Erstellt von Redaktion am Mittwoch 4. März 2020
Vor dem Gesetz ist jeder Glaube gleich
Im Unterschied zu allen anderen religösen Dingen dieser Welt, sind Kopftücher das einzige Ding im Universum, das schon einmal zur Unterdrückung verwendet wurde. Über ein mutiges Beispiel von wehrhafter Neutralität.
Der öffentliche Dienst, insbesondere der Justizdienst, ist eine ernste Angelegenheit. Da muss die richtige Gesinnung herrschen, außerdem Ordnung, Vertrauen in den Staat und – ganz besonders wichtig! – höchstes Zutrauen in die Objektivität der Amtsausübung jedes Amtsträgers. Eine Staatsanwältin, die das goldene Ehrenabzeichen des ADAC trägt, dürfte bei uns niemals eine Sitzungsvertretung durchführen, und jeder Richter auf der Richterbank muss, bevor er dorthin darf, erst einmal seine Armbanduhr, seine T-Shirt-Marke und sein Auto vorzeigen, damit der objektive Betrachter erkennen kann, ob er es am Ende mit einem fanatischen Gold-Spekulanten, einem Liebhaber germanischer Muscle-Shirts oder einem Mitglied der „PS-starken Raser-Szene“ zu tun hat.
Das sind natürlich bloße Fantasien, denn sowas ginge ja gar nicht in unserem Rechtsstaat, so lange wir ihn noch haben und gegen die anbrandenden Horden der objektiven Beobachter schützen. Aber träumen darf man ja mal von der gläsernen Welt und Tom Cruise beim predictive policing, und einem selbst am Drücker? Wer träumt nicht mal davon, die Herrin der Welt zu sein und die Linsen aus der Asche zu suchen: die guten hier hinein, die schlechten dort hinein, und am Schluss auf den Ball des Königssohns zu gehen ohne Blut im Schuh?
Tagein, tagaus religiöses Gerede ertragen
Beim Bundesverfassungsgericht geht es natürlich etwas weniger märchenhaft zu, und wenn man etwas oder jemanden „nicht länger dulden“ möchte im öffentlichen Dienst, muss man statt „ist doch klar“ schon ein paar ordentliche Argumente liefern. Am 27. Februar hat das Gericht einer hessischen Rechtsreferendarin im Ergebnis untersagt (d.h. ihre Beschwerde gegen die Untersagung verworfen), bei Tätigkeiten in „hoheitlicher Funktion“ (z.B. als nicht-entscheidende Person auf der Richterbank; als weisungsgebundene Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft oder bei Zeugenvernehmungen) „ein Kopftuch“ zu tragen.
Durch den Anblick einer Rechtsreferendarin mit Kopftuch würde, so haben es sieben Richter des 2. Senats des BVerfG ergründet, der Anspruch der rechtsunterworfenen (kopftuchfreien oder kopftuchtragenden) Bürgerinnen und Bürger auf „negative Religionsfreiheit“ gefährdet und das garantiert vom Berg Sinai herabgeworfene 1. Gebot des Staates „Du sollst neutral sein“ missachtet.
Beides wäre, zugegeben, nicht wirklich schön. Obwohl ich an dieser Stelle immerhin einmal erwähnen darf, dass meine eigene negative Religionsfreiheit ziemlich oft hart auf die Probe gestellt wird. Ich bin, war und werde nämlich absolut kein bisschen religiös, muss mir aber seit 65 Jahren tagein, tagaus irgendein religiöses Gerede anhören oder Symbole anschauen, allesamt ganz bestimmt total gut gemeint und nur für mich!
Aber bitte, meinetwegen! Ich beschwere mich nicht, solange nicht irgendwelche Gotteskrieger mich vorzeitig in die Hölle bringen, meine Rechtsgüter zerstören oder mich mit anderem bedrohen wollen als mit der Nichtzulassung zum öffentlichen Paradiesdienst. Außerdem ist Religion ja eine der schönsten, bedeutsamsten und interessantesten Kulturleistungen der Menschheit überhaupt.
Um das zu wissen, muss man allerdings nicht irgendetwas „glauben“. Andererseits darf man „glauben“, was man will, sagt z.B. Art. 4 Abs. 1 GG, so lange man nicht die Rechtsgüter anderer verletzt. Und zum Glauben muss man auch nicht in den Keller gehen oder nachts in den dunklen Wald, sondern man kann einfach auf der Straße sagen, was man glaubt, dabei Symbole der Freude schwenken, Glocken läuten, selbstgebastelte Heilige durch die Straßen schleppen, und was man sonst noch wollen mag. Man darf anderen aufzwingen, sich das anzuschauen, öffentlichen Raum dafür vorzuhalten und öffentliche Sendezeit; man darf mit den Steuerleistungen aller Ungläubigen Beamte bezahlen, die hoheitlich die Alimentation von Kirchen und Gläubigengemeinschaften eintreiben.
Wenn man Richter, Lehrer, Polizistin oder Verwaltungsfachwirtin FH ist, darf man in seinem Dienstzimmer, trotz Publikumsverkehr, ein Kreuz an die Wand hängen (manchmal muss man es sogar!) oder Heiligenbildchen zu den Urlaubspostkarten ans Pinnbrett hängen. Im hoheitlichen Dienst-PKW der Polizei darf der Heilige Christopherus mitfahren, nicht aber der Wackel-Elvis; und der heilige Florian beschützt die Feuerwehr gern auch beim hoheitlichen Aufbrechen von Türen.
Was kann die Frau mit Kopftuch anrichten?
Nun also die Rechtsreferendarin mit Kopftuch. Sie heißt, wie uns die Urteilsabschrift sagt, „Dr. E. …“; wir wissen also nicht, ob sie mit Vornamen vielleicht „Erna“ heißt, oder vielleicht „Ecegül“, oder „Emma“. Wenn jetzt Referendarin Erna mit Kopftuch einen Zeugen vernehmen will: Darf sie oder darf sie nicht? Kann dem Zeugen dabei etwas passieren? Ist sein religiöses Gefühl verletzt, wenn er einen Autounfall Frau Erna mit Kopftuch schildern muss? Muss er dabei an fremde Götter glauben, heidnische Rituale ausführen, grausame Schwüre schwören?
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — rajasthan
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Unten — Thomas Fischer auf der re:publica 2016
Erstellt am Mittwoch 4. März 2020 um 12:42 und abgelegt unter Deutschland_DE, Justiz-Kommentare, Positionen, Religionen.
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