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Das Wir – Gefühl

Erstellt von Redaktion am Samstag 10. März 2018

Wir schaffen das – nicht ?

Selbst Jahn und Laumann ergeben keinen Schlaumann

Von Stefan Raue

Warum es verhängnisvoll ist, soziale Fragen mit nationalen und antieuropäischen Wendungen zu verknüpfen

Kaum eine öffentliche Debatte kommt in letzter Zeit ohne die Bezugswörter „wir“ oder „uns“ aus. Unser Diesel, wir als offene Gesellschaft, unsere Heimat sowieso. Aber welches Wir meinen wir denn eigentlich im Jahr 2018, wenn wir WIR sagen?

Gehen wir es zunächst gemütlich an. Wir als Familie, als Gruppe, als Nachbarschaft, als Firma, als Mitglieder von Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen, Wir als Demokraten, Wir als Deutsche, Wir als Europäer, Wir als Weltbürger, ein wohliges und kuscheliges Gefühl, so unter seinesgleichen zu sein

Ein erstes Umkreisen macht deutlich, dass das WIR schon recht ungemütlich sein kann. Und eine echte Zumutung. Das demonstrative WIR stellt nämlich die Frage nach unserer Identität. Wer sind wir?

Viele Jahrzehnte haben wir gedacht, die Erfolgsgeschichte Deutschlands nach 45 und vor allem nach 89 sei als Begründung unseres Gemeinwesens überzeugend und attraktiv genug. Unsere Verfassung und ihre Auslegung, die emanzipatorischen Fortschritte, die starke Wirtschaft, die große Freiheit, die reiche Kultur.

Dann kam das Jahr 2017. Zu seinen großen Zäsuren gehört das Geschehen in einem Dresdner Brauhaus im Januar. Der AfD-Politiker Björn ­Höcke hielt dort eine Rede und erhob selbstbewusst den Anspruch, für „unser liebes Volk“ zu sprechen: Das „einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“.

Björn Höcke ist im direkten Gespräch ein zurückhaltender, fast scheuer Mensch, gebildet, eher leise als laut, ein guter Zuhörer. In Dresden und anderswo nutzt er mit überschnappender Stimme das Vokabular oder, wie der Historiker Martin ­Sabrow es nennt, „das Argumentationsarsenal der NS-Kampfzeit“. Die „verrotteten Altparteien“, die „erbärmlichen Apparatschiks“ und ihre Pfründen, die eigene Partei als Bewegung, „die letzte friedliche Chance für unser Vaterland“, „die furchtbare Lage dieses Volkes“, die Forderung nach den „Neuen Menschen“, die sich für den Dienst für die Sache verzehren auf dem „langen und entbehrungsreichen Weg“.

Höcke hat eine Vorstellung vom WIR, die sehr konkret ist. Womöglich fiel der Startschuss für diese Form des Identitätsangebots für die Mitte der deutschen Gesellschaft schon 2010: mit der Kampfschrift des Sozialdemokraten – und Mitbürgers – Thilo Sarrazin, die bis heute eines der meistverkauften Bücher der letzten zehn Jahre ist. Sarrazin rührte mit großer Akribie Nieder- und Untergangsfantasien, Geburtenraten, Rassen, Fremdes und Bedrohliches zu einem Konvolut zusammen, das den zentralen Vorwurf „WIR sind fremd im eigenen Land“ zu rechtfertigen schien. Danach waren die Dämme gebrochen. Viele in der sogenannten gesellschaftlichen Mitte sahen sich befreit von den Zumutungen eines linksliberalen, antirassistischen und global orientierten und im Übrigen auch christlich beeinflussten Wertekanons.

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Der Höcke, setzt Merkel hohe Böcke – ob Spahn darüber springen kann – oder zeigt er dann die rechte Hand?

2017 markierte das Ende dessen, was die Historikerin Cornelia Siebeck die „nationale Läuterungserzählung“ genannt hat, ohne die kaum eine Rede zum Tag der Deutschen Einheit auskommt. Mit Mühen und Rückschlägen in den 50er und 60er Jahren, mit Macht dann nach 1968: die Verarbeitung und Überwindung der NS-Vergangenheit, die Lehren aus der Geschichte, der „antitotalitäre Konsens“ und die „demokratische Erinnerungskultur“.

Wir hatten gehofft, so wäre er unumkehrbar, der gesellschaftliche Fortschritt. Nie gab es mehr historisches Wissen über die Funktionsweise und die Bedingungen von totalitären, rassistischen, antisemitischen und letzten Endes gewalttätigen Bewegungen, Jahr für Jahr wurden neue Erkenntnisse und Forschungsergebnisse gesammelt, pu­bliziert, nie hatten wir bessere Möglichkeiten, uns zu informieren. Und dann das. Es glaube keiner, die AfD wäre trotz Höcke gewählt worden – von jedem Zehnten unserer Mitbürger. Sie wurde auch seinetwegen gewählt.

Quelle    :     TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben    —   Merkel und ihre Fixsterne?

Angela Merkel beim Wahlabend der CDU zur Bundestagswahl 2017

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