Das völkische Gerede
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 7. April 2018
Links ist da, wo man nicht extrem rechts ist
Von Jörn Schulz
Das völkische Gerede von dem »links-rot-grün versifften 68er-Deutschland« ist ein Mythos
Um politische Korrektheit scherte man sich damals nicht. »Wir wollen sagen, wofür wir sind«, war das Motto der Demonstration des »freien Berlin« gegen die Studentenbewegung am 21. Februar 1968. »Lasst Bauarbeiter ruhig schaffen, kein Geld für langbehaarte Affen« gehörte zu den harmloseren Parolen. Es wurde auch gefordert: »Politische Feinde ins KZ!« Der Mob attackierte mehrere Passanten, die man für Studenten hielt. »Sie schrien: Schlagt ihn tot, hängt ihn auf«, berichtete Lutz-Dieter Monde, der das Pech hatte, Rudi Dutschke ähnlich zu sehen.
Die Demonstration war eine gemeinsame Initiative aller großen Parteien, die vom DGB und den Zeitungen des Springer-Konzerns unterstützt wurde. »Man darf auch nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen«, hatte die »Bild«-Zeitung zwei Wochen zuvor gemahnt, und auch Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) hatte den rechten Mob ermutigt: »Helfen Sie mit, Straftäter festzustellen.« Am 11. April, dem Tag, an dem Josef Bachmann den echten Dutschke niederschoss, erschien »Bild« mit der Schlagzeile »Rudi Dutschke – Staatsfeind Nr. 1!«.
Man versteht, dass Rechtspopulisten und Rechtsextreme sich Verhältnisse zurückwünschen, in denen NS-Nostalgie als selbstverständlicher Ausdruck deutscher Volkskultur galt – bei einer Umfrage im Jahr 1970 hatten nur 39 Prozent der Westdeutschen eine positive Meinung über Stauffenbergs Versuch, Hitler zu stürzen – und politisches Establishment, die einflussreichsten Medien und die Polizei noch Hand in Hand gegen Dissidenten zusammenarbeiteten, ohne es dabei allzu genau mit der Einhaltung der Gesetze zu nehmen.
Die Flagge mit Spahn und Seehofer drin
Den Ton gab 2016 der AfD-Politiker Jörg Meuthen vor: »Wir wollen weg vom links-rot-grün-versifften 68er-Deutschland.« Diese Parole wird unermüdlich in diversen Varianten wiederholt, auch von nominell christlich-konservativen Politikern wie Alexander Dobrindt, dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag: »Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger.« Diese angebliche Herrschaft oder Dominanz »linker Eliten« ist ein Mythos. Er sagt vor allem etwas darüber aus, wie die gar nicht so neue Rechte der Meuthens und Dobrindts die Welt sieht und welche Verhältnisse sie herbeisehnt.
Die globale Radikalisierung der sechziger Jahre, die in unterschiedlichen Formen den Westen, aber auch einige osteuropäische, lateinamerikanische und afrikanische Staaten erfasste, wird für die Debatte oft so zurechtgestutzt, dass sie in den deutschen Vorgarten passt. Recht traditionell wird oft auch in der Linken die Geschichte »großer Männer« erzählt: Der tragische Star ist Rudi Dutschke, in den Nebenrollen treten Daniel Cohn-Bendit, Rainer Langhans und einige andere auf, ausschließlich Studenten, und Frauen erscheinen allenfalls als Pin-up in Gestalt von Uschi Obermaier.
Tatsächlich wehrten sich linke Frauen sehr schnell gegen den »sozialistischen Bumszwang«, wie es der 1968 gegründete Weiberrat nannte, und andere Formen männlicher Dominanz in der Bewegung – eine Revolte innerhalb der Revolte. Der Tomatenwurf, mit dem Sigrid Rüger im September 1968 die ignorante Reaktion Krahls und anderer SDS-Granden auf die Rede Helke Sanders, die für den Aktionsrat zur Befreiung der Frauen sprach, ahndete, markiert symbolisch den Beginn einer eigenständigen Frauenbewegung. Nur zwei Jahre zuvor hatte der Bundesgerichtshof geurteilt, eine Ehefrau sei zum Geschlechtsverkehr verpflichtet, zudem sei es ihr verboten, dabei »Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen«. Man kann, wenn man solchen Verhältnissen nachtrauert, hier von einem Beginn des »Gender-Wahns« sprechen.
Quelle : ND >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Flag of the Libanon.