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Deutschland ist der größte Sünder

Erstellt von Redaktion am Samstag 16. April 2016

TTIP und die Idee vom Freihandel

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von Heiner Flassbeck

Nichts ist liberalen Ökonomen so heilig wie der freie Handel – doch effizienter Freihandel ist unrealistisch. Deutschland ist dafür das beste Beispiel.

Kaum ein Thema bringt mehr Menschen auf die Straße als TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa. Die Menschen haben ein gutes Gefühl dafür, dass hier einer Ideologie wichtige Werte geopfert werden. Auf der anderen Seite steht die große Mehrheit der Ökonomen, die den Freihandel mit Zähnen und Klauen verteidigt. Für sie ist die Idee des Freihandels absolut zentral für erfolgreiches Wirtschaften. Wenn jedes Land, so die Idee, sich auf die Herstellung der Güter spezialisiert, die es am günstigsten produzieren kann, gewinnt die Welt insgesamt, weil damit alle produktiver werden.

Nichts ist den liberalen Ökonomen und Politikern so heilig wie der freie Handel. Der Freihandel ist das Einzige, was die liberalen Ökonomen aufgeboten haben, um den Wohlstand der Nationen zu erklären. Die Theorie basiert im Kern immer noch auf einer Doktrin, die vor 200 Jahren der englische Ökonom David Ricardo postuliert hat. Damals befürchtete man, dass der freie Handel schaden könnte, weil einige Länder gegenüber anderen bei praktisch jedem handelbaren Produkt Vorteile hätten. Um solche absoluten Vorteile auszugleichen, müsste das unterlegene Land durch Protektionismus dafür sorgen, dass auch seine Produzenten eine Chance zum Überleben haben.

Dagegen stellte David Ricardo sein berühmtes Prinzip, wonach es im internationalen Handel auf die komparativen Vorteile und nicht auf die absoluten Vorteile ankommt. Wenn also, das ist ein Beispiel von Ricardo, in einem Land ein Produzent besonders gut Schuhe herstellt, der Produzent in einem anderen Land aber besonders effizient ist in der Herstellung von Tuch, dann können die beiden miteinander Handel treiben, selbst wenn der Hersteller von Schuhen auch Tuch günstiger herstellen könnte. Die Spezialisierung, also die Konzentration des Schuhherstellers auf die Schuhe und des Tuchherstellers auf Tuch, würde für beide ein besseres Ergebnis erbringen.

Schon dieses Beispiel zeigt, wie realitätsfern Ricardos Idee ist. Denn offenbar unterstellt er, dass der Schuster vollständig ausgelastet ist mit der Herstellung von Schuhen, so dass er gar nicht auf die Idee kommt, Schuhe und Tuch zugleich herzustellen. Es gibt aber in der Welt keine voll ausgelastete Volkswirtschaft. Jeder wird, wenn er absolute Vorteile hat, diese Vorteile auch nutzen. Unterstellt ist in der neoklassischen Handelstheorie, dass alle Produktionskräfte jederzeit voll beschäftigt sind und eine Ausweitung der Kapazitäten nicht möglich ist. Das ist absurd.

Währungen sind Spielbälle der Spekulation

Zudem unterstellt die Ricardo’sche Vermutung, dass – bei Vollbeschäftigung – die Entlohnung der Arbeitskräfte jederzeit und in allen beteiligten Ländern exakt die jeweilige Knappheit von Arbeit und Kapital widerspiegelt. Das ist eine nicht weniger heroische Annahme. Für den internationalen Handel sind Nominallöhne entscheidend, weil sie – zusammen mit den Währungsrelationen – die für den Handel entscheidenden Preise bestimmen. Was ist aber, wenn, wie das fast immer zu beobachten ist, in vielen Ländern die Inflationsraten weit auseinanderlaufen?

Dann müsste es zumindest einen funktionierenden Mechanismus geben, der dafür sorgt, dass die weit auseinanderlaufenden Preise und Löhne – in internationaler Währung gerechnet – ausgeglichen werden. Dieser Mechanismus könnte die Wechselkursbildung zwischen den nationalen Währungen sein. Das aber funktioniert überhaupt nicht. Währungen sind heute zum Spielball der Spekulation geworden und werden über Jahre in die vollkommen falsche Richtung getrieben, da Spekulanten Inflations- und Zinsdifferenzen ausnutzen, um kurzfristige Gewinne zu machen. So gibt es auch hier keine rationale Ausgangsbasis für den Freihandel.

Damit aber nicht genug. Die neoklassische Theorie des internationalen Handels unterstellt zudem, dass Direktinvestitionen, die von Produzenten aus Ländern mit hoher Produktivität in Ländern mit niedriger Produktivität und niedrigen Löhnen getätigt werden, jederzeit von den relativen Preisen von Arbeit und Kapital gelenkt werden. Man nimmt an, dass der westliche Produzent eines mobilen Telefons, der seine Produktion nach China verlagert, für die Produktion in China eine völlig neue Technologie erfindet, die wesentlich arbeitsintensiver als zu Hause ist, um dem niedrigeren Preis von Arbeit in China Genüge zu tun. Das ist nicht mehr fragwürdig, das ist lächerlich.

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle – Wikipedia: CC-BY-SA 4.0    Street-Art Adbusting während des COP21 Treffens in Paris 2015.

Source Own work
Author Brandalism.org

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