Der Retro – Präsident
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 12. Februar 2022
Steinmeier zum Zweiten
von Albrecht von Lucke
Wenn am 13. Februar Frank-Walter Steinmeier zum zweiten Mal zum Bundespräsidenten gewählt werden wird, ist der Triumph der SPD komplett. Dann besetzt die deutsche Sozialdemokratie mit Kanzler Olaf Scholz, Bundespräsident Steinmeier und der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die drei wichtigsten Staatsämter. Für eine 25-Prozent-Partei ist das schier sensationell, ein echtes Husarenstück. Steinmeier wird damit der erste sozialdemokratische Präsident mit einer zweiten Amtszeit sein. Das gelang vor ihm weder dem legendären Gustav Heinemann noch Johannes Rau. Doch jenseits von Steinmeier kennt dessen Wiederwahl eigentlich nur Verlierer, darunter letztlich auch die SPD.
Ein wahrer Offenbarungseid ist Steinmeiers Wahl für die Union. Immerhin stellt sie mit fast einem Drittel der Mitglieder (446 von 1472) die meisten Stimmberechtigten in der Bundesversammlung. Doch seit dem kläglichen Abgang von Christian Wulff ist CDU und CSU noch jede Präsidentenwahl missraten. Schon Joachim Gauck war 2012 alles andere als der Wunschkandidat von Kanzlerin Angela Merkel,[1] sondern wurde ihr durch den Koalitionspartner FDP untergejubelt. Bei der nächsten Wahl, 2017, wurde Merkel vom damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel mit dem Vorschlag Steinmeier regelrecht überrumpelt, nachdem sie selbst allzu lange keinen Kandidaten aufbieten konnte oder wollte. Die Kanzlerin musste daraufhin in ihrer Not regelrecht hausieren gehen, um doch noch einen tauglichen Bewerber zu finden. So antichambrierte sie etwa beim damaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Vosskuhle, der ihr jedoch ebenso eine Absage erteilte wie Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert. Am Ende musste die Union erneut zähneknirschend in den Vorschlag ihres kleineren Koalitionspartners einwilligen. Damals war die Wahl Steinmeiers eine reine Verlegenheitslösung. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Zum zweiten Mal nacheinander agiert die Union nach der Devise: Du hast keine Chance, also lass es bleiben. Stattdessen ergeht sie sich in Jubel- und Begeisterungschören auf den SPD-Mann.
„Er findet in schweren Zeiten die richtigen Worte. Er hat den Kompass und das Verständnis für die Menschen, aber auch klare Haltungen und klare Ansichten“, tönt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Und der CDU-Noch-Vorsitzende setzte bei seiner fast schon letzten Amtshandlung noch einen oben drauf: „Frank-Walter Steinmeier hat in den vergangenen Jahren als Bundespräsident mit großer Leidenschaft unsere Demokratie und den Zusammenhalt in unserem Land gestärkt“, so Armin Laschet. Das Gemeinwohl habe immer über parteipolitischem Wohl zu stehen; der Bundespräsident müsse daher aus „parteipolitischem Hickhack“ herausgehalten werden. Was für eine Farce! Denn bisher gehörte es stets zum guten demokratischen Stil der Republik, seitens der Opposition einen Gegenkandidaten aufzubieten, selbst wenn dieser letztlich chancenlos war.[2] Mit einem attraktiven Gegenangebot hätte die Union die Chance gehabt, ein starkes Signal zu senden – zumal mit einer Kandidatin für die erste weibliche Präsidentschaft, die nach bald 75 Jahren und zwölf Männern im Amt überfällig ist.
Dass dies nicht geschah, ist besonders für die Grünen bitter. Denn sie hätten mit ihren 15 Prozent eigentlich dran sein können. Immerhin stellte die FDP in der Geschichte der Republik bereits zweimal den Bundespräsidenten, Theodor Heuss von 1949 bis 1959 und Walter Scheel von 1974 bis 1979, ohne dabei nur annähernd das grüne Wahlergebnis von 2021 zu erreichen. Hinzu kommt, dass die Union bis zum Schluss um die Grünen gebuhlt hat, auf dass man gemeinsam Katrin Göring-Eckardt zur ersten Präsidentin wähle. Nur um den Koalitionsfrieden nicht schon so früh empfindlich zu stören, nahmen die ohnehin angeschlagenen Grünen von der verlockenden Aussicht auf eine eigene Bundespräsidentin Abstand und ergehen sich seither ebenfalls, wenn auch reichlich lustlos, in Begeisterungsschwüren für Steinmeier. Böse Stimmen würden sagen: Es ist „angerichtet“ – der grüne Kellner darf für den roten Koch wieder auftragen.
Kurzum: Alle haben gute Miene zum schlechten Spiel der SPD gemacht, aus purer Chancenlosigkeit. Mit einer Ausnahme: der FDP. Denn ironischerweise sind die Freien Demokraten die einzigen, die sich über die zweite Amtszeit Steinmeiers ungeteilt freuen können. Schon als sich dieser, historisch beispiellos, im Mai 2021 selbst zur Wahl stellte und damit mitten im Bundestagswahlkampf als der „erste Zocker im Staat“ („Süddeutsche Zeitung“) seine Kandidatur erklärte, unterstützte ihn dabei die FDP. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und das aus „gutem“ Grund: Schließlich besteht die eigene Aufgabenbeschreibung der FDP in der Koalition gerade darin, das aus ihrer Sicht Schlimmste an sozial-ökologischer Modernisierung zu verhindern. Die Kontinuitätsgarantie unter Steinmeier kommt ihr deshalb gerade recht. Und in der Tat: Ein echter, mutiger Richtungswechsel ist von diesem Präsidenten nicht zu erwarten. Die erneute Wahl von Steinmeier ist damit das Gegenteil der von der Ampel versprochenen Erneuerung. Vertan wurde eine große Chance, mit einem anderen Kandidaten oder gar einer Kandidatin ein echtes Zeichen des Aufbruchs zu senden. Das aber ist am Ende fatal für die Koalition an sich.
Vor der Steinmeier-Scholz-Dekade
Steinmeiers Wahl ist ein Signal nicht nach vorne, sondern nach hinten, ein Zeichen des gepflegten Weiter-so. Alles soll machtstrategisch so bleiben, wie es derzeit ist. Denn wenn es nach der SPD geht, ist die Dekade schon jetzt eine durch und durch sozialdemokratische. Bis 2027 stellen die Sozialdemokraten mit Steinmeier den Präsidenten und bis 2029 den Kanzler, wenn denn Olaf Scholz tatsächlich 2025 wiedergewählt wird – so dessen vordringliches Ziel. In gewisser Weise korrigiert die SPD damit die vergangenen drei Jahrzehnte. Bisher dominierte die Ära Merkel mit ihren 16 Jahren eindeutig die kurzen sieben Jahre unter Gerhard Schröder. Geht es nach Scholz und Steinmeier teilen sich am Ende des Jahrzehnts die vergangenen 30 Jahre zu gleichen Teilen in eine rote und eine schwarze Periode.
Hier aber schließt sich der Kreis: Denn der eigentliche Sieger, als der Entdecker und Förderer sowohl von Scholz als auch von Steinmeier, heißt Gerhard Schröder. Von den knapp 30 Jahren seit 1998 wird Steinmeier 2027 25 in administrativer oder exekutiver Funktion tätig gewesen sein (mit Ausnahme des schwarz-gelben Ausrutschers von 2009 bis 2013). Und obwohl er 2009 als Kanzlerkandidat mit 23 Prozent das bis dahin schlechteste SPD-Ergebnis zu verantworten hat, galt seither das „Steinmeiersche Gesetz“: „Je schlechter es seiner Partei ging, desto höher ging es für ihn selbst hinaus“[3] – vom Fraktionsvorsitzenden über den Außenminister bis zum Bundespräsidenten. Steinmeier war dabei immer vor allem Stratege und Technokrat. In seiner ganzen Karriere agierte er überaus vorsichtig. Schröder bezeichnete seinen Freund und Zögling denn auch einmal als eine „gelungene Mischung aus Administration und Politik“. In seiner bisherigen Amtszeit als Präsident war er folglich vor allem eines: überraschungsresistent. Steinmeier hielt durchaus einige bemerkenswerte geschichtspolitische Reden, insbesondere zu den langen Linien der deutschen Demokratie von 1848 über 1919 bis 1949 und 1989. Aber auch hier dominiert die Vergangenheit, findet sich wenig Gegenwart. Es ist daher kein Zufall, dass seine wichtigste, eminent politische Aktivität gleich am Anfang seiner Amtszeit stand, als er seine eigene Partei nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen in eine neuerliche große Koalition mit CDU/CSU drängte.
Dabei hätte Steinmeier sich gerade in der Coronakrise ausgesprochen verdient machen können, aufgrund seiner enormen Autoritäts- und Zustimmungswerte. Doch wo war der Bundespräsident im Sommer 2021, als sich die Parteien im Wahlkampf beharkten und es darauf angekommen wäre, die Impfunwilligen mit überzeugenden Reden zu gesellschaftlicher Solidarität zu bewegen? Gewiss ist es löblich, dass der Präsident beim Kaffeekränzchen in Schloss Bellevue mit ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, darunter auch Ungeimpfte, über die Impfpflicht diskutiert. Aber mutig – und zugleich geboten – wäre etwas anderes, nämlich dahin zu gehen, wo es, um mit Sigmar Gabriel zu sprechen, tatsächlich „kracht und stinkt“. Also die offene und entschiedene Auseinandersetzung mit jenen Teilen der Gesellschaft zu suchen, die den demokratischen Konsens immer mehr aufkündigen.
Auf dem Weg in die Scholzokratie
Quelle : Blätter-online >>>>> weiterlesen
*********************************************************
Grafikquellen :
Oben — Fotoquelle: Kölner Karnevals Orden, Närrisches Parlament, SPD, Köln, 1987 – DETAIL