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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 11. Mai 2022

Sie sind hysterisch? Nehmen Sie es als Kompliment

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DURCH DIE WOCHE MIT ULRICH GUTMAIR

Die Türen zur Regionalbahn gehen auf. Wenige steigen aus, viele wollen rein. Es geht langsam voran. Als ich meinen Koffer die Stufen hochgezogen habe, verstehe ich, warum. Eine Frau steht seelenruhig im Weg, schaut sich um, ruft nach „Zoe“ oder „Chloe“, die sich anscheinend bereits im Zug befindet, und ignoriert dabei geflissentlich die Einsteigenden, die sich verrenken, um an ihr vorbeizukommen.

„Könnten Sie bitte einen halben Schritt zurücktreten, dann könnten wir alle problemlos einsteigen?“, frage ich höflich. Aus dem Habitus der Frau schließe ich, dass sie gut verdient und vermutlich studiert hat. Eine bürgerliche Person. Ich erwarte also die zivilisierte Antwort: „Pardon, sicher, gern.“ Stattdessen erfahre ich von ihr, dass sie eine Tochter hat. Die hier irgendwo rumturnt. Na dann! Es gelingt mir, meinen Koffer vorsichtig um sie herum zu bugsieren, weil sie sich immer noch keinen Zentimeter bewegt, wieso auch, und denke an Anja Maiers genialen Buchtitel „Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter“. Da schiebt die Premium-Mutter beherzt nach: „Keine Panik!“

Hysterisierung des Gegenübers war einst eine beliebte Taktik, Frauen zum Schweigen zu bringen. Denn die Hysterie ist, wie ihr Name schon sagt, als Frauenkrankheit beschrieben worden. Es war eine Errungenschaft gesellschaftlicher Emanzipationsbewegungen, dass nun auch Männer als hysterisch diagnostiziert werden konnten. Der sowjetische Staatsapparat machte sich das zunutze, um den politischen Widerstand von Dissidenten zu diskreditieren. Man sperrte sie als „Hysteriker“ kurzerhand in die Psychiatrie.

Heute machen sich auch privilegierte Frauen in der Regionalbahn die patriarchale Taktik der Hysterisierung zunutze, um ihr Verhalten gegen Kritik zu immunisieren, stelle ich, nun endlich sitzend, bei mir fest. Und da muss ich auch gleich an Olaf Scholz, Jürgen Habermas und diverse Edelfedern denken. Sie alle benutzen dieser Tage gern das Wort „schrill“, um all jene als nicht ganz zurechnungsfähig zu markieren, die argumentieren, dass man die Ukrainer aus politischen und ethischen Gründen mit schweren Waffen versorgen sollte. Dass Habermas, der Theoretiker der demokratischen Öffentlichkeit, sich nun des billigen Hysterisierungstricks bedient, ist traurig.

In der Süddeutschen Zeitung, in der er sich jetzt über „schrille“ Meinungsäußerungen mokiert, las man zwölf Tage vor Kriegsbeginn die Überschrift: „Warum warnen die USA so panisch vor Krieg? Schrille Botschaften Richtung Moskau.“ Heute wissen wir alle, dass die Frage falsch gestellt war. Die Regierung Biden war weder „panisch“ noch „schrill“, sie litt genauso wenig an Hysterie wie die laut Süddeutscher „in Sachen Hysterie nicht gerade zurückhaltende britische Regierung“. Amerikaner und Briten warnten vor etwas, das inzwischen exakt so eingetreten ist.

Quelle       :        TAZ-online           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

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