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DER ROTE FADEN

Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 4. August 2021

Plädoyer für plumpes Denken

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Durch die Woche führt Robert Misik

Ohne Team und Coach gelang der Niederösterreicherin Kiesenhofer der Olympiasieg beim Radrennen. Bald unterrichtet sie wieder Differentialgleichungen.

Es sind ja gerade Olympische Sommerspiele, und ich muss gestehen, dass mich das nicht sonderlich elektrisiert, was aber an Sportarten wie Tauziehen, Pistolenschießen, Dressurreiten oder Golf liegt. So erfuhr ich von der Existenz Anna Kiesenhofers mit ihrem fulminanten Ritt zum Olympiagold im Fahrradstraßenrennen erst, nachdem es schon – nun ja, die Metapher hinkt etwas – „gelaufen“ war.

Kiesenhofer ist 30 Jahre alt, stammt aus Niederösterreich und ist schon eine extrem bemerkenswerte Person. Wahrscheinlich ist sie auch ein wenig ein Nerd. Es sind ja gerade Olympische Sommerspiele, und ich muss gestehen, dass mich das nicht sonderlich elektrisiert, was aber an Sportarten wie Tauziehen, Pistolenschießen, Dressurreiten oder Golf liegt.

Kiesenhofer fährt in keinem Team, hat keinen Coach, ist im allerengsten Sinne eine „Amateursportlerin“. Sie fährt noch nicht einmal bei internationalen Rennen mit, weil sie sich das ohne Sponsoren wohl auch gar nicht so leicht leisten könnte. Daher hatten sie ihre Konkurrentinnen auch nicht auf dem Zettel. Sie kannten sie schlichtweg nicht.

Alleingang einer Gewinnerin

Kiesenhofer fuhr bei dem Rennen zunächst im Führungspulk, setzte sich dann aber sehr schnell ab, eilte allein davon und fuhr den Sieg heim. Das hatte sie wahrscheinlich alles penibel berechnet, denn in ihrem anderen Leben ist sie Spitzenmathematikerin, beschäftigt sich mit undurchschaubaren Differentialgleichungen, bei denen wir Durchschnittsleute wohl nicht einmal die Fragestellung verstehen würden. Sie hat an der Technischen Universität in Wien studiert, in Cambridge und Barcelona Master und PhD gesammelt.

Gegenwärtig forscht und lehrt sie in Lausanne. Sie gibt auf Englisch fantastisch gute und sympathische Interviews. Die Frage, wie sie ihren Triumph jetzt feiern werde, beantwortet sie lachend mit dem Hinweis, dass sie sich jetzt in Niederösterreich in ihrem ehemaligen Kinderzimmer intensiv auf die Vorlesungen des Herbstes vorbereiten müsse, da sie im Vorfeld zu Olympia keine Zeit dafür hatte. Eine Frau, die alles schaffte – und das komplett auf sich allein gestellt.

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Es ist natürlich kein Wunder, dass dieser Sieg sogleich als Metapher für den Triumph von Frauen benützt wird, die es immer noch sehr viel schwerer haben als Männer. Wie Olympia junge Frauen inspirieren kann: „Setzt euch vom Hauptfeld ab“, „reißt aus“, verlasst euch auf niemanden, kommentierte anderntags der konservative Wiener Kurier.

Meine erste, spontane Reaktion war: „Herrlicher Titel“. Aber dann kam ich ins Grübeln. Dass wir uns alle – nicht nur Frauen – vom Hauptfeld absetzen sollen, wir uns niemals auf andere verlassen sollen, als Einzelne zu Höchstleistungen streben, auf keine Einbettungen in Kollektiv und Solidarität bauen sollen – das wird uns doch allen seit dreißig Jahren eingebläut.

Es ist dagegen auch nicht grundsätzlich etwas einzuwenden, wenn Menschen etwas Besonderes sein wollen, denn gerade dieser innere Antrieb führt zu Höchstleistungen, nicht nur beim Sport, auch in der Kunst, Literatur, und im Geistesleben. Aber damit geht auch Druck einher, den man sich selbst macht, ein Getriebensein, dieser Stress, der sich in unsere Gesellschaften hineinfrisst, und diese existenzielle Alleinheit.

Komplex macht schlau

Quelle        :            TAZ-online        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben        —             Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs

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Unten         —     Megan Dunn of Dubbo leading the peloton at the 2011 Renditions Homes Santos Cup in Adelaide.

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