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Demokratie und Justiz

Erstellt von Redaktion am Samstag 5. Januar 2019

Schöffen, Richter, Sensationen!

Der Richter und die Schöffen verhängen die Mordacht

Eine Kolumne von

Urteilen nicht unter fünf Jahren: Die neue Amtsperiode der Laienrichter in Strafsachen hat begonnen. Ihre Bedeutung für den Prozess und unser Rechtssystem sollte nicht unterschätzt werden.

Am 1. Januar 2019 hat die neue fünfjährige Amtsperiode der Schöffen an deutschen Strafgerichten begonnen. Anlass genug und Grund, einen Blick auf die Laienrichter zu werfen, die in den Fernsehnachrichten über Urteilsverkündungen in mehr oder weniger spektakulären Strafverfahren stets bescheiden an den Außenseiten der drei Robenträger stehen, und allemal im Schatten des oder der „Vorsitzenden“, der oder die das Urteil verkündet.

Profis und Laien

Schöffen sind „Laienrichter“. Anders als „ehrenamtliche Richter“, die beispielsweise im Handelsrecht oder im Arbeitsrecht tätig sind, sollen sie nicht besondere Fachkunde in die (Straf-)Justiz einbringen, sondern allgemeine Lebenserfahrung. Der „Laie“ ist das Gegenteil des Gelehrten, des Kundigen, des Spezialisten. Mit dem Begriff „Profi“ im Zeitalter des berufsmäßig ausgeübten „Sports“ (von A wie Armdrücken bis W wie Wellenreiten) hat das nur wenig zu tun. Schöffen haben mit Ironisierungen des allgegenwärtigen Profikults nichts zu tun, wissen dies aber (leider) nicht immer. Ihre soziale Rolle ist in der öffentlichen Wahrnehmung – analog und medial – und oft auch von ihnen selbst notorisch unterschätzt, obgleich sie theoretisch wichtig ist und viel faktisches Potenzial hat.

Nur die Strafrichter als Einzelrichter am Amtsgericht entscheiden allein; „Schöffengerichte“ am Amtsgericht in fast allen Fällen zu dritt: Ein Berufsrichter und zwei Schöffen. Am Landgericht entscheiden sogenannte „kleine Strafkammern“ über die Rechtsmittel („Berufungen“) gegen Strafurteile der Amtsgerichte, an denen in erster Instanz Strafrichter oder Schöffengerichte entscheiden. Die „großen“ Kammern beim Landgericht, die erstinstanzlich für Verfahren wegen schwerer Straftaten zuständig sind, entscheiden zu viert (zwei Berufsrichter plus zwei Schöffen) oder zu fünft (drei Berufsrichter, zwei Schöffen). Bei den Revisionsgerichten, die sich nicht mit Tatsachenfeststellungen, sondern (nur) mit Rechtsfragen befassen, gibt es keine Schöffen. In allen Kollegial-Spruchkörpern entscheidet bei streitigen Tatsachen- oder Rechtsfragen in der Hauptverhandlung im Grundsatz die Mehrheit; die Stimmen der Berufs- und Laienrichter sind dabei gleichwertig (§ 30 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG). Eine Ausnahme gilt für solche Spruchkörper, die mit vier Richtern besetzt sind: Hier gibt bei Gleichstand die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag, wenn für eine Frage die einfache Mehrheit ausreicht (§ 196 Abs. 4 GVG). Bei der Frage der Schuld und der Strafhöhe ist aber immer eine Zweidrittelmehrheit erforderlich (§ 263 Strafprozessordnung – StPO).

Über Berufungen gegen die Urteile der Spruchkörper des Amtsgerichts entscheiden beim Landgericht die sogenannten „kleinen“ Kammern. Seit 1993 sind sie besetzt mit einem Berufsrichter („Vorsitzender“) und zwei Laienrichtern (Schöffen). Das ist dieselbe Besetzung wie beim Schöffengericht (am Amtsgericht). Es spricht wenig dafür, dass ein Vorsitzender Richter am Landgericht (als Leiter einer „kleinen“ Strafkammer) von Natur oder Amts wegen weiser ist als ein Vorsitzender eines Schöffengerichts am Amtsgericht. Das Geheimnis der höheren Weisheit muss also – ohne dass es die Bürger seit 1993 bemerkt haben – in einer anderen, vermutlich eher abstrakten Sphäre liegen. Erstaunlich ist, dass eine solche Sphäre gerade von denen, die es angeht, also den heutzutage meist justizskeptischen Bürgern, fast nie thematisiert oder bezweifelt wird: 99 Prozent der Rechtsunterworfenen glauben einfach, dass das Landgericht aus unbekannten Gründen weiser sei als das Amtsgericht – vermutlich, weil es im Instanzenzug höher liegt.

Berechtigung

Damit sind wir bei der Frage der Legitimation. In einem Kollegialgericht aus einem Berufsrichter und zwei Schöffen (Schöffengericht am Amtsgericht) können die beiden Laienrichter den einen gelehrten Profi überstimmen. Wenn diesen das ärgert und er/sie deshalb versucht, in den von ihm verfassten schriftlichen Urteilsgründen die Mehrheitsmeinung schlecht oder fehlerhaft darzustellen oder zum Ausdruck zu bringen, dass er sich von dem Ergebnis distanziert, macht er sich lächerlich. Es gibt informelle Zeichen, mit denen man als Berufsrichter den gelehrten Kollegen signalisieren kann, dass man von den Schöffen überstimmt wurde und keinesfalls das für falsch gehaltene Ergebnis befürwortet hat. Man kann zum Beispiel bei streitigen Fragen betonen, dass sich „dieses Gericht“ nicht von der Schuld des Angeklagten oder der Wahrheit einer Zeugenaussage überzeugen konnte, oder dass „dieses Gericht“ eine Strafaussetzung zur Bewährung vertretbar fand. Die schriftlichen Urteilsgründe werden von den Schöffen weder geschrieben noch gelesen noch unterschrieben; sie können daher solche Manipulationen nicht verhindern.

Demokratie

Schöffen repräsentieren ein übrig gebliebenes Element der (unmittelbaren) Demokratie in einer Kultur des „gelehrten“ und obrigkeitsbeherrschten Rechtsgangs. Dieser Ursprung hat unmittelbaren Bezug zur Legitimität von Recht überhaupt: Ist es Erkenntnis des Vorgegebenen oder Gestaltung des Möglichen? Und wer „entscheidet“, was die Wahrheit ist?

Im alten „Geschworenen“-Gericht, das in Deutschland (mit einer kurzen regionalen Ausnahme nach dem Zweiten Weltkrieg) nur bis 1924 galt und den meisten Bürgern nur noch aus (meist amerikanischen) künstlerischen Dramatisierungen vertraut ist, dominiert das Legitimationselement der Demokratie: „Schuldig“ oder „Nicht schuldig“, sagt die Jury, und hat weder die Fähigkeit noch das Recht, dieses Ergebnis zu begründen. Geschworenen-Jurys fällen (in der Regel: einstimmige) „Wahrsprüche“. Sie begründen nicht, wie sie zu ihrem Ergebnis gekommen sind, und das (Berufs-)Gericht hat ihre Tatsachenentscheidung hinzunehmen. Es entscheidet (nur) über die Rechts- und Rechtsfolgenfragen. Deshalb wird, im Hollywoodthriller, mal der Schuldige freigesprochen, mal der Unschuldige verurteilt. Und fast immer weiß der Zuschauer, wie es wirklich war. In der Lebenswirklichkeit geht es leider so einfach nicht zu. Ob es die Wahrheit und die Gerechtigkeit ist, die ein Gericht verkündet hat, weiß man meist nicht ganz präzise. Wer das Gegenteil behauptet, hat keine Ahnung, keine Skrupel oder keine Fantasie.

Die Mitwirkung der Schöffen im deutschen Strafprozess folgt ganz anderen Regeln. Hier wirken Berufs- und Laienrichter gleichberechtigt an der Feststellung und Bewertung der Tatsachen mit, diskutieren die Beweis- und Rechtslage und entscheiden auf gemeinsamer Grundlage.

Hoch und niedrig

Quelle         :     Spiegel         >>>>>            weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben      —    Der Richter und die Schöffen verhängen die Mordacht. Holzschnitt aus der Bamberger Halsgerichtsordnung (1507)

Welcher vnuerursacht / Dise leych hat gemacht / Sol komen in die mordtacht. Holzschnitt aus der Bambergischen Halsgerichtsordnung: Der Richter und die Schöffen sitzen um einen Erschlagenen und beschließen die Mordacht über den abwesenden Täter. Rechts berührt der Gerichtsdiener die Bahre mit dem Stab.

  • Gemeinfrei
  • File:Mordacht.png
  • Erstellt: 1. Januar 1507

 

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Unten      —           Thomas Fischer auf der re:publica 2016

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