Das Massaker von My Lai
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 22. März 2018
Der Junge und der Fotograf
Von Sven Hansen
Duc Tran Van überlebte vor 50 Jahren das Massaker. Heute kämpft er mit einem früheren US-Armeefotografen für ein angemessenes Gedenken.
Duc Tran Van gibt es zweimal. Einmal als heute 56-jährigen Schlosser mit Schnauzbart, der in Remscheid lebt und seit 1990 im benachbarten Wuppertal arbeitet. Und das zweite Mal aus Stein, überlebensgroß, in der Form eines vermeintlich getöteten Jungen, auf dem Boden liegend und über seine kleine Schwester gebeugt.
Die Skulptur ist Teil eines Mahnmals im südvietnamesischen Küstendorf My Lai in der Provinz Quang Ngai. Dort massakrierten am 16. März 1968 US-Soldaten ein ganzes Dorf. Sie vergewaltigten Frauen, erstachen Babys, schlitzten Körper auf, schnitten Ohren und Köpfe ab, verbrannten Hütten, Vorräte und Haustiere. Nach vietnamesischen Angaben starben 504 Menschen, nach US-Angaben 347.
Der US-Armeefotograf Ronald L. Haeberle hat das damals dokumentiert. In offiziellem Auftrag begleitete er die Soldaten der Charly-Kompanie bei ihrem Einsatz gegen angebliche Vietcong. „Glückwünsche den Offizieren und Mannschaften zum ausgezeichneten Gefecht“, telegrafierte damals William Westmoreland, der Oberbefehlshaber der US-Truppen in Vietnam. Dabei hatten die Soldaten nicht einen Vietcong angetroffen, die Informationen über das Dorf waren falsch gewesen.
Anfangs vertuschte das Militär das Massaker. Doch Haeberle versteckte einen Teil der Fotos; dank seiner Zivilcourage und den Recherchen des später mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Journalisten Seymour Hersh kamen die Taten ab Sommer 1969 trotzdem ans Licht. Der Mythos, die USA würden Vietnam die Demokratie und die Freiheit bringen, war damit zerstört. My Lai wurde so zu einem Wendepunkt des Krieges.
Eine Skulptur und ein Altar
Es war auch Haeberle, der fotografierte, wie Duc sich schützend über seine 14 Monate alte Schwester geworfen hatte. In der seit 1976 bestehenden Gedenkstätte in My Lai sind viele seiner Fotos zu sehen. Zu „seinem“ Bild erklären sie dort, es zeige getötete Kinder, sagt Duc heute. Deshalb nahm es ein Bildhauer später als Vorlage für einen Teil der großen Skulptur, vor der ein kleiner Altar für Räucherstäbchen steht.
„Besucher beten jetzt zu mir,“ sagt Duc. „Dabei bin ich doch gar nicht tot.“ In der Gedenkstätte stieß er auf weitere Fehler. „Ich bin sehr unzufrieden damit, wie mit den Opfern vor Ort umgegangen wird,“ sagt Duc, der während des Massakers seine Mutter und zwei Schwestern verlor.
„GIs trieben uns aus dem Haus, unsere Nachbarn standen schon auf der Straße“, erinnert er sich. „Die Dorfbewohner wurden auf einer Kreuzung zusammengetrieben. Dann schossen die Soldaten direkt in die Menge. Um uns herum fielen die Menschen um, überall war Blut.“ Seine Mutter habe seine kleine Schwester Ha auf dem Arm gehalten und ihn in einen Graben neben ein Reisfeld gezogen.
„Meine Mutter legte sich auf mich und meine Schwester. Mit ihrem Strohhut deckte sie uns zu. So blieben wir liegen, während die Soldaten weiter schossen.“ Als die GIs weitergezogen waren, habe seine Mutter zu ihm gesagt, er solle Ha zu seiner Großmutter ins Nachbardorf bringen, sagt Duc. Sie drehte ihren Körper zur Seite, damit er Ha nehmen konnte. Dabei sah er ihre Wunden. Sie starb.
Keine Entschuldigung
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Unidentified Vietnamese man and child killed by US soldiers
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Unten — Monument of the My Lai Massacre