst namens Telegram verschlüsselt kommuniziert werden kann. Er gibt ihr den Namen „Nordkreuz“. Das Erkennungssymbol der Gruppe ist die Wirmer-Flagge; einst ein Symbol des Widerstands gegen Hitler, heute auf Pegida-Demonstrationen genutzt. Auch Rechtsanwalt H. tritt dieser Gruppe bei. Und er wird Mitglied im Reservistenverband. Wenn eines Tages die Katastrophe kommt, dann ist die Bundeswehr da oder auch nicht. Die Chatgruppe aber – das ist Heimatschutz konkret.
Den anderen Reservisten erzählt H., einer von wenigen hundert Kampfschwimmern der NVA gewesen zu sein, einer Eliteeinheit. Ein Sprecher des Ehemaligenvereins der Kampfschwimmer sagt, sie hätten den Namen Jan Hendrik H. noch nie gehört.
Über H. finden sich auch Kommentare in Chatprotokollen eines ehemaligen AfD-Politikers. Dieser ist Landtagsabgeordneter in Schwerin, hat die Partei aber verlassen, nachdem taz und NDR über Chatnachrichten berichtet hatten, in denen er sich die Exekution Linker ausmalte und darüber fantasierte, einen Menschen zu essen.
Über H. steht in eben jenen Chats des Landtagsabgeordneten: „Er hasst die Linken und hat einen gut gefüllten Waffenschrank.“ H. soll von „einer Menge Leute“ gesprochen haben, „die, wenn es wirklich auf eine Art rote Diktatur hinauslaufen sollte, zu allem entschlossen sind“.
Welche Rolle spielt der Reservistenverband bei der Herausbildung des Mecklenburger Netzwerks? Formal ist der Verband kaum etwas anderes als ein Handballklub, ein eingetragener Verein eben. Von der Bundeswehr ist er formal getrennt, aber der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern bekommt etwa auf dem Gelände der Kaserne in Schwerin zwei Büros und einen Raum für den Kopierer bereitgestellt. Und er darf auf den Truppenplätzen üben. Er soll auch helfen, die Reservistenkompanien zu bestücken.
Im Zuge der Bundeswehrreform von 2011 hatte sich das Verteidigungsministerium an eine alte Idee erinnert: Es hat Kompanien aus Reservisten eingerichtet, die das schrumpfende Heer im Ernstfall unterstützen sollen. Früher trugen solche Einsatztruppen den pathetischen Namen Heimatschutzbataillon, heute heißen sie sperrig „Regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanie“, kurz RSU. Sie sollen helfen, wenn Dämme brechen oder Hochwasser droht. Und sie sollen bereit sein, wenn ein Feind angreift.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
————————————————————————————————————————–
Grafikquellen :
Oben — Goldberg (2017)