Der Westen ist nicht bedroht
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 31. Dezember 2014
Die muslimische Welt und der Westen
VON CHARLOTTE WIEDEMANN
ISLAM Muslime ringen heute mit sich selbst, nicht mit dem Abendland. Wir werden nicht mehr gebraucht – auch nicht als Zielscheibe
An einem schwarzen Tag in diesem Winter starben 132 pakistanische Kinder bei einem Attentat auf ihre Schule. Zur selben Zeit wurden 15 jemenitische Kinder in ihrem Schulbus Opfer einer Bombe. Von einem Angriff auf den Westen sprach niemand.
Nicht einmal westliche Werte ließen sich zitieren, wurden doch an diesem Tag ganz offensichtlich islamische Werte in den Boden gestampft: Fürsorge für Schwache, Kinderliebe, der hohe Rang der Familie.
Nur aufgrund ihrer großen Zahl hatten die toten Kinder einen Nachrichtenwert. Ein Wert, der zivilen muslimischen Opfern gewöhnlich nicht zukommt. So rückte der düstere Dezembertag für einen Moment ins Licht, was sonst unbeachteter Alltag ist: Wo islamisch verbrämter Terror wütet, sterben vor allem Muslime.
Anders gesagt: Die Konflikte, Kämpfe und Kriege in der islamischen Welt werden vor allem unter Muslimen ausgetragen – und nicht gegen den Westen oder dessen vermeintliche Statthalter.
Der IS muss herhalten
Dies gilt auch und gerade für den „Islamischen Staat“ (IS), der in einer so grotesken wie tragischen Verzerrung globaler Größen- und Mehrheitsverhältnisse immer dann herhalten muss, wenn im Westen jemand eine neue Theorie über den Islam auf den Markt werfen will.
Doch es sind keine westlichen Werte, die der IS zu zermalmen sucht, sondern uralte Werte des Nahen Ostens, eine über Jahrhunderte praktizierte religiöse und kulturelle Pluralität, die es im Westen in dieser Form nie gab. Der IS nutzt die ekstatische westliche Aufmerksamkeit überaus professionell, spielt mit ihr – aber er braucht den Westen nicht.
Die Epoche, in der sich ein politischer Islam am Westen abarbeitete und gegen den Westen eine muslimische Identität zu konstruieren suchte, geht ihrem Ende zu – wenn sie nicht schon vorbei ist. Es war die Furcht vor einem übermächtig wirkenden Europa, aus der im 19. Jahrhundert der politische Islam entstand: ein Europa, das industriell revolutionär, wirtschaftlich expansiv und kolonial aggressiv war – und sich anschickte, den muslimischen Osten „spurlos verschwinden zu lassen“.
Das waren die Worte Dschamal al-Din al-Afghanis, 1838 in Nordpersien geboren, eines reisenden Denkers, der als Erster Islam und Westen als Gegensatz verstand. Sein Einfluss blieb prägend, noch für die Revolution in Iran 1979. Heute indes spricht Irans geistlicher Führer Ali Chamenei von einer „neuen Weltordnung“.
Der Westen ist nicht der Mittelpunkt
Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen
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