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Essay über Lachen

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 21. Januar 2016

Das Narrenschiff geht niemals unter

Eckhard Henscheid

Warum lachen die anderen? Und wir? Erwägungen anlässlich einiger recht bekannter Präzedenzfälle. Eine Vorbereitung auf die Karnevalssaison.

In einer frühen Radio- und Filmszene, „Die Büttenrede“, lässt Gerhard Polt einen von ihm selbst gespielten Faschingsprinzen Erwin Wurster auftreten, der im häuslichen Schlafzimmer und im Schlafanzug für die „lieben Närrinnen und Narren“ des nächsten, des morgigen Auftritts Witze, Pointen und Reime ausprobiert. Erwin, vom schon fortgeschrittenen Fasching und seinen eigenen Prinzeneinsätzen und Alkoholschäden offenbar vollkommen geschlaucht, memoriert dabei lauter schon extrem törichte und dabei wie tödlich ermüdete Zwei- und Vierzeiler:

„Wir lassen‘s heut besonders krachen,
Wir bringen heute was zum Lachen,
Für alle, die da unten hocken,
Wenn‘s kracht, dann bleibt kein Auge trocken.“

Erwin, immer verzweifelter, auch wohl noch schwer verkatert, gibt gleichwohl nicht auf, memoriert tapfer weitere Verse wie:

„Alaaf, hellau, alaaf, hellau,
Der Schnaps schmeckt uns auch ohne Frau“
– allerdings dann auch:
„Der Schnaps schmeckt jetzt auch meiner Frau“
– denn siehe:
„Und is‘ die Alte endlich voll,
Dann wird der Abend doch noch toll.“
Denn schließlich und immer trostloser:
„Das Narrenschiff geht niemals unter,
Wir bleiben heiter, froh und munter.“

Erwin übt nicht nur und testet dirigierend neue Überraschungsvarianten samt Tusch und „Dadaa-dadaa“-Nachhall – er weiß auch schon den erwünschten Effekt: „Da wieherns’ dann, die Leute“, und, nach dem nächsten besonders erbärmlichen Witz: „Tusch – und da lachens‘ dann wieder.“

Erwin Wurster hat völlig recht, und aus Erfahrung praktisch schon alles fertig programmiert. Der Film und die keineswegs eingespielten Lacher bei Polts Bühnenvorführungen beweisen es: Das Publikum lacht wie ein Lachautomat. Nur: ist trotzdem nie so ganz klar, wieso, warum sie lachen.

Trotz der nicht mehr überbietbaren dummen Verse – oder gerade ihretwegen? Wegen der durchaus virtuosen Torheit inklusive Polts unnachahmlich clownesker, nahezu tragischtrauriger Vortragsweise und Miene? Die den Menschen im Publikum Erinnerungen an ähnliche wirkliche Faschingstrübsale weckt? Man möchte das zweite annehmen, aber sicher kann man da nie sein. Sie lachen, offenhörbar auch bei Polt, jenseits jeden Niveaus, jeden Sinns. Sie? Zumindest viele.

Noch unklarer ist die analoge Sache bei dem sehr poltverwandten Jahrhundertkomiker Heino Jaeger. Bei einem speziell bunten Rezitationsabend in Saarbrücken ca. 1970 bringt Jaeger in der noch heute als CD erhaltenen Fünf-Minuten-Nummer „Der Conferencier“nicht nur circa alle branchentypischen Blödigkeiten auf den ihrerseits wunderbar komischen Punkt; sondern auch den ab ovo schön konstruierten, aber halt leider steinalten Witz: „Wenn die Frauen verblühen, verduften die Männer!“

Wie von Jaeger auch ganz bestimmt erwartet, kräht das große Publikum auf, und als der Conferencier sich für den einfältigen Beifall bedankt, auch dafür, er habe den Witz hier ja eigentlich schon mal vor zehn Jahren gemacht, dankt ihm nochmals entschlossenes Lachen.

 Virtuose Frechheit

Ähnlich wie bei Polt ist schlechterdings ununterscheidbar, über was sie lachen: über den altbackenen Witz? Oder über die virtuose Frechheit, ihn hier – parodierend – nochmals zu präsentieren? Oder gar über die Metapointe, dass sie sich da sauber haben hereinlegen lassen? In dubio pro reo? Nein. Nein, hier herrschte wohl überwiegend größtmögliche Geistesabsenz im Verein mit der im Lachfach üblichen ohnehinnigen Kopf- und Gemütsträgheit.

Und über die dürfen wir Wachen nun unsererseits wiederum lachen? Lachen, man weiß es aus zehntausend wissenschaftlichen oder mehr intuitiven Beobachtungen, hat außer der spirituellen auch eine stark physisch-mechanische Valenz: Der Mensch will einfach lachen. Will einfach, vom Überdruck, von den Kalamitäten des bösen Lebens weg einmal lachen. Einmal? Manchmal? Wie ein Lachsack praktisch immerzu? Wachheit beim Lachen ist offenbar nur das – spätere? – Gegen- und Komplementärprinzip.

Die Lachautomatik ist nicht unbedingt etwas Dummes und gar Böses. Sondern entspricht unserer genuinen, unserer primären physischen Natur; im Sinne eines archaischen, eines noch heute wirksamen Atavismus. So wie (da sind sich die Human-Archäologen wohl einig) das lachende Zähnezeigen ursprünglich etwas wie Aggression, symbolischen Kampf signalisierte – so zeigt sich das Polt-Jaeger‘sche Gelächter als hemmungsbefreiendes Vorrecht, Recht auf ein Gehenlassen inmitten aller Lebenszwänge.

Das Lachen, so Robert Gernhardt in mehreren Studien und Selbstbeobachtungen, kenne im Grunde kein ästhetisches Gesetz, finde statt jenseits von „Niveau“. Das Niveau ist quasi erst später als Sonderfall, durch die Deutung des Witzes, hinzugekommen.

Sofern man Komik und ihre Qualität dabei nicht nach älteren Professorenbüchern und jüngeren Literaturpreisen, sondern nach Mehrheitsentscheidungen bemisst, dann sind Lautstärke und Erwartet/Unerwartetheit des pluralen Gelächters die zuständigen Beweisstücke. Und praktisch nur in Liveaufnahmen wie bei Polt und Jaeger sind die Befunde nachzuprüfen. Als Autor, als Rezitator eigener und häufig komisch angelegter Texte, macht man immerhin seine eigenen Erfahrungen. Manchmal wird überraschend gelacht, manchmal ziemlich unverständlicherweise nicht.

Rätselhafte Publikumslachgeräusche

Rätsel auferlegten mir von Beginn an die vernehmlichen oder ausbleibenden Publikumslachgeräusche bei Lesungen des Beginns meiner Erzählung „Franz Kafka verfilmt seinen ‚Landarzt‘“. Kaum hörbare Reaktionen hat es bei der Passage vom werbenden Gewäsch der filmenden Lehrer, Kafka möge, dürfe, ja solle auch „noch ein wenig am Drehbuch mit herumfeilen“: Diese, den betrüblichen Zeitgeist der Branche wie der 70er Jahre auf den ordinären Punkt bringenden Dummreden evozieren offenbar ebenso wenig Lachen wie der Lehrer sinnlos-impertinentes Gequalle, die „Landarzt“-Erzählung „dränge, ja schreie geradezu nach Verfilmung“ – eine ihrerseits schreiende und wohl heute noch kurrente Feuilletonphrase.

Allerdings müsse dann, so das Lehrer-Filmer-Trio, in Süditalien „die Schneesymbolik“ des Textes logisch „adäquat durch unheimlich Hitze, also praktisch Tropen“ ersetzt werden, und außerdem könne man dabei auch „erstklassig Urlaub machen“: Hier, inmitten eines Schwalls auch anderweitiger Anachronismen, schwant ca. 33 Prozent der Zuhörerschaft, kenntlich durch Kichergeräusche, etwas von der sogar leicht deprimierenden Komik zeitgenössischen Vulgärdenkens und -benehmens.

Auch dass die Lehrer, weit jenseits von Kafka, besonders hastig und doppelt unglaubwürdig von Orson Welles und Louis Malle „die neue Sinnlichkeit“ für ihr Machwerk adaptieren möchten. Diese schon übermäßig inadäquate blöde Rederei wird ihrerseits von meinem Auditorium lachend akzeptiert; auch, dass Kafka „à la Hitchcock eine kleine Rolle übernehmen“ solle, erfährt immer als Quittung hörbares Gelächter.

In der Summe: dürfte sich das, was den Hörern/Lesern an lauter oder leiser Lachhaftigkeit einleuchtet und was nicht, ziemlich genau auf 50:50 hinbewegen. Und einigermaßen unbegreiflich bleiben.

 Und wiederum ratlos machen.

Anarchistische Tabubrüche

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle: Wikipedie-  „Narrenschiff“ by Thomas Bühler –/–Thomas BühlerArchiv des Künstlers,

CC BY-SA 3.0 de

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