70 Jahre Befreiung
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 9. Mai 2015
Deutsche Kälte, deutsches Glück
von Albrecht von Lucke
70 Jahre sind, aus historischer Sicht, eine Petitesse. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945 trennen uns heute nur gut zwei Generationen. Und tatsächlich scheinen die Mentalitäten und Einstellungen zahlreicher Deutscher, ob alt oder jung, in erschreckender Weise unverändert.
Die jüngsten Anschläge auf Asylbewerberheime – in Tröglitz, aber auch an vielen anderen Orten dieses Landes – erinnern unweigerlich an die Beobachtungen Hannah Arendts im Jahr 1950. Als die Philosophin das geschlagene Deutschland besuchte, zum ersten Mal nach ihrer Flucht ins Exil, machte sie die bittere Erfahrung „einer echten Gefühlsunfähigkeit“ in der deutschen Bevölkerung: „Dieser allgemeine Gefühlsmangel, auf jeden Fall aber die offensichtliche Herzlosigkeit, die manchmal mit billiger Rührseligkeit kaschiert wird, ist jedoch nur das auffälligste äußerliche Symptom einer tief verwurzelten, hartnäckigen und gelegentlich brutalen Weigerung, sich dem tatsächlich Geschehenen zu stellen und sich damit abzufinden.“
Heute bekommt man wieder einen Eindruck von dieser deutschen Gefühlskälte – und von jener „brutalen Weigerung, sich dem tatsächlich Geschehenen der deutschen Geschichte zu stellen“. Das allerdings manifestiert sich nicht nur im grassierenden Rassismus in Tröglitz, sondern auch beim rabiaten Umgang mit den griechischen Reparationsforderungen. Was wir derzeit erleben, ist eine fatale, untergründige Verbindung von brutaler Menschenfeindlichkeit auf der Straße und einem dezidierten Willen zum Schlussstrich in Teilen der Deutungseliten.
Gewiss, in den vergangenen sieben Jahrzehnten haben wir uns daran gewöhnt, der NS-Verbrechen zu gedenken, nicht zuletzt am 8. Mai. Ungemütlich, ja kaltherzig werden viele Deutsche jedoch immer dann, wenn sie dafür in die Tasche greifen müssen. Dass uns die monströsen Untaten etwas kosten könnten, haben wir ebenso ausgeblendet wie die Tatsache, dass an den Folgen der deutschen Schuld bis heute vor allem Andere leiden müssen. Schon vor zehn Jahren rangen sich die großen deutschen Konzerne nur deshalb zu einer Entschädigung für die immer weniger werdenden NS-Zwangsarbeiter in Höhe von zehn Mrd. Euro durch, weil sie mit Sammelklagen vor US-Gerichten (und mit imagegefährdenden öffentlichen Kampagnen) unter Druck gesetzt wurden. Am Anfang stießen die Forderungen dagegen auf radikale Abwehr. Heute vernimmt man wieder den gleichen Ton. Die Reparationsforderungen Athens seien „ein billiges Ablenkungsmanöver“, heißt es von Gerda Hasselfeldt (CSU). Und der krachlederne Volker Kauder (CDU) setzt noch einen drauf: „Das ist ausgestanden. Es gibt keinen Anspruch, und die Griechen sollen sich mal mit ihrer Hausaufgabe beschäftigen.“ Es fehlte nur noch das „Basta“.
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