DFB und FIFA
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 9. Januar 2016
Der verkaufte Fußball
von Thomas Kistner
Die Korruptionsdebatte im Weltfußball hat Mitte Oktober auch Deutschland erreicht. Seither hängt die Frage, ob das Sommermärchen aus dem Jahr 2006 weiter als solches bezeichnet werden darf, nur noch vom Standpunkt des Betrachters ab.
Zwar hat das Turnier an sich, bei dem die Nation zur offenbar eigenen Verwunderung in eine weltoffene, entspannte Gastgeberrolle fand, wenig zu tun mit den fragwürdigen Zahlungsvorgängen rund um die deutsche WM-Bewerbung und -Organisation. Andererseits fällt es schwer, das eine vom anderen zu trennen, weshalb die angemessene Antwort eher so lautet: Es liegt ein Schatten auf dem nationalen Freudenfest. Wie groß er ist, wie bedeutend, das wird sich erst im Laufe der Ermittlungen weisen, die ja im Lande und auch außerhalb geführt werden.
Als gesichert erscheint aber: Die einstigen Helden der deutschen Fußballführung, von Franz Beckenbauer über Horst R. Schmidt, lange Jahre die Seele des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), bis Wolfgang Niersbach, den die Affäre schon das DFB-Präsidentenamt gekostet hat – diese Helden haben viel zu verbergen. Dass sie Sinn und Zweck einer Zahlung von 6,7 Mio. Euro, die sie raffiniert verkleidet am damaligen Aufsichtsgremium vorbei in die Schweiz expediert hatten, heute nicht erklären können, ist absurd.
Der Kaiser als tumber Tor
Das wirkt so unglaubwürdig wie Beckenbauers Versuch, sich in Print- und Funkmedien als eine Art ewig Heranwachsender zu verkaufen – oder sogar: als Trottel der Nation. Er sei vom realen Alltag abgekapselt gewesen – ja, und erst mit Ende fünfzig erwachsen geworden, erzählt der Mann, der den Deutschen seit Dekaden als Fußballkaiser und Lichtgestalt gilt. Erst da habe er angefangen, seine persönlichen Dinge selbst zu regeln. Zuvor habe er stets und alles unterschrieben, was ihm seine Helfer so vorlegten. Möglicherweise auch allerlei dubiose Verträge, und vielleicht auch einen Schuldschein, auf dem er sich persönlich für die Zahlung von zehn Mio. Schweizer Franken für das deutsche WM-Organisationskomitee (WM-OK) verbürgt haben soll.
Zehn Mio. Schweizer Franken: Die wollen die deutschen WM-Organisatoren 2002 an die Fifa überwiesen haben, wobei der damalige Adidas-Eigentümer Robert Louis-Dreyfus als Darlehensgeber fungiert haben soll. Diese Zahlung hätten Vertreter des Fifa-Finanzkomitees um Sepp Blatter gefordert, erzählen Beckenbauer, Niersbach und Co. Als eine Art Vorauszahlung dafür, dass der Weltverband dem WM-Ausrichter Deutschland statt der vorgesehenen 150 Mio. Schweizer Franken Organisationskosten-Zuschuss gleich 100 Mio. mehr bezahlte, nämlich 250 Mio. Franken. Klingt schon diese Story grotesk, wird sie getoppt von der Behauptung, Beckenbauer habe erst erwogen, die zehn Mio. aus seinem Privatvermögen vorzustrecken.
Drei Jahre später, Anno 2005, habe Louis-Dreyfus sein Darlehen zurückverlangt, und das sei dann über die 6,7-Mio.-Zahlung des WM-OK beglichen worden. So lautet sie bisher, die Sommer-Märchengeschichte der in die Bredouille geratenen deutschen Funktionäre. Weil die 6,7 Mio. für andere Dinge eingesetzt worden sind als für den damals fingierten Verwendungszweck – ein WM-Kulturprogramm der Fifa –, ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Der DFB befürchtet, das Abenteuer könne ihn die Gemeinnützigkeit für das Jahr 2006 und damit bis zu 25 Mio. Euro kosten; am Ende drohen Verurteilungen und Regressforderungen.
Abgesehen davon, dass man den allzeit geschäftstüchtigen Beckenbauer und seine knallharten Businessberater gar nicht als altruistische Vereinigung kannte: Die Story vom ahnungslosen Kaiser verfängt nicht. Sie wirkt wie eine von Juristen aufgesetzte Strategie, um möglichen Regressforderungen aus dem Wege zu gehen. Es ist ja, falls es am Ende um die Bewertung eines möglichen Millionenschadens für den DFB geht, ein großer Unterschied, ob einer fahrlässig gehandelt hat oder mit Vorsatz, sei er auch nur bedingt. Und wenn in einem Millionen-Geschacher eine bestimmte Strategie als juristisch nutzbringend erscheint, dann schluckt wohl mancher die Kröte und präsentiert sich der Öffentlichkeit gezielt als tumber Tor.
Industriesparte Profifußball
Wahr ist allerdings auch: Zum Erfolg in der Industriesparte Profifußball führen oft nur noch krumme Deals. Sie sind nahezu unvermeidlich in der diskreten Wirtschaftswelt des Sports, der autonom ist und sich selbst kontrollieren darf. Und der bezahlte Fußball hat in der öffentlichen Wahrnehmung wie in der gesellschaftlichen Bedeutung religiöse Höhen erreicht. Heute stehen alle WM-Vergaben seit dem Turnier in Frankreich 1998 unter massivem Korruptionsverdacht, auf allen Kontinenten wird ermittelt. Aus dieser Perspektive verbietet einem schon der gesunde Menschenverstand die Hoffnung, dass die korrupten Vorständler im Weltverband Fifa ausgerechnet damals, im Juli 2000, eine Ausnahme für Deutschland gemacht haben könnten. Dass also Leute, die in ihrem eigenen Fifa-Bereicherungssystem zu Multimillionären wurden, plötzlich innegehalten haben sollen und den Deutschen die WM 2006 auf dem Silbertablett überreichten. Weil die Deutschen so – ja, warum eigentlich hätten sie das tun sollen?
Weil man die armen Deutschen nicht ausplündern wollte? Weil man unbedingt in ein Land gehen wollte, das vergleichsweise über Transparenz und eine gewisse Finanzkontrolle verfügt? Oder, noch ein wunderbares Märchen, weil Beckenbauer hingebungsvoll Golf gespielt hat bei seinen Reklamereisen als Chef der deutschen Werbekampagne rund um den Globus? Wer das glaubt, darf auch glauben, dass die Erde eine Scheibe ist.
Im Sumpf der Vetternwirtschaft
Quelle: Blätter >>>>> witerlesen
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Fotoquelle : Wikipedia – Author: Pascal Philp –/– CC BY-SA 2.0 de