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RENTENANGST

Der soziale Verfall…

Erstellt von Gast-Autor am Sonntag 1. Juli 2012

Partei DIE LINKE lässt sich indizieren
am Brief des Werner Schulten:

Offener Brief von Werner Schulten – Berlin

An den Parteivorstand der Partei DIE LINKE.
Kleine Alexanderstr. 28
10178 Berlin

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich schreibe dies als Offenen Brief, weil ich der Meinung bin, dass die hierin geschilderten Probleme in der Partei diskutiert werden müssen.

Als ich am Sonntagmorgen meinen Briefkasten öffnete, lag dort der Tropfen, der meine Verärgerung der letzten Zeit zum Überlaufen brachte. Ich habe mir eine Nacht des Überschlafens gegönnt und bin zum Schluss gekommen, nicht aus meiner Partei auszutreten, sondern ihr die Chance zu geben, ihrem Anspruch, anders und solidarischer zu werden als alle anderen Parteien, doch noch gerecht zu werden.

Was war dieser letzte Tropfen?
Im letzten Jahr hatte ich mit dem Bundesschatzmeister vereinbart, eine BahnCard zu beantragen, da diese aufgrund meiner Reisetätigkeiten für den PV zu Einsparungen für die Partei führen würde. Die BahnCard verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn sie nicht 6 Wochen vorher gekündigt wird. Dies hätte ich zu einem Zeitpunkt tun müssen, als ich noch nicht davon ausgehen konnte, nicht mehr wiedergewählt zu werden. Meine Zahlungsverpflichtung hierzu entstand noch während meiner Tätigkeit im PV, bezahlt habe ich sie am 06. Juni, die Kostenerstattung beantragt am 07. Juni. Gestern fand ich meinen Antrag mit dem u. Vermerk versehen, wieder in meinem Briefkasten.

Weit mehr noch, als die Tatsache, dass ich nun auf den Kosten von 122 Euro sitzen bleibe für eine BahnCard, die ausschließlich für meine Tätigkeit im PV beantragt wurde, ärgert mich die Art des Umgangs mit Genossen. Kein Brief, keine Erklärung hierzu, nicht einmal ein Gruß.

Unabhängig davon, dass ich natürlich persönlich enttäuscht bin, halte ich es für wichtiger, das grundsätzliche Problem zu erörtern. Ich werde den Verlust verkraften können, auch wenn ich nur eine Rente beziehe, die unterhalb der Grundsicherung liegt.

Mit mir wurde 2010 erstmals ein Vertreter der Erwerbslosen und von Hartz IV Betroffener in den Parteivorstand gewählt. Auf dem gleichen Parteitag wurde ein Antrag an den Bundesausschuss überwiesen, der u.A. zum Inhalt hatte, dass eine Aufwandsentschädigung für die Mitglieder des PV gezahlt wird, die keine Mandatsträger sind. Der BA verwies diesen zur weiteren Bearbeitung an den PV, dieser übergab ihn an eine Arbeitsgruppe „Vorstandsvergütungen“. Als diese nach mehrfacher Anmahnung durch den BA kurz vor Ende der Amtszeit des PV ihre Vorschläge unterbreitete, war von diesem Antrag ebenso wenig die Rede wie von dem mehrfach im PV angesprochenen Problem der Erstattung der finanziellen Aufwendungen einkommensschwacher Mitglieder.

Fakt ist: Ich kann froh sein, nicht mehr wiedergewählt worden zu sein, da ich mir weitere zwei Jahre Parteivorstand finanziell nicht mehr hätte leisten können. Es ist nicht damit getan, Reise- und Übernachtungskosten erstattet zu bekommen, jeder Angestellte erhält bei mehrtägigen Reisen für sein Unternehmen aus gutem Grund Verpflegungsmehraufwandspauschalen. Meine Handykosten sind in den beiden letzten Jahren erheblich gestiegen. Einen eigentlich notwendigen Laptop konnte ich mir erst gar nicht leisten. Dass ich für meine ehrenamtliche Tätigkeit in der Partei (PV, BAG Hartz IV, BV Berlin Mitte und BO Arbeit waren mehr als ein Fulltime-Job) keinen finanziellen Ausgleich erwartet habe, ist selbstverständlich, dass aber ein ALG II – Bezieher in dieser Partei, die zu Recht die zu niedrigen Regelsätze anprangert und Solidarität einfordert, auch noch Geld mitbringen muss, um seine Arbeit für diese ausführen zu können, ist einfach nur schäbig.

Dies lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder handeln die Mitglieder unserer Partei, die auf ein gesichertes Einkommen zurückgreifen können, völlig gedankenlos, oder es ist nicht gewollt, dass Einkommensschwache in exponierte Stellungen kommen, um nach den Wahlerfolgen der Jahre 2005 bis 2010 das Schmuddelimage der „Hartz IV – Partei“ loszuwerden. Für Letzteres spricht viel. So wurde z.B. Elke Reinke nach einer Legislaturperiode im Bundestag ein sicherer Listenplatz verwehrt mit der Begründung, sie habe ja nur „Betroffenenpolitik“ gemacht. Mein Vorhaben, in meiner Amtszeit im PV ein umfassendes Konzept zur Sozialen Mindestsicherung zu erarbeiten, im PV zu diskutieren und einem BPT zur Beschlusslage vorzulegen, wurde mit allen Mitteln verhindert. So wurde einmal eine Beschlussunfähigkeit bewusst durch Verlassen des Raumes hergestellt und die Höhe einer Mindestrente quasi im Handstreich wie auf einem orientalischen Bazar beschlossen (zur Information füge ich meine Persönliche Erklärung von dieser Sitzung bei).

Die Vorgänge vor und während des Parteitages in Göttingen haben mir gezeigt, dass diese Partei eben nicht auf dem Wege ist, eine Partei zu werden, die anders ist als alle Anderen. Macht- und Flügelkämpfe haben nach meiner Meinung dazu geführt, dass DIE LINKE inzwischen eine Partei ist, die nur noch aus zwei Flügeln besteht und deren Solidarität mit den Menschen, insbesondere den durch den Kapitalismus am stärksten benachteiligten, aus reinen Lippenbekenntnissen besteht. Die ganze Strategiedebatte wird von großen Teilen doch nur mit dem Ziel geführt, eine andere Klientel anzusprechen. Ein Zitat aus der letzten Woche „Wir müssen unsere Politik anders ausrichten. Wir müssen mehr die Bildungsbürger ansprechen statt die 1,50 € Zahler.“

Diesen GenossInnen halte ich vor, Soziale Gerechtigkeit nur noch als leere Worthülse zu benutzen. Soziale Gerechtigkeit kann man aber nur erreichen, indem man die weit geöffnete und sich in immer schnelleren Tempo weiter öffnende Schere so weit wie möglich wieder schließt. Hierzu bedarf es des Ansatzes ganz oben und ganz unten. Ihre großen Erfolge hat DIE LINKE genau mit dieser Zielstellung erreicht. Ein Schielen nach der Mitte der Gesellschaft macht sie überflüssig wie einen Kropf.

Die Schlussfolgerung, wir hätten ja viele Wähler aus der Mittelschicht und dem Bildungsbürgertum und müssten deshalb deren Interessen mehr vertreten, ist ein Trugschluss, Diese Menschen haben ein soziales Gewissen und wählen uns gerade wegen unseres Kampfes gegen die ungerechte Gesellschaftsordnung und für die Prekarisierten.

Werner Schulten
Berlin, 18.06.2012

Persönliche Erklärung von Werner Schulten zum Beschluss des PV „Alterarmut verhindern, Lebensstandard sichern – rentenpolitische Eckpunkte der Partei DIE LINKE“

Nachdem der PV meinem ausführlich begründeten Absetzungsantrag des o. Tagesordnungspunktes mehrheitlich nicht gefolgt ist, habe ich mich an der Debatte und den Abstimmungen hierzu nicht beteiligt. Ich möchte die Gründe hierfür nennen:

Wie bereits in meinem o. Antrag dargelegt, hat der PV im März 2011 eine Informationsvorlage zur Kenntnis genommen, dass die beiden für Sozialpolitik zuständigen Mitglieder gemeinsam mit den schwerpunktmäßig mit dem Thema befassten Zusammenschlüssen ein Konzept zur Sozialen Mindestsicherung erarbeiten, um es dem PV zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen. Die ursprüngliche Absicht, dieses auf der jetzt stattfindenden Beratung vorzulegen, wurde wegen berechtigter Bedenken angesichts des bevorstehenden Programmparteitags fallengelassen. Ungeachtet dessen wird an diesem Konzept seit rund einem halben Jahr gearbeitet. Eine 60-seitige Studie zur notwendigen Höhe existenz- und teilhabesichernder monetärer Transfers ist bereits fertig gestellt und bedarf lediglich einer redaktionellen Überarbeitung.

Ohne Einhaltung unserer eigenen Geschäftsordnung wurde stattdessen jetzt die weitestgehend in der Bundestagsfraktion erstellte Vorlage zum oben genannten Beschluss weniger als vier Tage vor der Beratung vorgelegt. Eingeladen hierzu wurde lediglich der Rentenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, nicht jedoch Vertreter der, wie es §7 Abs. 3 unserer Satzung vorsieht, schwerpunktmäßig mit dem Thema befassten Zusammenschlüsse. Die beschlossenen Eckpunkte haben weitreichende Wirkung nicht nur auf Höhe und Zugang zu einer Mindestrente, sondern auch auf die Höhe der von der Partei DIE LINKE geforderten Mindestsicherungen im SGB. Die der Vorlage angefügten „Hintergrundinformationen“ befassten sich nicht mit der Frage, welche Höhe der Mindestrente zu einem Leben zur Existenz- und Teilhabesicherung notwendig wäre, sondern mit der Korrelation zu unserer Mindestlohnforderung und den daraus resultierenden notwendigen Erwerbszeiten von Durchschnittsverdienern, dem allgemeinen Einkommensniveau und der Höhe eines – in unserer Partei noch nicht existierenden – Mindestsicherungskonzeptes. Um verantwortlich über die notwendige Höhe einer Mindestrente entscheiden zu können, hätte dem PV jedoch ausreichendes Informationsmaterial hierzu vorliegen müssen, wie etwa die im Rahmen der Erarbeitung eines Mindestsicherungskonzeptes der Arbeitsgruppe des PV erstellte oben zitierte Studie. Entsprechend erinnerte mich auch die Abstimmung über die Höhe der Mindestrente an einen orientalischen Bazar. Mit dem Ergebnis, dass wir mit der geforderten Höhe von 900 Euro nicht nur hinter die bisher verwendete Formel – 500 Euro Eckregelsatz plus KdU in Berlin – zurückfallen, diese liegt nämlich auf Basis der notwendigen KdU von 2010 bereits bei 943,50 Euro, sondern fallen mit der beschlossenen Vermögensprüfung sogar hinter die Forderung der CDU zurück, die in dem Vorschlag von Ursula von der Leyen keine Vermögensprüfung vorsieht.

Dass wir uns hiermit nicht mehr an der Seite der Sozialen Bewegungen und Erwerbsloseninitiativen befinden, sei [nur] der Vollständigkeit halber erwähnt.

Die jetzige Entscheidung des PV macht eine Weiterarbeit an unserem Konzept zur Sozialen Mindestsicherung überflüssig. Eine weitere Aufrechterhaltung der Zuständigkeit für Sozialpolitik im Parteivorstand ist mir aufgrund des Umgangs mit meiner Arbeit nicht mehr möglich. Über den Sinn eines weiteren Verbleibs im Parteivorstand werde ich nachdenken müssen.

Berlin, 16.10.2011

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Grafikquelle   :   Wikipedia – Uerheber : Blömke/Kosinsky/Tschöpe

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2 Kommentare zu “Der soziale Verfall…”

  1. Jens-Uwe Habedank sagt:

    Einst plakatierte man „Weg mit Hartz 4“; meinte es wohl dann doch nicht so „Ernst“- wenn ich mir da mal die Forderungen nach Erhöhung um 80,– Euro dieses Herrn durch den Kopf gehen lasse…
    Aber, es betätigt sich auch durch den LPT am letzten WE in Münster, nun gilt wohl eher „Weg mit den Hartzlern“…?

  2. Bernd Höfler sagt:

    Ist ja lustig: Da beschwert sich der Werner Schulten, „man“ ignoriere die Geschäftsordnung, weil dieses Vorgehen nicht in seinem Sinne ist.
    Als er vor einem guten halben Jahr von mir darauf hingewiesen wurde, dass sein Verhalten in einer bestimmten Sache nicht satzungsgemäß sei, war ihm das recht egal.
    Er beklagt auch, dass die Partei ihn finanziell im Regen stehen lässt, hilft aber selbst mit, dass Parteigelder für Reisen sog. „Delegierter“ und Gründung einer LAG von Leuten verbraten werden, die offensichtlich unfähig und entgegen demokratischer Spielregeln ihre Süppchen kochen. Insofern hält sich mein persönliches Mitleid in Grenzen.

    Argumentativ und in seiner inhaltlichen Aussage gehe ich aber durchaus mit ihm konform.
    Die LINKE hat in ihren Anfangszeiten die Thematik „Hartz IV“ als Mittel zur Bauernfängerei benutzt und sucht nun nach anderen Wählern. Die „elitären Kreise“ der Partei wollen sich ja schließlich auch nicht mit Erwerbslosen und alkoholisierten „Hartzern“ umgeben und diese auch nicht in ihren erlauchten Kreisen haben.

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