DER ROTE FADEN
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 2. Mai 2018
Freiheit für Nepomuk und den Herrgottswinkel!
Durch die Woche mit Klaus Raab
Identitätsdiebstahl
In dem kleinen Ort in Bayern, aus dem ich komme, stand lange eine Steinstatue des heiligen Nepomuk an einer Bachbrücke. Eines Tages war sie restaurierungsbedürftig; sie verschwand also, was in Ordnung war – bis irgendwann auffiel, dass sie verschwunden blieb. Nepomuk stand nun an einem geschützten Platz im Landratsamt. Das sei zu seinem Besten, hieß es. Aber die Leute aus meinem Ort witterten, was Phase war: Die mächtige Kreisstadt hatte sich unseren Nepi unter den Nagel gerissen. Kunstraub! Identitätsdiebstahl! Da war was los.
Selbst Teenager, denen der Heilige bis dahin komplett schnurz gewesen war, pappten sich nun „Freiheit für Nepomuk“-Aufkleber auf ihre Stoßstangen und skandierten Slogans, die sich das Ortsmarketing nicht besser hätte ausdenken können. „Das“ würden „wir“ uns von „denen da oben“ nicht gefallen lassen. Es steckte viel Gefrotzel in der Auseinandersetzung, doch da war auch ein interessanter Punkt: Die Selbstverortung und -verteidigung begann just in dem Moment, in dem das Eigene verloren zu gehen drohte.
Die Geschichte ist mir in dieser Woche wieder eingefallen, als ich von Bayerns Kreuz-Entscheid hörte. Der neue Ministerpräsident, Gott schütze ihn, hat, wie man an jeder mecklenburgischen Fischbude mitbekommen haben dürfte, verfügt, dass in bayerischen Behörden künftig Kreuze zu hängen haben. Weniger in ihrer Eigenschaft als religiöses Symbol des Christentums denn als „Bekenntnis zur Identität“ und zur „kulturellen Prägung“ Bayerns, wie Markus Söder sagte. Damit brachte er eine Batterie von Leuten gegen sich auf, die das für einen Wahlkampftrick zur Abgrenzung gegenüber dem Islam erachten. Womit diese Leute zu 100 Prozent recht haben.
Markus-Kreuz
Die Aktion ist in ihrer Durchsichtigkeit wirklich erstaunlich armselig. Das Markus-Kreuz will sagen, dass jene, die angeblich grenzenlos ins Land drängten, obwohl deren Religion angeblich nicht zu Deutschland gehöre, nicht die Oberhand gewinnen werden. Es ist das Zeichen der Kompensation eines eingebildeten Verlusts.
Trotzdem glaube ich, dass Söder schlau handelt (nicht zu verwechseln mit klug). Man zeige im Bekanntenkreis ein Foto eines Herrgottswinkels herum und frage: Wo ist das? Die Antwort wird sein: in Bayern. Es stimmt, wenn Söder sagt, das Kruzifix sei kulturell prägend.
Seine Einlassungen mag man in bayerischen Universitäten, Oppositionsparteien und auch Pfarrhäusern also albern, billig, bigott, blasphemisch, verfassungsrechtlich grenzwertig, zum Kotzen oder gefährlich finden – da ist die Erregungsspirale nach oben offen. Er dürfte bei denen, die er ansprechen will, damit aber schon intuitiv verstanden werden: Kreuz = Heimat – Islam = nicht Heimat.
Immenhof
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs