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Deniz über die Haft/Türkei

Erstellt von Redaktion am Freitag 23. März 2018

„Die Wut habe ich im Knast gelassen“

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Das Interview führten Doris Akrap und Daniel-Dylan Böhmer

Ein Jahr saß Deniz Yücel ohne Anklage im türkischen Knast. Er und seine Frau sprechen erstmals nach seiner Freilassung gemeinsam mit der taz und der „Welt“.

Doris Akrap: Jedes Mal, wenn Daniel oder ich in den letzten zwölf Monaten zu deinem Fall interviewt wurden, lautete die erste Frage: „Wie geht es Deniz?“ Jetzt kannst du endlich selbst drauf antworten.

Deniz Yücel: Danke, sehr gut. Und zwar aus zwei Gründen: Zum einen, weil ich das große Glück hatte, dass meine Frau Dilek immer an meiner Seite stand, mir den Heiratsantrag in den Knast geschickt und alles für mich getan hat, das gerade nötig war – Angela Merkel treffen, Socken in den Knast bringen, was auch immer. Außerdem waren meine Anwälte eine riesige Stütze. Dazu die FreeDeniz-Solidarität, meine Zeitung, die Welt, die taz, Kollegen in anderen Redaktionen, die Mahnwachen in meiner Heimatstadt Flörsheim, die Autokorsos, Lesungen, Solidaritätsanzeigen, Preise, Briefe… All das gab mir das Gefühl: Ich bin nicht vergessen, ich werde hier nicht verfaulen.

Daniel-Dylan Böhmer: Und der zweite Grund?

Yücel: Im Knast dachte ich immer: Das hier geht vorbei. Ob es ein paar Monate länger oder kürzer dauert, ist nicht egal. Aber wichtiger ist, wie es mir gehen wird, wenn ich hier rauskomme. Das Wichtigste ist, dass ich mich nicht fertigmachen lasse. Das hieß allem voran, dass ich mir Möglichkeiten schaffe, meine Stimme zu erheben. Die wollten mich zum Verstummen bringen. Das haben sie nicht geschafft. Ich habe Interviews gegeben und einige Texte für meine Zeitung geschrieben. Diese öffentlichen Wortmeldungen waren eine Art vorweggenommene Eigentherapie – und Ausgleich dafür, dass ich ein Jahr lang ohne Anklage festgehalten wurde. Man hat mir keine Möglichkeit gegeben, mich vor Gericht gegen die Anschuldigungen von Tayyip Erdoğan und anderen zu verteidigen. So wurde ich zur größten Laberbacke wo gibt im türkischen Knast.

Böhmer: Gibt es Dinge, an die du dich in Freiheit erst wieder gewöhnen musst?

Yücel: Heute bin ich frühmorgens in den Ort hier gegangen. Ich war beim Friseur, habe einen Kaffee getrunken, bin über den Markt geschlendert und habe ein paar Sachen gekauft. Auf dem Weg zurück, mit meinen Einkaufstüten voller Orangen, Erdbeeren und Petersilie dachte ich: Wie schön das ist, über einen Markt gehen zu können. Dasselbe denke ich manchmal, wenn ich in den Nachthimmel schaue. Nachts war die Tür zum Innenhof immer verschlossen, darum habe ich ein Jahr lang keine Sterne gesehen. Und keinen Himmel ohne Draht. Ich guck’ jetzt zwar nicht in den Himmel und denke: „Oh, da fehlt ja der Draht! Ich muss mich bei der Anstaltsleitung beschweren.“ Aber es gibt immer wieder Momente, an denen ich innehalte und merke, dass Dinge, die ich vorher für selbstverständlich hielt, etwas Kostbares geworden sind. Mit Dilek im Gras zu liegen beispielsweise.

Böhmer: Im Dezember wurdest du in eine Zelle verlegt, die über einen kleinen Innenhof mit der Zelle des türkischen Journalisten Oğuz Usluer verbunden war. Aber wie waren die Monate davor, in strenger Isolation? Was macht das mit einem? Wie beobachtet man das an sich selbst?

Yücel: Als das Hafturteil gesprochen wurde, sagte mein Anwalt Veysel Ok zu mir: „Höchstens fünf Monate! Länger können sie dich nicht festhalten.“ So habe auch ich das eingeschätzt. So einen Konflikt mit Deutschland wird sich die Türkei aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nicht leisten können, nur wegen eines Journalisten einer großen deutschen Tageszeitung, dem nichts als ein paar Artikel vorgeworfen werden. Ich habe dann am eigenen Leib erfahren, dass diese Prämissen der türkischen Außenpolitik nicht mehr gelten. Doch gegen Ende der fünf Monate, im Juli, wurde Peter Steudtner mit den anderen Menschenrechtlern verhaftet, zugleich wurde eine Liste mit deutschen Großunternehmen bekannt, die bei türkischen Behörden unter Terrorverdacht standen. Dieses Regime hat keine Außenpolitik, sondern lebt von einem Tag auf den anderen. Ab Steudtners Festnahme habe ich mir kein Datum mehr gesetzt. Ich kam stattdessen auf die Idee, aus meinen alten Texten, die auf den Solidaritätslesungen in Deutschland so gut ankamen, das Buch „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ zu machen. Daran habe ich, zusammen mit Doris, so intensiv gearbeitet, dass ich keine Zeit mehr hatte, darüber nachzudenken, was die Isolationshaft mit mir macht.

Böhmer: Was du jetzt beschreibst, ist ja schon der zweite Schritt, nämlich wie man das bekämpft, was da möglicherweise in der Isolation mit einem passiert. Aber was ist das, was man da bekämpft?

Yücel: Verzweiflung, Wut, Angst.

Böhmer: Angst davor, dass man sich verändert?

Yücel: Ich hatte immer die Hoffnung, in absehbarer Zeit freizukommen. Ich weiß also nicht, wie sich Knast anfühlt, wenn du zu zehn, zwanzig Jahren verurteilt wurdest, alle Rechtsmittel erschöpft sind und du weißt: Es gibt keine Hoffnung mehr. Und dennoch gab es gerade anfangs die Angst, in diesem Loch zu verrotten.

Böhmer: Und hat deine Gegenwehr immer geholfen?

Yücel: Am schwierigsten waren die ersten Wochen. Ich hatte Angst, nach der ersten Aufregung vergessen zu werden. Und außer meiner Schwester Ilkay und meinem Vater Ziya, die mich zweimal für eine Stunde besuchen kamen, habe ich nur meine Anwälte gesehen. Erst nachdem Dilek und ich im April geheiratet hatten, durfte sie mich besuchen. Wichtig in dieser ersten Zeit war zu merken, dass ich kämpfen konnte; dass es an mir lag, ob sie die totale Kontrolle über mein Leben bekamen, die sie wollten. Das fing im Polizeigewahrsam an, wo Papier und Stift verboten waren, ich aber mit einem geklauten Stift in ein Exemplar des „Kleinen Prinzen“ einen Bericht über die Haftbedingungen schrieb und hinausschmuggelte. Das hat mir Kraft gegeben für die folgende Isolationshaft. Oder, eine kleinere Geschichte: Bei der ersten wöchentlichen Bestellung im Knastladen habe ich Rasierklingen gekauft, aber den Rasierstab vergessen. Daraufhin habe ich die Klinge auf den Stiel einer Gabel gesteckt und mich rasiert. Solche Erfahrungen waren ungemein wichtig: Auch wenn schreiben verboten ist oder ich nicht einfach im Laden um die Ecke mir besorgen kann, was gerade fehlt, oder wenn der Staatspräsident rumquäkt und mich als Agenten und Terroristen beschimpft und ich hier ganz allein bin – ich komme damit klar. Ich schaffe das.

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Böhmer: Haben dich diese Erfahrungen im Kleinen auch im Großen stärker gemacht?

Yücel: Bestimmt.

Böhmer: Bleibt das?

Yücel: Das weiß ich nicht. Ich bin milder geworden. Auch gegenüber Redakteuren. Man lernt, dass man nicht über jede Zwischenüberschrift diskutieren muss.

Akrap: Dazu braucht es nicht unbedingt Knasterfahrung.

Yücel: Bei mir schon. Aber was ist erstrebenswerter? Im Knast seine Fehler und Macken zu überwinden und zu lernen, falsche Prioritäten von richtigen zu unterscheiden – also das Gefängnis als Besserungsanstalt anzuerkennen? Oder sich von so ein bisschen Knast nicht beeindrucken zu lassen? Ich denke, es ist erstrebenswerter, im Bescheuerten wie im Schönen derselbe zu bleiben.

Böhmer: Dilek, wie hast du die Zeit ohne Deniz erlebt?

Mayatürk Yücel: Unsere Beziehung war ja noch relativ neu, als Deniz ins Gefängnis kam. Wir haben unsere Beziehung in einer Situation entwickelt, in der wir durch eine Scheibe getrennt waren, in der unsere Gespräche aufgezeichnet wurden und wir unter der Beobachtung standen. Aber auch in einer anderen Hinsicht waren wir nie zu zweit: Wir kannten uns noch nicht so lange und plötzlich habe ich lauter Menschen kennengelernt, die in Deniz’ Leben eine Rolle spielen, die ich aber bislang nicht oder kaum kannte. Jetzt war ich ständig mit diesen Menschen zusammen und habe mit ihnen über Deniz gesprochen. Aber er war nicht da.

Akrap: Wie übersteht man so eine Situation?

Mayatürk Yücel: Mir war klar, dass es lange dauern würde. Dass wir einen Marathon laufen, ohne zu wissen, wie lang die Strecke ist. Das Wichtige war für mich, wie wir diese Sache erleben und wie wir sie zu Ende bringen. Das bedeutete für mich auch, mich körperlich und mental gesund zu halten und Deniz in guter Verfassung zu besuchen. Ich habe ihm immer, bei jedem Besuch gesagt: „Das hier wird zu Ende gehen. Wir werden das zu Ende bringen. Es wird ein Leben danach geben.“ Aber ich wusste auch: Selbst nach der Freilassung wird nicht plötzlich alles aufhören. Was wir erlebt haben, wird uns noch eine ganze Weile lang beschäftigen.

Böhmer: Was wünschst du dir für deine und eure Zukunft?

Mayatürk Yücel: Dieses Jahr hat mir sehr viel Lebenserfahrung gebracht. Aber ich will wieder in meinem Beruf arbeiten. Ich bin Fernsehproduzentin und Dokumentarfilmerin. Und prinzipiell kann ich von jedem Punkt der Welt über einen anderen Punkt der Welt arbeiten. Ich wünsche mir ein Leben an einem schönen Flecken Erde mit Deniz an meiner Seite.

Akrap: Habt ihr schon im Gefängnis über die Zeit danach geredet?

Yücel: Dilek schrieb mir ins Gefängnis, sie würde gern irgendwo leben, wo unsere Füße die Erde berühren. Darüber haben wir uns ein paar Mal in Briefen ausgetauscht und uns überlegt, wo wir uns niederlassen können. Aber ich bin stets davon ausgegangen, dass wir erst mal in der Türkei bleiben würden, weil ich angenommen habe, dass sie den Schein wahren und wie bei den anderen freigelassenen Kollegen eine Ausreisesperre verfügen würden.

Mayatürk Yücel: Wenn man versucht, ganz schnell Entscheidungen für die Zukunft zu treffen, funktioniert das nicht. Man braucht Zeit, um sich zu erholen. Vieles geht ja weiter.

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Böhmer: Was geht weiter?

Mayatürk Yücel: Zum Beispiel, dass ich ausnahmslos jede Nacht davon träume, wie Deniz im Gefängnis ist und dann freigelassen wird. Also, die Haft, die Vorbereitung der Freilassung – jede Nacht führe ich dieselben Gespräche mit anderen Beteiligten und kämpfe um seine Freilassung. Das hört nicht auf.

Akrap: Wovon träumst du, Deniz?

Yücel: Ich habe keine Traumgeschichte zu erzählen. Nur ein einziges Mal sah ich meinen Zellennachbarn Oğuz, mit dem ich in kurzer Zeit Freundschaft geschlossen habe. Vielleicht würde der Fachmann sagen, ich verdränge etwas.

Akrap: Dilek, Deniz hat aus dem Gefängnis einige ziemlich meinungsstarke Texte veröffentlicht und recht pointierte schriftliche Interviews gegeben. Was hast du da durchgemacht, wenn das mal wieder bevorstand?

Mayatürk Yücel: Herzrasen! In einem Land, in dem Menschen wegen Tweets verhaftet und Dinge in Texte reininterpretiert werden, kann alles passieren. Alles kann Eingang in eine Anklage finden. Wir haben schon bei der Verhaftung die Erfahrung gemacht, dass sie seine Worte böswillig auslegen und Sachen falsch übersetzen. In einer Situation, in der die Anklage noch nicht vorlag, bedeutete jede Wortmeldung ein Risiko. Aber ich wusste auch, warum das Deniz wichtig war. Und viele seiner Texte habe ich abgetippt.

Böhmer: Deniz, deine Zeitung, ich und du, waren uns auch nicht immer einig, was gerade klug ist zu sagen. Gab es Momente, wo du dich zensiert gefühlt hast?

Quelle    :      TAZ        >>>>>         weiterlesen

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