DER ROTE FADEN
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 1. Juli 2020
Das Sowohl, das Als-auch und ich
Durch die Woche mit Johanna Roth
Diese Woche war mal wieder eine ganz schöne Herausforderung für das Selbst und seinen Einordnungszwang. Wir Menschen mögen es eindeutig, Widersprüche wollen wir auflösen, Unentschlossenheit gilt in der selbstoptimierten Performancegesellschaft als Schwäche, und eine Meinung hat sowieso jede*r zu allem zu haben. Aber die Welt ist und bleibt kompliziert, da kann man sie sich noch so sehr in kleine Scheiben schneiden und feinsäuberlich in Schubladen sortieren, die man in den passenden Momenten aufzieht und daraus wahlweise eine „klare Haltung“, ein „kritisches Urteil“ oder auch einen „hot take“ serviert.
Ambivalenz
Eine – fiktive – Kolumnistin namens Carrie Bradshaw, die Hauptfigur der Serie „Sex and the City“, leitete die zentrale Fragestellung ihrer Texte stets mit der Formulierung „I couldn’t help but wonder“ ein, „ich kam nicht umhin, mich zu fragen“. Ich habe das immer für eine amerikanisch-manierierte Art des Sprechens gehalten, aber so langsam merke ich, sie war da etwas auf der Spur. Fragen wir mal Tante Wikipedia. Die sagt: „Ambivalenz (lateinisch ambo „beide“ und valere „gelten“) bezeichnet einen Zustand psychischer Zerrissenheit. Dabei bestehen in einer Person sich widersprechende Wünsche, Gefühle und Gedanken gleichzeitig nebeneinander und führen zu inneren Spannungen.“
Diese kognitiven Wachstumsschmerzen treten bei mir zum Beispiel auf, wenn ich an Philipp Amthor denke, der in dieser Woche eine Art christdemokratisches Schwellenritual durchschritt: Der Spiegel berichtete über Amthors Verquickung von Mandat und Geschäftsinteressen für das IT-Unternehmen Augustus Intelligence. Transatlantikflüge, Champagner und Bittbriefe an den Bundeswirtschaftsminister – das wirkt alles sehr einschlägig, zumal Amthor als Jurist wissen musste, was er da tat. Gleichzeitig schwingt in diesem Jungen aus Ueckermünde, dessen Anzüge und Sprechweise verklemmter nicht sein könnten und der plötzlich umworben wurde von Männern, die ihm das Gefühl einflößten, bei den Coolen mitzumachen – zu denen er ausgerechnet Hans-Georg Maaßen zu zählen scheint, noch so ein Mann mit Geltungssuchtproblem –, eine gewisse Tragik mit.
Amthor
Ich komme nicht umhin mich zu fragen: Kann man den immer wieder unangenehm aufgefallenen und nun mutmaßlich auch käuflichen Philipp Amthor auf das Schärfste verurteilen, sich seinen Rückzug aus der Politik wünschen – und dennoch Mitleid haben, weil sein Engagement in den Kreisen von Augustus Intelligence so offenkundig von Sehnsucht nach Anerkennung getrieben war? Und damit meine ich nicht jenes dahingeschmunzelte „Er ist eben noch jung“, das aus der Unionsfraktion dazu zu hören war.
Soll man sich, noch ein Aufreger dieser Woche, über das Enthüllungsbuch von Donald Trumps ehemaligem Nationalen Sicherheitsberater John Bolton freuen, dank dem wir nun wissen, dass Trump China um Hilfe für seine Wiederwahl im November bat?
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Roter Faden in Hannover mit beschriftetem Aufkleber als Test für einen möglichen Ersatz des auf das Pflaster gemalten roten Strichs