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Debatte : Putins Pest

Erstellt von Redaktion am Dienstag 1. März 2022

Ideologische Logik hinter Putins Krieg

Wurde hier schon der Krieg ausbaldowert ? Nachtigall wer hört sie trapsen?

Von Klaus Hillenbrand

Der Krieg des russischen Präsidenten gegen die Ukraine ist von völkischem Denken motiviert, das die Rechte der eigenen Nation über die anderer erhebt.

Die Wiederkehr des 1. September 1939 mit anderen Teilnehmern. Stalins Begründung für den Einmarsch der Sowjetunion in Polen im selben Jahr. Der Angriff der Sowjets auf Finnland vom Herbst 1939. Der Überfall auf die Tschechoslowakei 1968, die Unterdrückung des Ungarn-Aufstands 1956. Jetzt, mitten im Krieg in Europa, werden die historischen Analogien bemüht. Diese Suche nach Vorbildern für das Verhalten der russischen Führung ist verständlich. Wenn wir uns schon das scheinbar irrationale Verhalten Putins nicht erklären können, so suchen wir nach Abziehbildern in der Vergangenheit, die uns vielleicht einen Hinweis darauf geben können, was sich dahinter verbergen mag und was er noch vorhaben könnte.

Der Zerfall der bipolaren Weltordnung hat zu einer Rückbesinnung auf nationale Deutungsmuster geführt

Ja, es existieren Parallelen – aber sie stammen allesamt aus anderen Epochen. Die Militäraktionen der Roten Armee nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrem Machtbereich waren Ergebnis einer bipolaren Welt, in der jede der beiden Großmächte in ihrem Hinterhof tun und lassen konnte, was ihr beliebte. Das hoch gerüstete Gleichgewicht des Schreckens sorgte mit knapper Not dafür, dass ein dritter Weltkrieg vermieden werden konnte. Auf die kleineren Nationen aber nahm es keine Rücksicht. Wer sich im Machtbereich des sowjetischen Blocks befand, brauchte auf Hilfe nicht zu hoffen.

Noch weniger lässt sich das Verhalten Josef Stalins mit dem Wladimir Putins vergleichen. Ja, auch Stalin ging es um eine unbedingte Ausweitung seiner Macht, auch er nahm nicht die geringste Rücksicht auf die eigene Bevölkerung. Aber dahinter stand auch die Vorstellung eines anderen ideologischen Rahmens, genannt Kommunismus, dieser vorgebliche Weg zu immerwährendem Sonnenschein auf der Welt unter Führung einer Partei. Eine solche Ideologie gibt es nicht mehr – der Kapitalismus in Russland ist heute nur noch raubtierartiger und ungebremster als in der westlichen Welt.

Wenn es ein durchgängiges Motiv für das Verhalten der Moskauer Kriegstreiber gibt, dann ist es: der überbordende Nationalismus. Wenn der russische Präsident die Ukrainer abfällig als „Kleinrussen“ abqualifiziert, wenn er ihnen jegliche Nationalgeschichte außerhalb der Sowjetunion aberkennt und ihnen das Recht auf Eigenstaatlichkeit abspricht, dann agiert er als völkischer Denker, der die eigene Nation über andere erhebt. Zugleich sind seine Reden schallende Absagen an jegliche Vorstellung des friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen. Putins Behauptung, der Feind müsste „denazifiziert“ werden, entspricht nicht einer militärischen Überlegung, er setzt den Gegner vielmehr mit dem Bösen gleich, das es zu vernichten gelte.

Diese Vorstellung gründet verkürzt gesagt auf dem Gedanken ethnisch „reiner Völker“, deren Lebensrecht über dem anderer Nationen stehe. Beispiele für dieses Denken sind mannigfaltig, und man muss dazu keineswegs nur das NS-Regime betrachten, dem angesichts seiner Vernichtungspolitik eine besondere Rolle in der Geschichte zukommt.

Eine „ethnische Reinheit“ strebten Griechen nach dem Ersten Weltkrieg ebenso an wie nationalistische Türken nach dem Zweiten Weltkrieg, sie fand sich in Reden gestandener Demokraten der Weimarer Republik ebenso wie unter polnischen Patrioten in der Zwischenkriegszeit.

Gab es je andere Ziele bei Politiker-Innen, als bei solchen Treffen auf der obersten Stufe zu stehen ?

Der Zerfall der alten bipolaren Weltordnung hat in den vergangenen 30 Jahren zu einer beispiellosen Rückbesinnung auf nationale Deutungsmuster in Osteuropa und auf dem Balkan geführt. Diese Entwicklung verwundert wenig, wenn man bedenkt, dass die vorgeblich „sozialistische“ Internationalisierung samt ihrer Bruderküsse in diesen Gesellschaften primär auf staatlichem Zwang beruhte und keineswegs dazu führte, alte Bruchlinien, Vorurteile und Ungleichgewichte zu beseitigen. Nicht in allen Fällen führte diese Renationalisierung zu einem aggressiven Verhalten gegenüber den Nachbarn.

Aber der Geist, der da wieder aus der Flasche kam, manifestiert sich heute im Bestreben serbischer Nationalisten nach Eigenstaatlichkeit im multikulturellen Bos­nien-Her­zego­wina. Er hat in Tschetschenien zu unfassbarem Leid geführt, in Moldau das Land faktisch geteilt, in Georgien Hass produziert und mit russischer Unterstützung eine Sezession ermöglicht. Und auch die Ukraine war keineswegs frei von nationalistischen Tendenzen wie der Diskriminierung der russischsprachigen Bewohner.

Quelle         :           TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —      Putin und Angela Merkel im sibirischen Tomsk (2006)

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