Wie im Schlaraffenland
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 6. November 2008
Wie im Schlaraffenland
Eugen Drewermann – IRREFÜHRENDE HOFFNUNG
Mit staatlichen Konjunkturhilfen allein ist es nicht getan
In den vergangenen 30 Jahren hat sich das Volksvermögen in Deutschland fast verdreifacht. Wir könnten leben wie im Schlaraffenland. Aber: zehn Prozent der Bevölkerung halten inzwischen mehr Besitz in Händen als 60 Prozent der übrigen, und so haben wir über zwei Millionen Kinder, die in Armut aufwachsen, und etwa 15 Millionen Menschen, die mit Hartz IV, Sozialhilfe und minimalen Renten nicht zu leben und nicht zu sterben wissen.
Mindestlöhne von acht Euro? Nein, das würde ja die Arbeitsplätze mit den Fünf-Euro-Jobs gefährden. Lieber soll der Steuerzahler doch den Unternehmern noch die Ausbeutung von Leiharbeitern finanzieren – ein wirklicher Beitrag zur Senkung der Arbeitslosenzahlen, wie wir wissen. Dass Millionen Menschen mit all der oft entwürdigenden Arbeit – mobil, flexibel, willig, stets als Sklavenarmee des Kapitals verfügbar – nicht einmal genug verdienen, um das Existenzminimum zu finanzieren, hat allerdings seit Jahren einen nicht so schönen Nebeneffekt: die „Binnennachfrage“ lahmt. Und wenn nun noch dem Exportweltmeister Deutschland durch die Finanzkrise die Aufträge wegbrechen, muss die Politik reagieren.
Mit einem Mal stellt die Regierung Merkel 50.000.000.000 Euro als Konjunkturspritze zur Verfügung, zur Rettung von einer Million Arbeitsplätzen, wie es heißt – 50.000 Euro also für einen Arbeitsplatz. Und an wen geht das Geld? Genau! An die Hausbesitzer, damit sie billiger an „schadstoffarme“ Autos kommen. Und, ach ja, auch neue Straßen sollen gebaut werden. So rettet man das Klima und die Umwelt und die Konjunktur. Dann muss man den Volkszorn nur noch auf die überhöhten Managergehälter lenken und rettet damit noch einmal das Gesamtsystem, glaubt man jedenfalls.
Doch das System ist nicht zu retten. Denn es denkt und lenkt vorbei an den Menschen, die es in weltweiter Konkurrenz gegeneinander in Stellung bringt. Der Einzug der Dritten in die Erste Welt ist längst im Gange – da helfen kein Mauerbau wie an der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko (mit 400 Toten jährlich) und auch keine Söldner und Schnellboote im Mittelmeer, wo im Jahr Tausende bei dem Versuch ums Leben kommen, als Migranten aus Nord- oder Westafrika ihr Glück in Europa zu finden.
So zeigt sich derzeit überdeutlich, was Kapitalismus im Prinzip bedeutet: maximale Profitsteigerung durch maximale Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen. Nicht private Gier ist der Grund, sondern das Ausleseprinzip eines Wettbewerbs der wechselseitigen Vernichtung. Liberalisierung und Deregulierung der Märkte sind das Credo von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Der Missionierungsauftrag von Milton Friedman und den Chicago-Boys hat ganze Regionen verelenden lassen und Millionen Menschen in den Untergang getrieben. Die strukturelle Gewalt, die damit verbunden ist, bedarf ständig erweiterter Militäreinsätze. Auf 33 Milliarden Euro wird sich 2009 der Rüstungshaushalt allein der Bundesrepublik belaufen – gedacht für teilweise völkerrechtswidrige Einsätze der NATO auf dem Balkan und in Afghanistan oder für Antiterror-Aufträge vor der Küste Somalias.
Die Vereinten Nationen rechnen uns vor: Mit Investitionen von nur 20 Milliarden Euro könnte man allen Menschen sauberes Trinkwasser verschaffen. Es gäbe eine Menge zu tun, doch dann müssten wir unser gesamtes Weltwirtschaftssystem ändern in Richtung all dessen, was Menschen wirklich brauchen. Weg von der Idee, wie am schnellsten für ganz wenige ganz große Gewinne einzufahren sind.
Auch das gesamte Geldsystem müsste geändert werden. Die Finanzmärkte sind kollabiert, weil aus Krediten wie Kreditversicherungen „komplexe Produkte“ – Derivate genannt – entwickelt wurden, damit sich die Geldbesitzer nach dem Monte-Carlo-Prinzip noch schneller und noch ergiebiger mit Renditen von bis zu 30 Prozent ihrer Einsätze und auf Kosten ihrer Gläubiger bereichern konnten. 19 Millionen Hausbesitzer, die seit 2001 Kredite in Anspruch nahmen, stehen heute in den USA buchstäblich auf der Straße. Die Sache will man staatlich besser beaufsichtigen, aber das Kreditgeschäft selbst ist der Fehler. Bei Verzinsungen von 15 Prozent mit Menschen Geschäfte zu machen, die kein Geld haben und deshalb Kredite brauchen – davon muss das monetäre System schwer in Mitleidenschaft gezogen werden. Zinsen sind die effektivste Methode, nach der sich Eigentum von unten nach oben permanent umverteilen lässt. Man braucht etwa 150.000 Euro auf der Bank, um vom Zinssystem zu profitieren.
Wir sollten daher dreierlei auf einmal abschaffen: alle Formen der modernen Lohnsklaverei, die „Option“ zum Kriegführen und den Zinswucher.
Eugen Drewermann ist Theologe, Psychoanalytiker, Schriftsteller und seit Jahrzehnten einer der bekanntesten Kirchenkritiker in Deutschland.
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Fotoquelle : Eugen Drewermann als Abschlussredner einer Friedensdemonstration am 23. Mai 2009 während des 32. Evangelischen Kirchentages in Bremen.
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Das Sklavenschiff
Von Heinrich Heine
I
Der Superkargo Mynheer van Koek
Sitzt rechnend in seiner Kajüte;
Er kalkuliert der Ladung Betrag
Und die probabeln Profite.
»Der Gummi ist gut, der Pfeffer ist gut,
Dreihundert Säcke und Fässer;
Ich habe Goldstaub und Elfenbein –
Die schwarze Ware ist besser.
Sechshundert Neger tauschte ich ein
Spottwohlfeil am Senegalflusse.
Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm,
Wie Eisen vom besten Gusse.
Ich hab zum Tausche Branntewein,
Glasperlen und Stahlzeug gegeben;
Gewinne daran achthundert Prozent,
Bleibt mir die Hälfte am Leben.
Bleiben mir Neger dreihundert nur
Im Hafen von Rio-Janeiro,
Zahlt dort mir hundert Dukaten per Stück
Das Haus Gonzales Perreiro.«
Da plötzlich wird Mynheer van Koek
Aus seinen Gedanken gerissen;
Der Schiffschirurgius tritt herein,
Der Doktor van der Smissen.
Das ist eine klapperdürre Figur,
Die Nase voll roter Warzen –
»Nun, Wasserfeldscherer«, ruft van Koek,
»Wie geht’s meinen lieben Schwarzen?«
Der Doktor dankt der Nachfrage und spricht:
»Ich bin zu melden gekommen,
Daß heute nacht die Sterblichkeit
Bedeutend zugenommen.
Im Durchschnitt starben täglich zwei,
Doch heute starben sieben,
Vier Männer, drei Frauen – Ich hab den Verlust
Sogleich in die Kladde geschrieben.
Ich inspizierte die Leichen genau;
Denn diese Schelme stellen
Sich manchmal tot, damit man sie
Hinabwirft in die Wellen.
Ich nahm den Toten die Eisen ab;
Und wie ich gewöhnlich tue,
Ich ließ die Leichen werfen ins Meer
Des Morgens in der Fruhe.
Es schossen alsbald hervor aus der Flut
Haifische, ganze Heere,
Sie lieben so sehr das Negerfleisch;
Das sind meine Pensionäre.
Sie folgten unseres Schiffes Spur,
Seit wir verlassen die Küste;
Die Bestien wittern den Leichengeruch
Mit schnupperndem Fraßgelüste.
Es ist possierlich anzusehn,
Wie sie nach den Toten schnappen!
Die faßt den Kopf, die faßt das Bein,
Die andern schlucken die Lappen.
Ist alles verschlungen, dann tummeln sie sich
Vergnügt um des Schiffes Planken
Und glotzen mich an, als wollten sie
Sich für das Frühstück bedanken.«
Doch seufzend fällt ihm in die Red’
Van Koek: »Wie kann ich lindern
Das Übel? wie kann ich die Progression
Der Sterblichkeit verhindern?«
Der Doktor erwidert: »Durch eigne Schuld
Sind viele Schwarze gestorben;
Ihr schlechter Odem hat die Luft
Im Schiffsraum so sehr verdorben.
Auch starben viele durch Melancholie,
Dieweil sie sich tödlich langweilen;
Durch etwas Luft, Musik und Tanz
Läßt sich die Krankheit heilen.«
Da ruft van Koek: »Ein guter Rat!
Mein teurer Wasserfeldscherer
Ist klug wie Aristoteles,
Des Alexanders Lehrer.
Der Präsident der Sozietät
Der Tulpenveredlung im Delfte
Ist sehr gescheit, doch hat er nicht
Von Eurem Verstande die Hälfte.
Musik! Musik! Die Schwarzen soll’n
Hier auf dem Verdecke tanzen.
Und wer sich beim Hopsen nicht amüsiert,
Den soll die Peitsche kuranzen.«
II
Hoch aus dem blauen Himmelszelt
Viel tausend Sterne schauen,
Sehnsüchtig glänzend, groß und klug,
Wie Augen von schönen Frauen.
Sie blicken hinunter in das Meer,
Das weithin überzogen
Mit phosphorstrahlendem Purpurduft;
Wollüstig girren die Wogen.
Kein Segel flattert am Sklavenschiff,
Es liegt wie abgetakelt;
Doch schimmern Laternen auf dem Verdeck,
Wo Tanzmusik spektakelt.
Die Fiedel streicht der Steuermann,
Der Koch, der spielt die Flöte,
Ein Schiffsjung’ schlägt die Trommel dazu,
Der Doktor bläst die Trompete.
Wohl hundert Neger, Männer und Fraun,
Sie jauchzen und hopsen und kreisen
Wie toll herum; bei jedem Sprung
Taktmäßig klirren die Eisen.
Sie stampfen den Boden mit tobender Lust,
Und manche schwarze Schöne
Umschlinge wollüstig den nackten Genoß –
Dazwischen ächzende Töne.
Der Büttel ist Maître des plaisirs,
Und hat mit Peitschenhieben
Die lässigen Tänzer stimuliert,
Zum Frohsinn angetrieben.
Und Dideldumdei und Schnedderedeng!
Der Lärm lockt aus den Tiefen
Die Ungetüme der Wasserwelt,
Die dort blödsinnig schliefen.
Schlaftrunken kommen geschwommen heran
Haifische, viele hundert;
Sie glotzen nach dem Schiff hinauf,
Sie sind verdutzt, verwundert.
Sie merken, daß die Frühstückstund’
Noch nicht gekommen, und gähnen,
Aufsperrend den Rachen; die Kiefer sind
Bepflanzt mit Sägezähnen.
Und Dideldumdei und Schnedderedeng –
Es nehmen kein Ende die Tänze.
Die Haifische beißen vor Ungeduld
Sich selber in die Schwänze.
Ich glaube, sie lieben nicht die Musik,
Wie viele von ihrem Gelichter.
»Trau keiner Bestie, die nicht liebt
Musik!« sagt Albions großer Dichter.
Und Schnedderedeng und Dideldumdei –
Die Tänze nehmen kein Ende.
Am Fockmast steht Mynheer van Koek
Und faltet betend die Hände:
»Um Christi willen verschone, o Herr,
Das Leben der schwarzen Sünder!
Erzürnten sie dich, so weißt du ja,
Sie sind so dumm wie die Rinder.
Verschone ihr Leben um Christi will’n,
Der für uns alle gestorben!
Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück,
So ist mein Geschäft verdorben.«
Heinrich Heine
Kommentar der Redaktion:
Zwei Zeugen ihrer Zeit. Ist es nicht traurig, dass wir aus der Vergangenheit nichts gelernt haben?
Redeaktion DL / IE
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Fotoquelle :
The Disney Wonder, docked at Castaway Cay.