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Demjanjuk

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 12. Mai 2011

Doch so etwas wie Gerechtigkeit

John Demjanjuk 2.jpg

  von RALF MÜLLER, MÜNCHEN

Bielefeld (ots) – Schreck in der Nachmittagsstunde: Seit eineinhalb Jahren sind die Angehörigen von Juden, die im Jahre 1943 im SS-Vernichtungslager Sobibor ermordet wurden, voll des Lobes über die Münchner Justiz. Akribisch hat das Schwurgericht seit Ende 2009 den Fall des in der Ukraine geborenen, mutmaßlich im Dienst der deutschen SS stehenden und später in die USA ausgewanderten John (Iwan) Demjanjuk aufgearbeitet. Und jetzt das: Am Ende des 93. Verhandlungstags entließ der Vorsitzende Richter Ralph Alt den zu fünf Jahren Gefängnis verurteilten kranken Greis in die Freiheit: Der Haftbefehl gegen Demjanjuk wird aufgehoben. Doch das ist völlig korrekt: Solange jemand nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt die Unschuldsvermutung. Und das bedeutet auch, dass der mutmaßliche Täter alle Freiheitsrechte wie ein normaler Bürger in Anspruch nehmen kann. Wie auch immer der Juristenstreit ausgeht, John Demjanjuk hat gebüßt: Er ist weit weg von seiner Familie, alt, krank und staatenlos – ein Ergebnis einer 30-jährigen Flucht vor der Justiz und letztlich dann doch so etwas wie Gerechtigkeit.

Wir sind da etwas anderer Meinung. Unser Gastkommentator Veit-Ulrich H. fasst das aus seiner Sicht wie folgt zusammen:

als derjenige, der die anschläge aufs new yorker trade center in auftrag gegeben hatte, wurde, wie wir inzwischen alle wissen, osama bin laden aufs weg-putzigste gekopf-schusst. die quittung für rund 3.000 unschuldige menschen, die den tod fanden.

das landgericht münchen seinerseits hat gestern john demjanjuk wegen beihilfe zum mord in 27.900 fällen zu fünf jahren verurteilt. in worten: siebenundzwanzigtausendneunhundert. nicht etwa zwetschgen, sondern menschenleben.

weil demjanjuk bereits seit zwei jahren in untersuchungshaft sass und 91 jahre zählt, hat ihn das landgericht frei gelassen. eine fortsetzung der haft sei unverhältnismässig.

wir erinnern uns. ende des letzten jahrhunderts war egon krenz, letzter sed-generalsekretär und staatsratsvorsitzender der ddr, wegen seiner beteiligung an den mauerschüssen verurteilt worden. zu sechseinhalb jahren wegen totschlags in vier fällen. knapp vier jahre davon musste krenz absitzen.

wir erinnern uns weiter. keiner der scharfrichter des dritten reiches *) wurde wegen seiner krassen und tödlichen fehlurteile in der neuen republik zur verantwortung gezogen. im gegenteil. die meisten von ihnen durften es sich gut gehen lassen im frischgemachten nest. einschliesslich altersversorgung.

die rechtliche aufarbeitung des dritten reichs kommt in ihrer qualität der politischen und historischen gleich. es genügt ein wort, um diese qualität zu beschreiben: beschämend.

*) – Anmerk.DL-Red./UP.
In diesem Zusammenhang erinnern wir „nur“ an den Marinerichter Filbinger, der es nach dem Krieg in der CDU bis hin zum Ministerpräsidenten geschafft hat:

„Ist doch der amtierende Ministerpräsident dieses Landes, Dr. Filbinger, selbst als Hitlers Marinerichter, der sogar noch in britischer Gefangenschaft nach Hitlers Tod einen deutschen Matrosen mit Nazigesetzen verfolgt hat, ein so ‚furchtbarer Jurist‘ gewesen, daß man vermuten muß – denn die Marinerichter waren schlauer als die von Heer und Luftwaffe, sie vernichteten bei Kriegsende die Akten – er ist auf freiem Fuß nur dank des Schweigens derer, die ihn kannten.“

Quelle: de.indymedia.org vom 16.09.2003

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Grafikquelle  :John Demjanjuk

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