Der Kapitalismus hat Fieber
Erstellt von Redaktion am Sonntag 18. Dezember 2022
Die Diagnose heißt Kapitalismusversagen
Von Gereon Asmuth
Fiebermedikamente für Kinder fehlen genauso wie bezahlbare Mieten. Wer auf die allein selig machende Kraft der Märkte spekuliert, wird enttäuscht. Die Märkte sind nicht vollkommen. Sie sind verzerrt durch Wissensvorsprünge, Absprachen oder die Macht großer Player.
Neulich nachts vor der Notfallapotheke. Draußen der Vater, der quer durch die fremde Stadt geradelt ist, weil das Kind heiß ist und vor Schmerzen wimmert. Mittelohrzündung oder so was, was die Kleinen eben haben, gerade wenn man mal auswärts übernachtet. Drinnen die Apothekerin mit sorgenvoll gefalteter Stirn. Fiebersaft?, fragt sie, als sei das der Wunsch nach einem extrem schwer zu beschaffenden Wunderelexier und nicht nach einem handelsüblichen Schmerzmittel für Kleinkinder.
Das war im Oktober. Und da gab es anders als jetzt im Dezember noch gar keine Megaerkältungswelle, die so viele Kinder trifft, dass die Kliniken kaum noch freie Betten haben und Apothekerverbände von einer noch nie dagewesenen Situation sprechen.
Das Problem wird durch die akuten Erkrankungen verschärft, bestanden hat es schon seit Monaten. Die Diagnose lautet: Das Gesundheitssystem leidet an Kapitalismus. Genauer gesagt: Auch die Medikamentenversorgung hat jetzt mit den Nebenwirkungen dieser Marktideologie zu kämpfen. So wie seit langem schon die Wohnraumversorgung in Großstädten. Oder wie seit Jahrzehnten die Umwelt. Alle leiden an akutem Kapitalismusversagen.
Das ist ein Problem. Vor allem, weil die Wirtschaftsliberalen, die in ihrer ideologischen Verblendung an die Vollkommenheit des Marktes glauben, mit missionarischem Eifer den Kapitalismus als allein selig machenden Weg zum Glück in der ganzen Welt verbreiten – Stichwort: Globalisierung. Was dann zu so seltsamen Mutationen wie der hybriden Mischung aus Traditionskommunismus und Hyperkapitalismus in China führt.
Aber auch ohne solche Pervertierungen hat der Kapitalismus Probleme genug. Dabei ist er eigentlich eine schöne Idee. Weil die Besitzenden ihr Kapital möglichst gewinnbringend einsetzen wollen und dürfen, investieren sie nur in die Produktion von Dingen, die wirklich gebraucht oder gekauft werden. Am Markt regeln dann Angebot und Nachfrage den Preis und alle sind glücklich.
Schade nur, dass die dafür vorausgesetzten vollkommenen Märkte, bei denen alle Teilnehmer:innen stets über sämtliche Informationen verfügen und unendlich schnell reagieren können, eine schöne Theorie für Ökonomiestudierende im ersten Semester sind. Mehr aber eben auch nicht. In der Realität kommen sie genauso selten vor wie die Unfehlbarkeit des Papstes, an die die Katholiken glauben, oder die immerwährende internationale Solidarität der arbeitenden Klasse, die eine Grundvoraussetzung für einen real funktionierenden Kommunismus wäre.
Tatsächlich sind die Märkte alles andere als vollkommen. Sie sind verzerrt durch Wissensvorsprünge, durch legale wie rechtswidrige Absprachen oder durch die Marktmacht großer Player. Vor allem aber das Ausklammern aller möglichen Kostenfaktoren verzerrt die Preise – und führt damit zu falschen Ergebnissen am Markt. Das ist systembedingt. Investoren müssen so billig wie möglich produzieren. Um erfolgreich gegenüber der Konkurrenz zu bleiben, wälzen sie alle Kostenfaktoren auf andere ab.
Die Kosten aber bleiben natürlich. Auch wenn sie sich nicht so leicht in Euro und Cent bemessen lassen. Aber weil die – wie Fachleute das nennen – Internalisierung externer Kosten nicht gelingt, leidet weltweit die Umwelt unter der industriellen Produktion – und schreien nachts die Babys ohne fiebersenkende Medikamente.
Denn gerade Teilmärkte – zum Beispiel der für den Fiebersaft – sind anfällig für die Bildung von Oligarchen oder gar Monopolen. Mit fatalen Folgen. Hier hat der Motor des Kapitalismus, der Preisdruck, dazu geführt, dass es seit dem Sommer nur noch einen einzigen Anbieter gibt, der in Billiglohnländern Asiens herstellen lässt. Für alle anderen war der Wettbewerb schlicht nicht mehr rentabel.
Nun sind jedoch die für einen funktionierenden globalen Handel notwendigen Lieferketten aufgrund diverser Krisen gestört. Weil sich hierzulande aber eben nicht von heute auf morgen eine konkurrenzfähige Produktion wieder hochfahren lässt, fehlt der Nachschub. Weil Expert:innen das seit Monaten kommen sahen, haben viele die Vorratshaltung ausgebaut, so sehr, dass viele andere nun ganz ohne dastehen. Eine Kettenreaktion wie beim Klopapier zu Beginn der Coronapandemie. Wenn wie aktuell noch eine Erkrankungswelle anläuft, kommt der Kapitalismus damit nicht mehr klar. Er hat Fieber.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Eine Clown-Pflegegruppe im Krankenhaus Bambin Gesù in Italien, Dezember 2005.
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Unten — GREENVILLE, S.C. (7. Oktober 2009) Operations Specialist 2nd Class Yusef Robertson verteilt Spielzeug im Shriners Hospital for Children in Greenville während einer Caps For Kids-Veranstaltung im Rahmen der Greenville Navy Week. Navy Weeks sollen den Amerikanern zeigen, welche Investitionen sie in ihre Marine getätigt haben, und das Bewusstsein in Städten schärfen, die keine signifikante Präsenz der Marine haben. (U.S. Navy Foto von Chief Mass Communication Specialist Steve Johnson / Veröffentlicht)
Dieses Bild wurde von der United States Navy mit der ID 091007-N-6220J-012 (weiter) veröffentlicht. Dieses Tag gibt nicht den Urheberrechtsstatus des angehängten Werks an. Ein normaler Copyright-Tag ist weiterhin erforderlich.
–- Gemeinfreiheit
- Datei:US Navy US Navy 091007-N-6220J-012
Sonntag 18. Dezember 2022 um 12:15
Durch die zwei Weltkriege hat die Welt in den Abgrund der Menschheit geschaut. Weshalb ein Mann wie Ludwig Erhard die soziale Marktwirtschaft als Antwort für den Frieden erkannt hat. Diese Werte müssen wieder errungen werden. In der Bundesrepublik Deutschland wurde daher vom rheinischen Kapitalismus, in Hamburg von hanseatischen, ehrbaren Kaufleuten gesprochen und ebenso praktiziert.
Jimmy Bulanik