Deutschen mögen Konsens
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 17. Juni 2017
Angela Marquardt ist links, Hugo Müller-Vogg
erzkonservativ. Die beiden sind Freunde. Wie geht das?
Von Anja Maier, Georg Löwisch
taz.am wochenende: Frau Marquardt, Herr Müller-Vogg, warum sind Sie Freunde?
Angela Marquardt: Wir mögen uns, und wir streiten gern. Müller-Vogg fordert mich heraus, weil er völlig andere Meinungen hat. Weil wir uns so gut kennen, denke ich: Sei genau! Aus Streit nimmst du was mit.
Hugo Müller-Vogg: Ich finde es interessanter, mich mit Leuten zu unterhalten, die anderer Meinung sind, als mit Gleichgesinnten. Und die aus einer anderen Welt kommen.
Der eine ein Konservativer, die andere eine Linke: Frau Marquardt, Sie arbeiten in der SPD seit Jahren an Rot-Rot-Grün. Ist der Traum jetzt ausgeträumt?
Marquardt: Rot-Rot-Grün ist kein Traum, sondern …
Müller-Vogg: … ein Albtraum!
Marquardt: Ja, Herr Müller-Vogg, für Sie ist es ein Albtraum. Ich nenne es eine Möglichkeit.
Was brächte eine rot-rot-grüne Bundesregierung?
Marquardt: Es gibt einige Projekte, etwa wenn ich an die Bürgerversicherung denke …
Müller-Vogg: … die Zwangs-AOK …
Marquardt: … an eine andere Rüstungspolitik, an Änderungen bei Hartz IV, an das Thema Rente oder eine sozial gerechte Umweltpolitik.
Müller-Vogg: Wir würden uns in außenpolitische Abenteuer stürzen, eine Politik ohne oder gar gegen die Nato versuchen. In Europa würden wir andere Volkswirtschaften, die sich selbst ruiniert haben, mit deutschen Steuergeldern aufpäppeln. Deutschland würde ein Betreuungs- und Bevormundungsstaat, finanziert durch eine gigantische Umverteilung.
Marquardt: Spannend, dass Sie Gerechtigkeit und Chancengleichheit mit Bevormundung verbinden. Ich komme aus einem Land, das seine Menschen extrem bevormundet hat und wenn ich eins überhaupt nicht, nicht mal im Ansatz in mir trage, dann ist es, Menschen bevormunden zu wollen. Ich will etwas anbieten.
Müller-Vogg: Mit Bevormundung meine ich staatlich verordnete Political Correctness.
Frau Marquardt, was befürchten Sie, falls Angela Merkel noch mal mit Union und FDP regieren könnte und Ihre SPD in der Opposition landet?
Marquardt: Die Demokratie würde leiden. Sie würde noch mehr ausgehöhlt, aber auch langweiliger und ermüdend. Spannend ist doch an der Rot-Rot-Grün-Debatte, dass sich alle mit dieser Möglichkeit auseinandersetzen. Auch wenn die einen sagen: Dann regiert die Stasi mit! Rot-Rot-Grün könnte demokratische Prozesse wiederbeleben, weil sich viele stark an dieser Politik reiben würden. Politik sollte wirklich gestalten nicht nur verwalten. Ich wünsche mir einen Aufbruch.
Müller-Vogg: Mich stört das Argument Langeweile. Die spannendste, dramatischste Konstellation, die wir in Deutschland je hatten, war die Wahl am 5. März 1933. Es gab eine extrem hohe Wahlbeteiligung. Viele saßen auf gepackten Koffern, weil sie wussten: Wenn das schiefgeht, dann ist die Demokratie zu Ende. Sie hatten ja auch recht mit ihrer Befürchtung. Auf die Art von Spannung kann ich verzichten. Da habe ich lieber eine stabile Demokratie, die ein bisschen langweilig ist.
Wenn man Ihnen zuhört, ist da jede Menge Dissens, trotzdem sind Sie Freunde. Was fangen zwei wie Sie überhaupt miteinander an?
Müller-Vogg:Ich fand Angela Marquardt schon bei der ersten Begegnung interessant und sympathisch. Uns verbindet die „Lindenstraße“ (Müller-Vogg lacht laut). Konservative wie ich müssen einmal in der Woche 28 Minuten konzentriertes Gutmenschentum erleben. Eine Serie, wo die Männer alle Luschen sind und nur die Frauen stark, die Arbeitgeber Verbrecher …
Marquardt: … der Vermieter ist auch ein Verbrecher.
Müller-Vogg: Ja, genau. In der „Lindenstraße“ übernimmt niemand Verantwortung für das, was er macht. Ob man mit 16 schwanger wird oder durchs Abitur fällt, weil der Arsch von Lehrer, wie es dann heißt, die falschen Fragen gestellt hat. Mich amüsiert das. Wir kommentieren manchmal die „Lindenstraße“ live per SMS.
Warum gucken Sie „Lindenstraße“, Frau Marquardt?
Marquardt: Richtig eingestiegen bin ich in den Neunzigern, weil Klausi Beimer Nazi war. Das interessierte mich, wie die Geschichte aufbereitet wird, weil es damals Thema war und weil mich als Linke solche Leute auch konkret attackiert haben. Uns verbindet auch das Kochen, ich hab schon mal gekocht für ihn.
Müller-Vogg: Nein, zweimal. Und jedes Mal hervorragend, sage ich Ihnen.
Was gab es?
Marquardt: Beim ersten Mal Seeteufel im Pancettamantel.
Müller-Vogg: Ich hab die Gerichte fotografiert und meiner Frau geschickt, als Vorlage zum Nachkochen.
Herr Müller-Vogg, als Frau Marquardt 1971 in Mecklenburg geboren wurde, haben Sie gerade in Mannheim Ökonomie studiert. Wie sahen Sie damals die DDR?
Müller-Vogg: Ich war mit einer Gruppe der katholischen Jugend das erste Mal in Ostberlin, Mitte der Sechzigerjahre. Ich spürte eine gewisse Faszination des Perversen: die Mauer, der Todesstreifen, diese rigorosen Passkontrollen. Danach bin ich oft, wenn ich in Berlin war, rüber. Ich habe dort eine junge Frau kennengelernt, wir haben uns auch geschrieben. Und beide die Erfahrung gemacht, dass Briefe geöffnet wurden – von der Stasi wie vom Verfassungsschutz.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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- File:2015-12-14 Hugo Müller-Vogg Parteitag der CDU Deutschlands by Olaf Kosinsky -2.jpg
- Erstellt: 14. Dezember 2015