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DER ROTE FADEN

Erstellt von Redaktion am Sonntag 4. August 2019

Warum esst ihr Türken kein Schweinefleisch?

Roter Faden Hannover rote Zusatzmarkierung.jpg

Durch die Woche mit Ebru Taşdemir

Es war 1992. Mein Abi hatte ich gerade mal so bestanden und brauchte zum Erwachsenfühlen noch einen Führerschein. Aber keine Pappe ohne diesen verfluchten sechsstündigen Erstehilfekurs am Wochenende. Ich stolperte in den stickigen kleinen Raum hinein und knallte voll in einen Michael, wie er mir später erzählte.

Michael wurde mein erster deutscher Fastfreund. Wir tauschten Telefonnummern aus. Es waren die letzten Tage im Ramadan, und meine Eltern waren ständig zum Fastenbrechen bei Nachbarn eingeladen. Ich nutzte die Zeit für lange Telefonate mit Michael und hing das ganze Ramadanfest hindurch an der Strippe. Unser Telefon stand im Flur, das Kabel reichte bis kurz hinter meine Zimmertür. Meine Mutter schwirrte alle fünf Minuten ins Zimmer und deutete auf die Besu­che­r*in­nen in unserem Wohnzimmer, die auf den Tee warteten. Als es ihr dann reichte, drohte sie damit, das Telefonkabel aus der Steckdose zu ziehen. Michael fragte, ob wir morgen ins Kino wollten. Ich legte auf und servierte brav Tee und Gebäck. Der nächste Tag musste ja gerettet werden.

War der Film eigentlich scheiße oder gut? Keine Ahnung. Aber an das Danach erinnere ich mich. Michael und ich und standen an einer Bratwurstbude. Er bestellte. Ich schaute mich um. „Willst du nix essen?“, fragte er. „Nö“, antwortete ich. Er biss in die Bratwurst. Dann stellte er die Frage, die die Geigenmusik in meinem verknallten Kopf verstummen ließ. „Warum esst ihr Türken eigentlich kein Schweinefleisch?“ Die Geige im Kopf setzte kurz noch einmal an, aber das schiefe Geschrammel klang wie Ferkelgequieke.

Als ich meinen Vater abends nach dem Grund fragte, sagte er das, was alle so sagen: „Das Schwein ist nicht hygienisch, dreckiges Tier bla bla bla.“ Aber auch wenn das Schwein jeden Tag duschen und sich dreimal am Tag die Zähne putzen würde, ich glaube, dieser Abscheu vor dem Schwein wäre immer noch da. Ganz davon abgesehen, dass auch Hühner, dieser Logik folgend, nicht hygienisch sind, sie fressen ihren eigenen Kot, genau wie Schweine.

File:Schlachtung2.jpg

Sigmund Freud sagt, dass der Ekel die Ambivalenz von Abwehr und Lust darstellt. Am einfachsten ist die Abgrenzung durch solch ein deutliches Nahrungstabu. Aber wer hätte 1992 gedacht, dass es im Jahr 2019 Morddrohungen gegen eine Leipziger Kita geben könnte, nur weil auf dem Speiseplan keine Schweinswürstel mehr stehen?

Quelle     :       TAZ       >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben    —    Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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