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Das Lebendige regt sich

Erstellt von Redaktion am Freitag 3. August 2018

Klaus Renft : Das Lebendige regt sich

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Von Thomas Gerlach

In der DDR wussten sie, die Stones würden nie kommen, Deep Purple auch nicht. Aber die Klaus Renft Combo war da. Bis das Verbot, Streit und der Tod die Band zerlegt. Nur einer noch singt heute die Renft-Lieder. Wieder und wieder.

Bekommt die Band das Bier heute kostenlos? Einen Augenblick lang scheint Heike Stephan ratlos, schließlich ist sie keine Konzertveranstalterin, sondern Grafikerin und der Auftritt heute ist etwas Einmaliges. „Ja, klar“, sagt sie dann schnell. Sie kennt die Männer gut, die am Abend unter der Hainbuche im Pfarrhof von Löhma spielen, einem winzigen Dorf mit 270 Einwohnern im Thüringer Osten. Den Leuten von Renft sollte man keine Ketten anlegen, auch nicht beim Bier. Nicht nach sechzig Jahren, nicht nach all den Schlachten und den Toten. Nur noch wenige von der legendären Besetzung aus den Siebzigern sind noch am Leben und nur einer steht noch auf der Bühne: Thomas Schoppe, den sie hier alle „Monster“ nennen.

Die meisten Musiker schlafen unter der Erde, so wie Bandgründer Klaus Renft, Stephans Lebensgefährte, der heute seinen 76. Geburtstag feiern würde, aber 2006 gestorben ist.

Renft, ursprünglicher Name Klaus Jentzsch, hat die Band 1958 als Klaus Renft Combo in Leipzig gegründet. Inspiriert von Fats Domino, Little Richard, später den Stones und den Beatles gab es bald jede Menge spektakulärer Konzerte in und um Leipzig, mit „Yeah! Yeah! Yeah! und dem ganzen Dreck“, der SED-Parteichef Ulbricht ein solcher Graus war, dass er damit ganz fix Schluss machen wollte. Was folgt, waren Auftrittsverbot, Umbenennung, wieder Verbot, wieder Umbenennung.

Dann kommt, 1971, der neue SED-Chef Erich Honecker und mit ihm kommen drei, vier liberale Jahre. Renft steigt mit seinem Sound zwischen Rock und Blues und seinen Texten zur angesagtesten Band der DDR auf. Sie singen über Liebe, Träume, vom Alltag und natürlich von Sehnsüchten. Von Sehnsüchten in diesem kleinen, mit Stacheldraht so akkurat verpackten Staat. Es sind kleine Botschaften, wie Kassiber versteckt in Metaphern von Booten, die nach Norden ziehen, und Vögeln, die einfach davonfliegen.

Die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die 68er Studentenproteste, der Prager Frühling, der Vietnamkrieg, Woodstock, John Lennon mit seinem „Give Peace a Chance“ und der Streifen „Blutige Erdbeeren“, der von rebellierenden Studenten in Kalifornien erzählt und in der DDR zum Kultfilm aufstieg – das alles verstärkte sich zu einem einzigen weltumspannenden Gefühl, das in der „Sonne“ in Schkeuditz, in der „Central-Halle“ in Gaschwitz und in Mülsen im Erzgebirge zu spüren ist. Es steckte Arbeiter, Lehrlinge, Schüler, Studenten an. Und von der Bühne gellte Thomas Schoppes durchdringender Schrei.

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„Alle Zeit drängt nach vorn / Das Lebendige und regt sich / Zwischen Liebe und Zorn/ Reift der Mensch und er bewegt sich“

Zu den Weltfestspielen 1973 in Ost-Berlin, einer Art DDR-Woodstock, genehmigt von der SED, tritt die Band vor Hunderttausenden unterm Fernsehturm auf. Die SED präsentiert, fünf Jahre nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“, für ein paar Tage im August ihre Version vom liberalen Sozialismus und Renft ist Kult. Doch 1975 kommt das endgültige Aus. Drei gehen in den Westen, drei bleiben. Nach der Wende Neugründung, Streit, Abspaltung – dann kommt Gevatter Tod.

Einer noch singt die Renft-Lieder wieder und wieder: Thomas Schoppe, genannt „Monster“, nach dem gleichnamigen Album der Hard-Rocker von „Steppenwolf“. Jetzt kommt der Sänger und Gitarrist über den Pfarrhof, angegrautes Haar, nicht mehr so lang, aber für einen 73-Jährigen herrlich dicht und ordentlich zerzaust. Schoppe steht unter einem Flieder, Bierglas in der Hand. „Renft spielt bei Renft“ hat die Regionalzeitung angekündigt. Schoppe tritt mit der aktuellen Renft-Besetzung, alle drei gestandene Ost-Rocker, zum ersten Mal hier auf, wo Gründer Klaus Renft die letzten Jahre verbracht hat und das Leben im Dörfchen Löhma, wie man hört, musikalisch bereichert hat.

Schoppe hat gezögert. „Ich wollte dem Personenkult von Klaus aus dem Wege gehen.“ Und tatsächlich, mit Bildergalerie unterm Dach, Gedenkstein im Pfarrgarten und jeder Menge Fotos erinnert das Grundstück an eine Renft-Gedenkstätte. Auf der Treppe hängen die Fotos aller Bandmitglieder, gewesener und heutiger, eine Ahnengalerie hinter Glas. Schoppe ist zweimal vertreten, ein Heimspiel ist es trotzdem nicht. Doch er hat zugesagt, Heike Stephan will Kunst verkaufen, Grafiken, auch Bilder von Klaus Renft. „Aber wer weiß? Vielleicht geht es uns ja wie der deutschen Mannschaft?“, flachst Schoppe die Nostalgie weg.

Renft und Schoppe waren Antipoden. Dort Klaus Renft – der Leise, Harmoniebedürftige, der Schmächtige. Hier Schoppe – der Kompromisslose, der Hochfahrende, der Hüne mit Stimmbändern wie Stahlseilen und einem Resonanzraum, groß wie ein Kleiderschrank. „Monster“ eben. Es gibt ein Foto, da sieht Schoppe aus wie ein Wirts­haus­schläger, kräftige Arme, große Hände, forscher Blick. Und wenn Schoppe jetzt so in den Jahren herumstippt wie in einem Eintopf, sich an sein Leipzig der sechziger Jahre erinnert, sich mal einen Vers rauspickt, ist dieses Vulkanische zu spüren, in seinen Augen, in seiner Stimme, in den Handbewegungen. Auch das Wegwerfende. So einer will auf die Bühne.

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Was passiert eigentlich auf der Bühne? Schoppe dreht sich um. Instrumente werden verstöpselt, eine Gitarre heult auf und am Bierwagen füllt der Wirt die Gläser. Über den Pfarrhof schlendern Leute, sie kommen aus Jena, Gera, Leipzig, Berlin, allesamt Jahrgänge irgendwo zwischen 1950 und 1965. Manche Männer haben beachtliche Bäuche, einer stakt mit Krücken umher, einer sitzt angenagelt wie ein Fakir, dürr und mit langen weißen Haaren. Etwa 140 Besucher sind hier. Bratwurstduft, Zigarren- und Pfeifenrauch liegen in der Luft. Von Zeit zu Zeit klirren Biergläser. Wer die Augen schließt, wähnt sich auf einem Feuerwehrfest. Wer sie wieder öffnet, sieht „Renft – für immer!“ auf T-Shirts geschrieben oder „Zwischen Liebe und Zorn“, ein Renft-Klassiker. „Wer die Rose ehrt“ gibt es nicht auf Textil, dafür heißt die CD auf dem Verkaufstisch so.

Quelle     :       TAZ        >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen           :

Oben     —      Klaus Renft während eines Auftrittes in Eppendorf/Sachsen 2003.

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2.)   von Oben     —      Ostrockmuseum Kröpelin

 

 

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