DER ROTE FADEN
Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 21. Juli 2020
Neue Denkmäler braucht das Land
Durch die Woche mit Robert Misik
Die Skulpturen fragwürdiger HeldInnen der Geschichte werden in Frage gestellt. Das ist in Ordnung, wir sollten aber auch den Guten gedenken.
Tja, in Bristol haben sie im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegungen ja nicht nur das Denkmal des reichen Sklavenhändlers aus dem 17. Jahrhundert umgestürzt und ins Meer geworfen, vergangene Woche legte der Künstler Marc Quinn noch einmal nach, formte aus Bronze eine Skulptur der schwarzen Aktivistin Jen Reid, die am Denkmalsturz beteiligt war, und setze die Figur in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf den leeren Sockel. Ein Heldinnendenkmal, wie man es heute nicht mehr bauen würde – Blick in den Himmel, Faust nach oben geballt, viel Street-Credibility, eine Prise Sexyness –, und das vielleicht auch ein wenig ironisch zwinkert.
Diese Denkmaldebatten – und die Intervention des Künstlers ist Teil davon – werfen viel mehr Fragen auf, als man denkt. Zunächst: Welche dunklen Gesellen wollen wir in unseren Städten herumstehen lassen?
Manche meinen, man solle die Geschichte nicht auslöschen und mit den Zeugen versunkener Epochen anders umgehen, als sie einfach wegzuräumen. Wann hat das eigentlich begonnen, dass man meinte, alles, was jemals gebaut und errichtet wurde, müsse stehen bleiben? Hätten frühere Generationen so gedacht, unsere Städte sähen ganz anders aus, und es gäbe keinen Quadratmeter Freiraum für Modernisierungen.
Dabei geht es nicht nur um die Adolf-Hitler-Straßen, die glücklicherweise umbenannt wurden, bevor jemand auf die Idee kam, zu sagen, „dass sie doch auch zu unserer Geschichte dazugehören“, sondern um viel simplere Fragen. Etwa: Warum soll man nicht einen erheblichen Teil rostiger, alter Trümmer einfach wegräumen, um Platz für Neues zu schaffen?
Fragwürdige Heldengestalten
Hinzu kommt aber noch etwas anderes: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ja nicht nur unser Blick auf Denkmäler fragwürdiger Heldengestalten aus früheren Äonen verändert, es hat sich unser Blick auf die Institution Denkmal selbst verändert. Heldenfiguren, die man auf Sockel stellt – das tun wir einfach nicht mehr, weil wir, darüber sind sich bei aller Polarisierung zeitgenössische Gesellschaften ziemlich einig, eine Skepsis gegenüber der Heroisierung haben.
Waren Kaiser oder Könige jemals mehr als dreckige Kriegsverbrecher?
Arbeit am nationalen Gedächtnis via „positive Identifikation“ findet daher kaum mehr statt. Viel eher würde man Mahnmäler errichten, die an Genozide und eine Geschichte der Schande erinnern, und wenn die figural sind, dann noch am ehesten in Gestalt anonymer Opfer von Völkermorden oder Staatsverbrechen.
All das ist auch Arbeit am nationalen (oder auch mittlerweile am postnationalen) Gedächtnis, aber eben über „negative Identifikation“. Man stellt nichts mehr auf, worauf man sich positiv beziehen kann, sondern nur mehr, worauf man sich negativ bezieht, und das man dann in das Postulat „Nie wieder“ wendet. Das zeigt aber auch, dass wir nur mehr ausdrücken können, wogegen wir sind, aber uns schwer tun, zu manifestieren, wofür wir wären.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
—————————————————————
Grafikquellen :
Oben — Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs