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Der Tod aus der Luft

Erstellt von DL-Redaktion am Montag 24. Mai 2021

„Türkische Drohnen sind zu Game-Changer auf die (PKK) im Nordirak geworden.“

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Von Bartholomäus Laffert

Seit Jahren führt die Türkei einen Drohnenkrieg gegen die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak. Immer häufiger werden Zi­vi­lis­t:in­nen Opfer dieses Kriegs. Ende April hat Ankara eine neue Offensive gestartet.

Der Donner hallt wider von den Felswänden der Kandil-Berge, als Mina Abdullah die Beweisstücke aus dem Kofferraum seines Geländewagens holt. Zwei Stück rostiges Metall. „Das sind die Reste der Rakete, die die Türkei abgeschossen hat“, sagt der 57-Jährige. „Es ist ein Wunder, dass niemand getötet wurde.“

Es ist Anfang April, als Mina Abdullah von dem Angriff erzählt, der das Dorf für immer verändert hat. Am 15. Februar 2021 feuerte eine türkische Kampfdrohne sieben Raketen auf Abdullahs Heimatdorf Shenie am Fuße der Kandil-Berge, wenige Kilometer entfernt von der iranischen Grenze, und verletzte dabei eine zivile Person schwer. Zwei Drittel der Be­woh­ne­r:in­nen hätten seitdem das Dorf verlassen, er selbst habe seine zwölf Kühe verkauft, weil es inzwischen zu gefährlich sei, die Tiere hinauf in die Berge zu treiben, sagt Abdullah. „Fast jeden Tag fliegen die Drohnen über dem Dorf, und immer, wenn es donnert, zucken die Kinder zusammen und rufen: Bombardieren sie uns wieder?“

Wir stehen auf einer Anhöhe wenige Kilometer entfernt von Shenie, mit dem Finger wischt Mina Abdullah auf seinem Smartphone über die Fotos von eingestürzten Hauswänden. Eigentlich hatte er uns in sein Dorf eingeladen, doch die Soldaten am irakischen Checkpoint haben uns aufgrund von Sicherheitsbedenken die Durchreise verweigert. „Sie wollen nicht, dass jemand darüber spricht, was hier passiert“, glaubt Abdullah.

Was derzeit in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak passiert, ist eine weitere Etappe eines Kriegs, der seit mehr als zwei Jahrzehnten weitgehend fernab der Aufmerksamkeit internationaler Medien ausgetragen wird. Eines Kriegs, den die Türkei gegen die Milizen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) führt, die von der Türkei und ihren Nato-Partnern Deutschland, EU und USA als Terrororganisation eingestuft wird – und dem immer mehr Zi­vi­lis­t:in­nen zum Opfer fallen. Es ist ein Krieg, der seit Ende April erneut eskaliert.

Am 23. April hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine neue Offensive unter dem Namen „Operation Klauenblitz“ gegen die PKK im Nordirak gestartet und die Regionen Metîna, Avaşîn und Zap aus der Luft angreifen lassen. „Mehrere Terroristen wurden neutralisiert“, erklärte Erdoğan kurz darauf in einer Videobotschaft. Ziel der Offensive sei es, die „Terrorbedrohung“ entlang der türkischen Südgrenze „vollständig zu beenden“. Die PKK erklärte kurz darauf, der Widerstand gegen die Invasion der türkischen Armee sei ein Kampf von „historischer Bedeutung“, der verhindern solle, dass die Türkei an der Grenze eine Pufferzone einrichte und mit der Besatzung die Kontrolle über die kurdischen Gebiete im Irak erlange.

1978 hatte der kurdische Politiker Abdullah Öcalan gemeinsam mit anderen Aktivisten die marxistische kurdische Partei PKK gegründet. Infolge der verstärkten Repression gegen Kur­d:in­nen nach dem Putsch im Jahr 1980 begann die PKK 1984 den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat, in dem bis heute etwa 40.000 Menschen gestorben sein sollen. Schon Anfang der 90er hatte die PKK ihr Hauptquartier in die Kandil-Berge verlegt. Im Jahr 1992 hatte der irakische Diktator Saddam Hussein der Türkei erlaubt, die PKK auf irakischem Territorium zu bekämpfen. Sechs Jahre später verpflichteten sich die beiden größten kurdischen Parteien im Nordirak im von den USA mediierten Washington-Agreement, der Türkei im Kampf gegen die PKK zu helfen. Das türkische Militär bekam die Erlaubnis, Operationen bis 40 Kilometer ins Landesinnere durchzuführen. „Der Kampf gegen die PKK sichert die Raison d’Être der Autonomieregion Kurdistan“, sagt die Politikwissenschaftlerin Dastan ­Jasim, die am GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg forscht.

Im Zuge der Friedensgespräche zwischen der Türkei und der PKK hatte sich die Guerilla 2013 bereit erklärt, sich komplett aus der Türkei in die Kandil-Berge zurückzuziehen. Doch der Abbruch der Gespräche hat den Kampf 2015 neu entfacht. Es ist ein Krieg, den die Türkei ohne Bodentruppen und vorwiegend mit Drohnen führt.

„Eigentlich sollten Drohnen dazu führen, zivile Schäden zu begrenzen“, sagt Chris Woods von der britischen Nichtregierungsorganisation Airwars, die Daten zu Luftkriegen auswertet. „Trotzdem sehen wir im vergangen Jahr einen Anstieg um 31 Prozent von Vorfällen, bei denen Zi­vi­lis­t:in­nen betroffen sind.“ Zwischen 27 und 33 Menschen seien dabei getötet worden. Die Menschenrechtsorganisation Christian Peacemaker Team (CPT) zählt seit 2015, dem Ende der Waffenruhe, 99 zivile Todesopfer und 109 Verletzte in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak.

Es ist ein Freitag Ende März. Bakr Baiz Ali, ein kleiner Mann in Anzug und Adiletten, steht unter der Eiche auf seiner Veranda in der Kleinstadt Qalat Dizah, als er uns begrüßt. „Diese Angriffe sind das Resultat eines innenpolitischen Konflikts in der Türkei, und doch sind wir es, die den Preis dafür zahlen müssen“, sagt der 56-Jährige. Er ist Bürgermeister der Region Peshdar im Nordosten des Irak, wo knapp 150.000 Menschen leben. Auch das Dorf Shenie gehört zu seinem Regierungsbezirk.

Elf Mal sei die Region im vergangenen Jahr angegriffen worden, 3.399 Menschen seien vertrieben worden, 48 Dörfer hätten evakuiert werden müssen. Auch die Stadt Qalat Dizah mit ihren 80.000 Be­woh­ne­r:in­nen ist 2019 Ziel eines Angriffs geworden, als die Türkei auf dem Universitätsgelände einen PKK-Kämpfer bombardiert hat.

Für Bakr Baiz Ali ist die Schuldfrage schnell beantwortet: „Wir sind Opfer einer türkischen Staatsmentalität, die nach Expansion strebt, weil sie davon ausgeht, dass wir noch immer in Zeiten des Osmanischen Reichs leben. Die PKK wird als Vorwand genommen, um die Expansion weiterzuführen.“ Dabei sei die PKK lediglich die Reaktion auf eine autoritäre Staatsführung innerhalb der Türkei. „Jeder, der sich auflehnt, wird als Terrorist diffamiert.“

Das Schlimmste sei die Instabilität, die nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat im Jahr 2017 in der Region durch die türkischen Drohnen geschaffen werde. „Wir wissen nicht, ob wir unsere Kinder heute zur Schule schicken oder ob wir morgen unsere Felder bestellen können. All das hängt von der Stimmung der türkischen Remote-Piloten ab“, sagt Bakr Baiz. Er fühle sich hilflos, weil er – obgleich Bürgermeister – die Betroffenen nicht einmal entschädigen könne. Zwar schicke er nach jedem Drohnenangriff einen Bericht in die Hauptstadt der Autonomieregion, nach Erbil, doch die Regierung ignoriere seine Bitten um Hilfsgelder meist.

Dies hat auch damit zu tun, dass die regierende Partei in Erbil, die Demokratische Partei Kurdistans (PDK) der Barzani-Familie, eng mit der Türkei zusammenarbeitet. „Es gibt lange geheimdienstliche, militärische und auch wirtschaftliche Verstrickungen zwischen der Türkei und den kurdischen Parteien im Nordirak“, sagt die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim.

Inzwischen hat die Türkei im Einverständnis mit der Regierung der kurdischen Autonomieregion in Erbil insgesamt 37 Militärbasen auf irakischem Territorium errichtet. Laut Recherchen der Menschenrechtsorganisation CPT auch jene, von denen aus die ­Bayraktar-TB2-Drohnen gesteuert werden, die einen Großteil der Angriffe im Nordirak fliegen. Wahrscheinlich auch jenen Angriff, der sich am 27. Juni 2019 in Bakr Baiz’ Regierungsbezirk ereignete. Auf der Zickzackstraße, die in die Kandil-Berge führt.

Die Zitadelle von Erbil, seit 2014 UNESCO-Weltkulturerbe

Eine Gänsefamilie watschelt über den islamischen Friedhof in Chwarqurna, am Himmel hängen schwere, dunkle Wolken. Mamost Mohammed Abdallah Ally trägt eine Sonnenbrille und stützt sich mit dem linken Arm auf seinen Krückstock, mit dem rechten auf den Grabstein. Nebeneinander sind hier sein Vater, sein Bruder Haryed und seine Schwester Kurdistan begraben, gestorben mit 43, mit 18 und mit 29 Jahren. In den Beton, in den die Gräber eingelassen sind, hat jemand geritzt: „Hier ruhen die Märtyrer der Zickzackstraße“.

„Das Tragischste an der ganzen Sache ist“, sagt der 33-Jährige, als er später die Bilder von der Unglücksstelle zeigt, „dass ich mit diesem Lastwagen Kekse für eine türkische Firma ausgeliefert habe und uns dann ausgerechnet eine türkische Rakete zerbombt hat.“ Bei dem Angriff am 27. Juni 2019 wurden laut Angaben der PKK drei Guerillas getötet – und drei von Allys Familienangehörigen. Sein Bein wird zerfetzt, er verliert einen Teil seines Gehörs.

An jenem Tag hätten sie das Dorf ­seines Vaters in den Bergen besucht. Ally, die Eltern, seine Frau, die zwei ­Kinder und zwei seiner Geschwister. Als sie sich am Nachmittag auf den Heimweg ins Tal machten, sei ein Wagen dicht hinter ihnen gefahren. „Wir waren uns sicher, dass das ein PKK-Pick-up war, und wollten ihn an uns vorbeiwinken“, sagt Ally. Doch das Auto habe sie weiterhin verfolgt, bis es plötzlich in einer Kurve versucht habe, sie zu überholen. In diesem Moment habe es den ersten Einschlag gegeben, dann den zweiten, er sei aus dem Auto geschleudert worden. Erst habe er die Mutter aus dem Auto gehievt, dann seine Frau und die Kinder. Für die anderen habe er nichts mehr tun können. Seine Schwester sei von der Rakete in den Bauch getroffen worden. „Es sah aus, als hätte sie jemand am Sitz festgenagelt.“ Ihre Körper verbrannten. Die Überreste liegen jetzt auf dem Friedhof in Chwarqurna.

Quelle       :          TAZ        >>>>>          weiterlesen

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