„Die AfD wird bleiben“
Erstellt von DL-Redaktion am Montag 25. September 2017
Politikwissenschaftler über die Wahl
König Graubart – fast so wie Oskar und seine munter plappernde Kebse
Linksliberale Kosmopoliten sind für den Erfolg der Rechtspopulisten mitverantwortlich, sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel.
Interview Martin Reeh
taz: Herr Merkel, Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt hat kürzlich geschrieben: „Die AfD wird der große Gewinner dieses Wahlsonntags werden. Alle Demokraten, die dies bedauern, sollten sich Gedanken darüber machen, was sie falsch gemacht haben.“ Haben wir Demokraten was falsch gemacht?
Wolfgang Merkel: Natürlich haben die Demokraten etwas falsch gemacht, auch wenn man den Aufstieg der Rechtspopulisten nicht alleine dadurch erklären kann. Der ist ein gesamteuropäisches und transatlantisches Phänomen. Zu den Fehlern gehört sicherlich eine nicht ganz offene Debatte über bestimmte Fragen, ganz vorneweg die Flüchtlingsfrage. Verallgemeinert gesagt: Wir haben zu sehr eine liberale Hegemonie des Diskurses etabliert, die viele Menschen, insbesondere das untere Drittel der Gesellschaft nicht mehr repräsentiert. In die Repräsentationslücke sind die Rechtspopulisten eingerückt.
Manifestiert sich in der AfD nicht nur der Teil der Bevölkerung, der – wie Studien belegen – schon immer rechtsradikale Einstellungen hatte?
25 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind anfällig für antisemitische oder rassistische Thesen. Damit liegen wir im europäischen Durchschnitt. Dieses Potenzial ist bislang nicht abgerufen worden, weil Deutschland aufgrund seiner Vergangenheit ein Tabu hatte: Rechtspopulistische Parteien werden nicht in den Kreis der Etablierten aufgenommen. Dieses Tabu ist gebrochen. Die Wähler der AfD sind aber wahrscheinlich bestenfalls zur Hälfte Hardcore-Rassisten oder Nationalisten. Der Rest ist ein fluktuierender Protest, der durch einen überschießenden Kosmopolitismus mit produziert worden ist.
Also durch uns selbst? Sie unterteilen die Bevölkerung in Kosmopoliten und Kommunitaristen …
Die große Konfliktlinie im 20. Jahrhundert war jene zwischen Kapital und Arbeit, ein Verteilungskonflikt um Rechte, Einkommen und Lebenschancen. Jetzt bildet sich eine neue Konfliktlinie, die die andere nicht vollkommen verdrängt, aber zum Teil durchschneidet. Auf der einen Seite stehen Kosmopoliten. Sie befürworten offene Grenzen für Güter, Kapital, Dienstleistungen, aber auch für Immigranten und Flüchtlinge. Und sie sind für die Abgabe von politischen Kompetenzen an internationale Organisationen oder supranationale Regime. Sie sind die Gebildeteren und Besserverdienenden unserer Gesellschaft, die Gewinner der Globalisierung.
Und die Kommunitaristen?
Sie sind für eine stärkere Schließung von Grenzen sowohl bezüglich wirtschaftlichen Transaktionen als auch gegen Migranten und Flüchtlinge. Sie sind gegen die Abgabe von nationalstaatlichen Kompetenzen. Sozialstrukturell sind sie eher die Verlierer der Globalisierung. Ihr Human- und Kulturkapital ist stark auf lokale Kontexte angewiesen, das heißt, sie finden sich im Ausland schwerer zurecht und Jobs auch nur im nationalen Raum. Der Superkosmopolit kann dagegen in Zürich, New York oder Berlin leben und arbeiten, weil er überall einen Job findet.
Der Wahlkampf 2013 ging noch um klassische Verteilungsfragen, um Steuern und Mindestlohn. Warum ist der Konflikt jetzt so virulent geworden?
Deutschland erlebt eine nachholende Europäisierung. Österreich war mit Haider ebenso Vorreiter wie Frankreich mit Le Pen, danach haben wir die postmoderne Variante des Rechtspopulismus in den Niederlanden mit Pim Fortuyn gesehen. 2015 kam die Flüchtlingsfrage …
… in der die Kosmopoliten Merkels Flüchtlingspolitik begrüßt haben.
Angesichts der humanitären Katastrophe, die zunächst in Budapest gedroht hat, haben wir uns sofort positioniert. Menschenrechte sind nicht nationalstaatlich begrenzt, sondern universell. Das ist ein Credo der Kosmopoliten. Die Kommunitaristen haben dagegen, vor allem als der Flüchtlingszustrom weiter anhielt, Konkurrenz etwa auf dem Job- und Wohnungsmarkt befürchtet. Ich finde: Budapest war richtig, die unkontrollierte Einreise ohne Begrenzung in den Monaten danach war ein Politikfehler. Die Abwehrmechanismen gegenüber einer so hohen Zahl von Flüchtlingen haben auf beiden Seiten die Positionen verstärkt und verhärtet.
Dass die Forderung nach offenen Grenzen so breiten Widerhall findet, ist neu. Sind nicht nur die Kommunitaristen kommunitaristischer, sondern auch die Kosmopoliten kosmopolitischer geworden?
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle : AfD Bundesparteitag am 23. April 2017 in Köln, MARITIM Hotel
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Author | Olaf Kosinsky |