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Der „Diesel – Skandal“

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 14. September 2017

Dieselgate: Mit Vollgas in den Abgrund

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Hier der Fahrer – in der Politik gibt es keinen Entzug der Fahrerlaubnis

von Malte Kreutzfeldt

Rund zwei Jahre sind vergangen, seit der „Diesel-Skandal“ öffentlich geworden ist. Am 18. September 2015 deckte die US-Umweltbehörde auf, dass die Volkswagen AG die Motorsteuerung ihrer Dieselfahrzeuge manipuliert hatte, um die strengen amerikanischen Abgasnormen zu umgehen. Die Skrupellosigkeit, mit der die Automobilindustrie auch hierzulande Gesetze ignoriert und die Gesundheit zehntausender Menschen geschädigt hat, um ihre Gewinne zu steigern, erschreckt heute fast noch mehr als damals. Denn die Konzerne lassen bis jetzt jedes echte Unrechtsbewusstsein vermissen und beweisen jeden Tag aufs Neue, dass sie nichts dazu gelernt haben.

Bei ihrem betrügerischen Vorgehen konnte sich die deutsche Automobilindustrie stets darauf verlassen, dass die Bundesregierung ihr nicht gefährlich wird. Auf die Automobilindustrie als wichtige Säule der deutschen Wirtschaft kann und will offenbar keine Partei verzichten. Doch diese Schonung rächt sich jetzt: Denn ohne grundlegende Veränderungen hat die Branche, an der in Deutschland mehr als 800 000 Arbeitsplätze hängen, keine Zukunft.

Die kriminelle Energie der Automobilkonzerne

Ihren Höhepunkt fand die Dreistigkeit der großen drei deutschen Automobilkonzerne beim Diesel-Gipfel, zu dem die Bundesregierung – unter Ausschluss jeglicher Kritiker aus der Zivilgesellschaft – Anfang August die Führungsriegen von Volkswagen, Daimler und BMW sowie ihre Branchenverbände und Gewerkschaften eingeladen hatte. Von eigenen Fehlern sprachen die Konzernchefs danach praktisch nicht – im Gegenteil: VW-Vorstandschef Matthias Müller, dessen Konzern sich in den USA des Betrugs schuldig bekannt hat und allein dort über 20 Mrd. US-Dollar an Bußgeldern und Schadenersatz zahlen muss, verwahrte sich explizit gegen den Vorwurf des „unternehmerischen Versagens“. Daimler-Chef Dieter Zetsche behauptete, sein Unternehmen habe nicht etwa ein Problem, sondern sei „Teil der Lösung“. Und der BMW-Vorstandsvorsitzende Harald Krüger erklärte seinen Konzern selbst zum Vorreiter für „nachhaltige Mobilität“.

Zur Erinnerung: Müller, Zetsche und Krüger vertreten eben jene Unternehmen, deren aktuelle Fahrzeuge die geltenden Laborgrenzwerte für giftiges Stickoxid bei Tests des Umweltbundesamts auf der Straße im Schnitt um das Sechsfache überschreiten, bei weiteren Tests in Extremfällen gar um das 28fache. Denn die Abgasreinigung läuft nur auf dem Prüfstand vorschriftsmäßig, wird in der Praxis aber meistens herunter geregelt – etwa bei Außentemperaturen unter 17 Grad, die im Test nie vorkommen, im realen Fahrbetrieb aber eher die Regel sind.

Offiziell begründet wurde das Ausschalten der Abgasreinigung damit, dass auf diese Weise in Ausnahmesituationen Schäden am Motor verhindert werden sollen. Tatsächlich aber ging es eher darum, den Konzernen Kosten zu ersparen. Sie verwendeten etwa weniger haltbare Komponenten für Katalysatoren oder kleinere Tanks für die Harnstofflösung, die zur Entfernung der Stickoxide benötigt wird. Ihren Kunden wollten die Hersteller allerdings nicht zumuten, deswegen häufiger in die Werkstatt fahren oder die Lösung selbst nachfüllen zu müssen. Die Kosten, die die Autokonzerne dadurch sparen, dass die Abgasreinigung meist nur mit verminderter Leistung oder gar nicht läuft, liegen bei wenigen hundert Euro pro Fahrzeug. Der Preis, den die Gesellschaft dafür zahlt, ist umso höher: Die europäische Umweltagentur schätzt, dass es in Deutschland aufgrund der überhöhten Stickoxide jedes Jahr über 10 000 vorzeitige Todesfälle gibt.

Verabredet wurden die Manipulationen, so berichtete es der „Spiegel“ kürzlich nach Auswertung interner Unterlagen, in einem Kartell, zu dem sich die deutschen Hersteller zusammengeschlossen hatten. In zahlreichen Arbeitskreisen wurden demnach nicht nur Standards und Komponentenpreise abgesprochen – was, sofern es sich bestätigt, noch zu hohen Kartellstrafen führen könnte. Abgestimmt wurde, so zeigen es diverse E-Mails, auch die offizielle Argumentation gegenüber den Behörden, warum die Abgasreinigung auf der Straße weniger effektiv war als im Labor – eine Verabredung zum gemeinsamen Lügen und Betrügen, wie man sie ansonsten eher aus der organisierten Kriminalität kennt.

Placebo-Politik der ganz großen Koalition

Noch schockierender als die Dreistigkeit der Konzerne ist aber die fortgesetzte Tatenlosigkeit der Politik. Auch hier war der Diesel-Gipfel ein trauriger Höhepunkt: Die Regierungsvertreter aus Bund und Ländern verzichteten darauf, die Autohersteller zu einer Nachrüstung der Motoren zu verpflichten – obwohl das nach Ansicht der meisten Experten die einzige Möglichkeit ist, die Stickoxid-Grenzwerte auch im Realbetrieb einzuhalten.

Stattdessen gab sich die ganz große Koalition vom CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt über den SPD-VW-Ministerpräsidenten Stephan Weil bis zum Grünen-Ministerpräsidenten und Daimler-Fan Winfried Kretschmann mit einer Anpassung der Software in den Fahrzeugen zufrieden. Dabei handelt es sich um eine unglaubliche Volksverdummung: Für einen Großteil der Autos, die die Konzerne nun nachbessern wollen, war diese Maßnahme schon vorher vereinbart. Zudem ist sie für die meisten Fahrzeuge freiwillig, so dass völlig unklar ist, wie viele Autobesitzer sie tatsächlich vornehmen lassen. Und selbst wenn sie komplett umgesetzt würde, wäre nur eine Verbesserung der Abgaswerte um 25 Prozent zu erreichen: Statt ums Sechsfache würden die Dieselfahrzeuge die Grenzwerte dann also „nur“ noch ums Vierfache überschreiten.

Quelle  :   Blätter >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle   : Alexander Dobrindt auf einem „Kleinen Parteitag“ in München

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