DER ROTE FADEN
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 6. März 2019
Spülmaschine, Integrasyon, Schnuckis
Durch die Woche mit Ebru Taşdemir
Kolumnen sind auch nur Nebelkerzen von Solipsist*innen – Betrachtungen des eigenen Bauchnabels packen Nahrungsaufnahme und Stoffwechsel, Ängste, Triebbefriedigung und ein Quäntchen Netflix in politische Forderungen, in Analysen unserer Zeit und gaukeln im besten Falle ein wenig Intimität vor („neulich beim Dönermann“), damit der Leserin ein Augenrollen, eine wütende Faust oder ein Lächeln entlockt wird.
Beginnen wir also mit der einfachsten, der leichtesten Übung: dem Augenrollen.
Meine Spülmaschine ist wie Europa. Sie glänzt von außen, verspricht viel mit ihren acht Programmen, aber im Inneren, im Maschinenraum, da rumpelt es. Bei gutem Spülgang kleben nur Nudelreste an den Gläsern, an schlechten Tagen tut sie einfach so, als ob sie an ist, und schaltet sich hinterlistig selbst aus. Bei jedem Befüllen keimt Hoffnung auf. Dass dieses Gerät endlich das tut, was es so großkotzig verspricht: spülen und mich nicht hängen lassen, wenn Gäste Sekt aus reinen Gläsern wünschen
Ja, wie soll man denn sonst anstoßen auf die neue „Ära der Kooperation“ zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und den Ländern der Arabischen Liga? Sobald es um das böse Wort Migration geht, sitzen Despotenstaaten wieder am EU-Tisch. Lustig, wenn man so halbwegs an allen Fingern und Zehen abzählen kann, wie oft seit 1963 der Türkei die Menschenrechtslage (zu Recht) als Hindernis für einen EU-Beitritt verkauft wurde.
„Also respektiert unsere Werte, wie wir eure Werte respektieren“, sprach Ägyptens Präsident al-Sisi auf der Abschlusspressekonferenz am Dienstag und ließ das Mikrofon fallen – also im übertragenen Sinne – und ganz viele saßen augenrollend in den ersten Reihen, aber niemand rief: „Warte mal, war Ägypten nicht das Land, das innerhalb von drei Wochen mehrere Hinrichtungen gerichtlich anordnete?“ EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jedenfalls, so konnte man lesen, habe nach dem verbalem Ausfall des ägyptischen Präsidenten erwähnt, dass er die Menschenrechtslage doch erwähnt habe. Augenroll.
Zweite Übung: Das Wütend-mit-der-Faust-Winken
Ungefähr zeitgleich mit dem Gipfel taucht auf meiner Facebook-Zeitleiste ein Video eines missglückten Drehversuchs mit dem Comedian Özcan Coşar auf YouTube auf. Eigentlich kein Thema. Aber doch: im November 2018 fährt ein Kamerateam des öffentlich-rechtlichen Radiosenders 1LIVE nach Dortmund-Dorstfeld. Berüchtigt ist der Kiez für sein hohes Aufkommen an Händehochstreckern und Holocaustverweigerern. Dort ist „Nazikiez“ an die Wände gesprüht, mehrmals. Aber ist bestimmt ein super Stadtteil, und Dortmund ist eh super. Also für alle diejenigen, die nicht dort wohnen müssen.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
——————————————————————-
Grafikquellen :
Oben — Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs