Der HSV vor dem Abstieg?
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 9. Mai 2018
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Aus Hamburg von Daniel Jovanow
Der Hamburger SV steht vor dem Abstieg aus der Bundesliga, wieder einmal. Wie aber kam es dazu, dass der Klub vom Spitzenverein zur Lachnummer geworden ist? Eine Spurensuche unter Gescheiterten.
Mai 2009. Es läuft die 83. Minute des Uefa-Cup-Halbfinales zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen. Der HSV liegt vor heimischer Kulisse mit 1:2 zurück, braucht unbedingt noch ein Tor, um das Finale zu erreichen. Verteidiger Michael Gravgaard will zu Torhüter Frank Rost zurückspielen. Doch der Ball rutscht über eine von Zuschauern aufs Spielfeld geworfene Papierkugel, springt Gravgaard ans Schienbein und von da ins Tor-Aus – Ecke für Bremen. Bis dahin gilt der HSV beim Verteidigen von Standardsituationen als besonders stark. Diesmal nicht. 1:3 – der HSV scheidet aus. Der Niedergang beginnt – ausgelöst von einer Papierkugel. Man kann das tragisch nennen.
Es ist nicht die einzige schmerzhafte Niederlage gegen den Rivalen von der Weser. Innerhalb von drei Wochen treffen die Rivalen gleich viermal aufeinander. Viermal müssen sich die Hamburger geschlagen geben. Bis dahin träumte man in Hamburg von der Champions League, sogar die Meisterschaft schien möglich. Vorbei: Der Abstand zum Meister VfL Wolfsburg beträgt am Ende der Spielzeit acht Punkte. Acht Punkte!
Wenn man nach Gründen sucht, warum der Hamburger SV, Gründungsmitglied der Bundesliga und noch niemals abgestiegen, in diesen Tagen schon wieder gegen den Niedergang kämpfen muss, dann sind die Wochen der Niederlagen vor neun Jahren der Schlüsselmoment. Was mit einer Papierkugel begann, könnte in den ersten Abstieg der Hamburger münden. Nach der Niederlage am Samstag in Frankfurt kann der Klub die Liga aus eigener Kraft nicht mehr halten. Wenn der VfL Wolfsburg, bislang Drittletzter, nicht gar so grauenhaft spielen würde in den letzten Wochen, niemand mehr in Hamburg würde sich für das Bundesligafinale interessieren. So gibt es noch Hoffnung. Ein bisschen. Vielleicht ist es doch noch nicht vorbei mit dem HSV. Vielleicht geht es weiter in der Relegation gegen den Dritten der zweiten Liga. Vielleicht müssen die HSV-Fans doch nicht trauern und sich fragen, wie alles anfing mit dem Absturz ihres einst so stolzen Klubs.
Was nach dem Wurf des Papierkügelchens vor neun Jahren geschieht: Der enttäuschende Verlauf der Saison und die verlorenen Derbys hinterlassen tiefe Spuren. In der Folge kommt es zum Bruch des Erfolgsduos an der Spitze: Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer hatten den Verein innerhalb weniger Jahre vom grauen Mittelfeld der Bundesliga in die Riege der 20 besten Klubs Europas geführt.
Hoffmann hatte 2003 den Posten des Vorstandsvorsitzenden beim HSV übernommen. Fortan feiert der Klub Jahr für Jahr Umsatzrekorde in dreistelliger Millionenhöhe. Hoffmann, der zuvor für Sportfive Übertragungsrechte für Sportereignisse vertickt hatte, ist nicht besonders groß, das Haar ist inzwischen leicht ergraut und nicht mehr so voll wie bei seinem Amtsantritt vor 15 Jahren. Dafür weiß er sich im Zusammenspiel mit der Öffentlichkeit rhetorisch klar und professionell zu positionieren, fängt aber auch schon mal an, unruhig zu zucken, wenn der Druck zu groß und die Fragen zu kritisch werden.
Hamburger Fußballromantiker gegen Investorenmodelle
Seine Art, den HSV nach den Prinzipien des modernen Marketings zu führen, stößt bei den mächtigen Ultras und Fan-Organisationen von Beginn an auf Widerstand. Die Fans, die in den Kurven die Stimmung machen, die wirkmächtigen Choreograpfen organisieren, betrachten den Verein als ihren Besitz. Die meisten von ihnen verstehen sich als Fußballromantiker, reden von Treue und Freundschaft, wenn es um ihren Klub geht. Sie lehnen die Kommerzialisierung des Fußballs ab und fürchten den Einfluss fremder Geldgeber. Sie protestieren lautstark, als Hoffmann 2008 das Investorenmodell „Anstoß hoch drei“ präsentiert, das bei der Finanzierung neuer Spieler helfen soll.
Diese Anhänger, die man getrost als HSV-Extremisten bezeichnen kann, wollen die sukzessive Aufgabe der Selbstbestimmung ihres Vereins verhindern. Im Verein sollen die Mitglieder das Sagen haben, ihre Stimme soll mehr wert sein als die Meinung eines Investors, auch wenn der noch so viel Geld anschleppt. Die Fans, allesamt Mitglieder des Vereins, organisieren sich, werden sportpolitisch aktiv. Auf den jährlich stattfindenden Mitgliederversammlungen geben sie plötzlich Wahlempfehlungen ab und entsenden Vertreter in den Aufsichtsrat, der Hoffmann im Zaum halten soll.
Auf diesen mitunter bis in die Morgenstunden dauernden Veranstaltungen ist viel Langmut gefordert. Die Redner sind meist Männer in Anzügen mit Runzeln im Gesicht, Falten und Altersflecken, die ihre Ausführungen nicht selten mit der Dauer ihrer Mitgliedschaft einleiten, als wäre sie ein Merkmal für Kompetenz und Weisheit. Doch nun gibt es auch Ultras in Kapuzenpullis, die leicht alkoholisiert ins Mikrofon grölen und Hoffmann als einen Feind betrachten, das ihren schönen Fußball kaputt machen will.
Dietmar Beiersdorfer, der andere Teil des Führungsduos, wiederum genießt innerhalb der Fangemeinde Legendenstatus. Er ist als Sportdirektor für die Kaderzusammenstellung verantwortlich und alles andere als ein eiskalt kalkulierender Geschäftsmann. Dem ehemaligen Fußballer wird geglaubt, dass er am HSV hängt. Der heute 54-Jährige ist ruhiger als der manchmal hyperaktiv wirkende Hoffmann. Er spricht leise und langsam, manchmal wirkt das ein wenig hypnotisch. Beiersdorfer ist kein Alpha-Tier und ein Machtmensch schon gar nicht, sondern einer, der Gemeinschaft und Harmonie sucht und in dessen Nähe man sich wohl fühlen kann. Seine anfänglichen Erfolge bei der Verpflichtung neuer Spieler, darunter Rafael van der Vaart und Jérôme Boateng, sowie die regelmäßige Qualifikation für den Europapokal stimmen zunächst optimistisch. Als sich Beiersdorfer aber häufiger teure Fehlgriffe erlaubt, die Nachwuchsarbeit kritisch hinterfragt wird und bei der Auswahl von Trainern immer größere Differenzen entstehen, kommt es zum Bruch mit Vorstandschef Hoffmann. Das Führungsteam zerbricht.
„Der Hauptgrund für die Eskalation war, dass bei allen Beteiligten nach den Werder-Wochen die Nerven blank lagen: bei Trainer Martin Jol, bei Didi und bei mir“, sagte Hoffmann damals. Dass die erfolgreichste Saison seit 1983 hinter dem HSV lag, nahm keiner der beiden mehr wahr. Stattdessen diskutieren sie über Versäumnisse – und trennen sich im Streit. Sportchef Beiersdorfer hatte seinem Vorstandskollegen systematische Kompetenzüberschreitung vorgeworfen. Er stellt dem Aufsichtsrat die Vertrauensfrage und verliert den Machtkampf. Sein Vertrag wird aufgelöst, er muss gehen, Hoffmann aber darf bleiben.
Der Hamburger SV muss fortan ohne starken Sportchef auskommen. Wunschkandidaten sagen kurzfristig ab. Die Lösung für das Vakuum löst der Aufsichtsrat im Mai 2010, von Aktionismus gedrängt, mit einer eigentümlichen Entscheidung: Er bestellt den bisherigen Praktikanten der Presseabteilung Bastian Reinhardt, damals 35, einen mäßig begnadeten Verteidiger, zum neuen Sportvorstand. Die Fans lechzen nach einer Identifikationsfigur, Reinhardt wird nach sieben Jahren im HSV-Dress bei seinem letzten Kurzeinsatz von der Kurve gefeiert und eignet sich nach Auffassung der Kontrolleure als eine Art Übergangslösung. Eine, die es öfter gibt in Hamburg. Ehemalige sollen es richten. Männer mit HSV-Vergangenheit werden mit schwer nachvollziehbarer Regelmäßigkeit in für sie nicht geeignete Positionen gedrängt. Schon viele Cheftrainer sind dieser wackligen Konstellation zum Opfer gefallen. Sie alle wussten, dass der HSV wie eine Windmühle funktioniert, in der zuallererst sie zermahlen werden, wenn es stürmisch wird. Jedoch sind die Konditionen in Hamburg zu lukrativ, als dass man einen Einsatz einfach ablehnen könnte.
Diplom-Kaufmann Hoffmann bleibt der starke Mann beim im Klub. Er wirkt mit den vielen Baustellen und dem vereinspolitischen Druck zunehmend überfordert. Er bemüht sich darum, das Image eines Top-Klubs aufrechtzuerhalten. Dabei greift zu einem Mittel, das sich schon mehrfach bewährt hat, um die stets aufgeregte Öffentlichkeit zu beruhigen. Hoffmann verpflichtet mit Ruud van Nistelrooy einen Weltstar von Real Madrid. Der sorgt kurzfristig für Euphorie, entpuppt sich aber mittelfristig als Problemfall. Der HSV und sein Umfeld haben sich schleichend einer Systematik unterworfen, bei der es nicht primär darum geht, ob eine Maßnahme inhaltlich richtig ist, sondern wie sie sich mithilfe der Methoden von Public Relations verkaufen lässt.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle :
Oben —
Deutsch: Panorama-Ansicht der Imtech Arena in Hamburg
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2. von Oben —
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Donnerstag 10. Mai 2018 um 9:09
Für die Kölner tut es mir echt leid. Kein Mitgefühl beim HSV.