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Der Winde und sein Beutel

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 25. Juni 2020

Horst Seehofers misslungener PR-Stunt

Die Flasche müsste jetzt leer sein !

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Die Drohung des Innenministers, eine Journalistin anzuzeigen, könnte ein politischer Kommunikationstrick sein. Doch er funktioniert diesmal nicht – und wird nun für Seehofer zur selbst gestellten Falle.

Horst Seehofers Absicht, „als Bundesinnenminister“ eine Kolumnist*in anzuzeigen, mutet auf den ersten Blick an wie populistische Kraftmeierei irgendwo im pressefeindlichen Bermudadreieck zwischen Trump, Putin und Orbán. Seehofer hat 2017 Trump geradezu überschwänglich gelobt, immer wieder seine Nähe zu Putin öffentlich gemacht und 2019 den Berufsantisemiten Orbán verteidigt und kontrafaktisch als „Demokraten“ umschmeichelt.

Es ist aber auch eine andere Lesart der Geschehnisse möglich: Seehofer ist weniger autoritär-pressefeindlich, sondern ihm ist vielmehr ein PR-Stunt misslungen. Weil er sein früher hervorragendes populistisches Gespür verloren hat. Um das nachvollziehen zu können, muss man einen analytischen Blick in den Instrumentenkoffer der politischen Kommunikation werfen.

Agenda Cutting nennt sich eine Kommunikationsstrategie, mit der unliebsame Themen aus der Öffentlichkeit verdrängt werden sollen. Donald Trump hat eine gewisse Meisterschaft darin entwickelt, seine Verfehlungen, Lügen und Monstrositäten aus dem medialen Aufmerksamkeitsfokus purzeln zu lassen. Wer erinnert sich schon noch an den Aufreger kurz vor Trumps Überlegung, Atombomben auf Hurricanes werfen zu lassen. Oder Grönland zu kaufen.

Zwei unangenehme Themen standen im Raum

Unmittelbar vor der Debatte um die „taz“-Kolumne beherrschten zwei Themen die massen- und die sozial-mediale Öffentlichkeit: die Anmutung der Käuflichkeit des Philipp Amthor und „Black Lives Matter“, die weltweite Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt. Beides sind Themen, die für Seehofer nicht besonders angenehm sind. Philipp Amthor ist eine konservative Nachwuchshoffnung, von dieser Sorte gibt es in der CDU nicht gerade viele. Erst recht nicht solche, die gegen die eigene Partei Problemhofer in kritischen Situationen verteidigen.

Amthor war dem Bundesinnenminister beigesprungen, nachdem dieser behauptet hatte, die Migrationsfrage sei die Mutter aller politischen Probleme in Deutschland. In den Medien wird der Ausspruch aus seinem Umfeld zitiert: „Horst Seehofer hat ein Elefantengedächtnis. Er vergisst nichts – und vergibt nichts“.

Noch eindeutiger erscheint, wie sehr die Debatte um rassistische Polizeigewalt den Bundesinnenminister genervt hat. Gerade schien die Diskussion ausgehend von George Floyd auf die deutsche Polizei überzuspringen. Horst Seehofer hätte das zum Anlass nehmen können, als oberster Dienstherr der Polizei heftig auf die Aufklärung hiesiger Fälle zu drängen. Etwa beim Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh, der das tödliche Kunststück vollbrachte, in einer Gefängniszelle an Armen und Beinen gefesselt eine feuerfeste Matratze anzuzünden. Und zwar ohne Spuren auf dem erst zwei Tage später gefundenen Feuerzeug zu hinterlassen. Oder im Fall Amad Ahmad, der wegen einer Namensverwechslung völlig unschuldig im Gefängnis in Kleve einsaß und dort verbrannte. Aber Seehofer ist die deutsche Personifizierung von „Blue Lives Matter“. So lautet der US-Kampfruf derjenigen, die beim besten Willen keine rassistischen Morde durch die Polizei entdecken können.

Agenda Cutting funktioniert am besten mit Übertreibung

Die Verdrängung unliebsamer Themen per Agenda Cutting muss nicht von langer Hand geplant oder verabredet geschehen. Vielmehr ist es ein populistischer Reflex, Diskussionen zu torpedieren, bei denen man mit den eigenen Positionen wenig gewinnen kann. Seehofers Unbehagen mit „Black Lives Matter“ und den Berichten über Amthor-Eskapaden dürften ausreichen, um ihn zu motivieren.

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Dass Seehofer eine Verbindung gezogen hat zwischen der „taz“-Kolumne und der Randale in Stuttgart – als würden junge, betrunkene Männer der Stuttgarter Partyszene die „taz“ zwischen den Zeilen lesen und als Aufforderung begreifen – zeugt von der Skrupellosigkeit des Innenministers. Vor allem, weil sich ebendieser Seehofer über die Verwüstung von Leipzig Connewitz durch Nazis deutlich weniger aufgeregt hat.

Agenda Cutting funktioniert am besten mit spektakulärer Übertreibung, weil auf diese Weise die Gegenseiten angeregt werden, selbst scharf zu widersprechen. Erst durch einen vielstimmigen Schlagabtausch entsteht die Diskurs-Lautstärke, die man braucht, um andere Themen zu verdrängen. Dadurch wächst bei publizistisch arbeitenden Menschen der Drang, sich auch äußern oder protestieren zu müssen.

Quelle     :            Spiegel-online          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —        Markus Söder und Horst Seehofer zu Beginn des CSU-Parteitags am 15. September 2018 in München. In der zweiten Reihe (v.l.n.r.) Joachim Herrmann, Theo Waigel, Edmund Stoiber, Ilse Aigner. Titel des Werks: Söder und Seehofer – CSU-Parteitag 2018

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