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Der islamistische Phönix

Erstellt von Redaktion am Samstag 7. März 2015

Vom Krieg gegen den Terror zum Terror-Kalifat

von Loretta Napoleoni

Die barbarische Verbrennung des jordanischen Piloten Moath al-Kassasbeh und die Hinrichtung von 21 ägyptischen Kopten haben das herrschende Urteil nur bestätigt: Wie im Fall von Al Qaida sehen viele westliche Beobachter im Islamischen Staat eine anachronistische Organisation, die das Rad der Zeit zurückdrehen will. Tatsächlich ist die Herrschaft des IS nach Aussagen von syrischen und irakischen Flüchtlingen von jener der Taliban nicht zu unterscheiden: Per öffentlichem Aushang werden Verbote ausgerufen, etwa das Verbot des Rauchens oder das, Kameras zu benutzen; Frauen dürfen nicht ohne einen männlichen Begleiter reisen, sie müssen sich verhüllen und dürfen in der Öffentlichkeit keine Hosen tragen.  Gleichzeitig scheint der Islamische Staat mittels aggressiver Missionierung eine Art religiöser „Säuberung“ voranzutreiben. Bewohner des IS-Herrschaftsgebiets, die nicht fliehen, müssen sich zum radikalen salafistischen Glauben bekennen, andernfalls riskieren sie die Hinrichtung. Seit der IS-Anführer und Kalif Abu Bakr al-Baghdadi auf der internationalen Bühne aufgetaucht ist, hat man ihn denn auch mit Mullah Omar verglichen, dem Chef der afghanischen Taliban. Doch ironischerweise haben all diese Vergleiche womöglich dazu geführt, dass die westlichen Geheimdienste al-Baghdadi und die Stärke des IS unterschätzt haben. Denn trotz seiner mittelalterlich anmutenden Anschauungen bezüglich Gesetzesauslegung und sozialer Kontrolle wäre es ein Fehler, den Islamischen Staat als eine im Wesentlichen rückwärtsgewandte Organisation zu verstehen. Während sich die Welt der Taliban auf Koranschulen und das auf den Schriften des Propheten beruhende Wissen beschränkte, dienten dem IS die Globalisierung und moderne Technologien als Keimzelle.

Was diese Organisation von allen bisherigen bewaffneten Gruppen unterscheidet – einschließlich jener, die während des Kalten Krieges aktiv waren – und ihre enorme Durchschlagskraft erklärt, sind ihre Modernität und ihr Pragmatismus. Die IS-Führung hat wie sonst kaum jemand erfasst, welchen Einschränkungen die heutigen Mächte in unserer globalisierten und multipolaren Welt unterliegen. So ahnte sie beispielsweise schon früh, dass eine gemeinsame Intervention, wie sie in Libyen oder im Irak stattgefunden hat, in Syrien nicht möglich sein würde. Vor diesem Hintergrund gelang es der Führung des Islamischen Staates, den Konflikt in Syrien – eine zeitgenössische Version des traditionellen Stellvertreterkriegs, mit einer Vielzahl von Geldgebern und bewaffneten Gruppen – zu ihrem eigenen Vorteil und fast unbemerkt auszunutzen.

In ihrem Bestreben, in Syrien einen Regimewechsel zu erwirken, haben Kuwait, Katar und Saudi-Arabien eine ganze Reihe bewaffneter Gruppen finanziert, von denen der IS nur eine war. Doch anstatt den Stellvertreterkrieg seiner Geldgeber zu führen, hat der Islamische Staat deren Geld dazu verwendet, seine eigenen Stützpunkte in strategisch wichtigen Gebieten zu errichten, etwa in den Ölfeldern im Osten Syriens, die sich oft in den Händen kleinerer Rebellengruppen, Milizen und Warlords befanden. Keine andere bewaffnete Gruppe im Nahen Osten hat es bis dato geschafft, sich mit dem Geld ihrer reichen Sponsoren am Golf zu einem neuen Beherrscher der Region emporzuarbeiten.

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Fotoquelle: Wikipedia – Urheber Bernd Schwabe in Hannover

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