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RENTENANGST

Der alte Feuerteufel

Erstellt von Redaktion am Dienstag 22. März 2022

KOMMENTAR — Kontertext: 

PUTIN IST MÖRDER.jpg

Quelle      :        INFOsperber CH.

Michel Mettler /   

Seit dem 24. Februar haben wir nicht nur gebannt ostwärts geschaut, auch in unserem Inneren haben wir einstürzende Gebäude gesehen.

Seltsam ist es, in dieser putinesken Welt zu leben. Ein Kinderloser ertappt sich Mal für Mal bei derselben Frage: Was würde er seinen Nachkommen antworten auf die Frage, wie es dazu gekommen ist? Wie so schnell so vieles eingerissen werden konnte, dessen Errichtung ein halbes Leben erforderte? Wie könnte er ihnen die Zeit vor dieser scharfen Zäsur begreiflich machen, die Gründe für den Umschwung? Dieses Gefühl, von einem Tag auf den andern in ein Korsett aus Reaktion und Gegenreaktion gesteckt zu sein? Wie diesen plötzlichen Verlust von Freiheit erklären, beim Argumentieren, beim Einschätzen eigenen wie fremden Handelns?

Vielleicht würde er sagen: «Wir waren viele und wurden mehr. Auf einmal fühlten wir uns stark, sicher und nicht mehr allein, wenn wir von einer friedlichen Welt träumten, einer Welt, in der Energie nicht mehr aus dem Boden, sondern von der Sonne kommt, einer Welt, wo Blinde Bücher lesen und die Türen der Züge sich für Gehbehinderte öffnen. Von einer Welt, wo Waffennarren geächtet und ethnische Zugehörigkeiten unwichtig sind.» Vielleicht würde er auch sagen: «Ich glaube, wir haben gedacht, unsere Zahl schütze uns. Haben geträumt von einer Welt, in der Ärztinnen und Klempner sich abends zuprosten und wo es zwischen Büchern und Kinderbüchern keine Trennlinie mehr gibt. Von einer Welt, die nur noch einen Erziehungsleitsatz gelten lässt: ‹Kinder sind (kleine) Menschen.› Und währenddessen hat jener Mann, dessen Namen ihr kaum noch hören könnt, alles vorbereitet für seine Welt.»

Dann würde er ins Erzählen kommen und sagen: «Er hat sich und seines­gleichen bewaffnet. Er hat Befehlsketten errichtet und Geld gescheffelt, er hat Wahlen gefälscht und Widersacher zur Seite geräumt. Er hat alte Freunde ge­geneinander aufgehetzt. Er hat Rachegefühle geschürt. Er liess die Geschichte umschreiben und hat auf das Vergessen derer gezählt, die nichts zu verlieren haben, weder im Jetzt noch in der Vergangenheit. Er hat Sensible als Schwächlinge beschimpft, Mächtige an sich gebunden und die Verachtung für die gefördert, die er Redenschwinger, Warmwasserrebellen und Schönschwät­zerinnen nennt. Er hat das Schwert angebetet und den Kriegspilz in die Köpfe seiner Vasallen gepflanzt.»

Seltsam ist es, am Morgen in eine putineske Welt hinein zu erwachen, in der alle, die schon immer für die Befestigung unserer Häuser waren, ums Lager­feuer tanzen. In eine Welt, die aussieht, als gebe es keine Simone de Beauvoir, keinen Mozart und keine Anne Frank, nur Verbindungsoffiziere, Gefängniswärter und Redenschreiberinnen. In eine Welt, die uns selber zum Mischen von Beton verleitet – als sei das Leben nun ganz von seinen finsteren Anteilen her bestimmt. Seltsam auch, in dieser putinesken Welt Musik zu hören und aus dem Hintergrund und der Stille, vor der sie hörbar wird, Kriegsgetöse zu hören, Stimmen aus Kellern, das Rattern von Kettengliedern und schweres Schuhwerk auf Asphalt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, der russische Präsident Wladimir Putin, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der französische Präsident Emmanuel Macron in Istanbul, Türkei.jpg

Gespräche zwischen Waffenlieferanten und Empfänger

«Wir haben es uns anders ausgemalt», würde der Kinderlose vielleicht zu den Kindern seiner Freunde sagen. «Wir glaubten uns fast am Ziel. Denen, die sagten, der Mensch sei wölfisch in seinem Wesen, haben wir Zeichnungen von Schafherden geschickt, umkränzt mit lachenden Sonnen, Marzipanherzen und Dachlukarnen. Also hat man uns ‹Linke und Nette› geschimpft. Das war uns egal. Wir liessen uns gern dafür verspotten, denn wir setzten auf die Kraft des Keimlings, der den Asphalt sprengt. Allen Ernstes dachten wir, Militärbudgets würden schon bald so etwas sein wie die kleinen Posten für Brandschutz in unseren Gemeinderechnungen: Erinnerung an die Zeit, als der Feuerschauer noch Leben rettete, weil immer wieder Brände tobten in den Dörfern und Städten; Erinnerung an eine Zeit, als der Feuerteufel ein reales Gespenst war.

Jetzt steht dieses Gespenst wieder unter der Tür, hyperreal, und vielleicht lässt es uns nicht einmal Zeit, den Kindern zu erklären, wie aus unseren Plänen Träume wurden und wie wir mit diesen gescheitert sind. Allen Ernstes.

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Grafikquellen        :

Oben      —       Putin ist mörderisch.

Unten      —         Vor dem Treffen der Führer Russlands, der Türkei, Deutschlands und Frankreichs. Von links: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Wladimir Putin, Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdogan und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

 

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