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Das Diktat aus Berlin

Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 7. Februar 2018

Ein britischer Ex-Botschafter rechnet mit den Deutschen ab – diplomatisch

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Von Ulrike Herrmann

Der provokante Buchtitel sagt alles: „Berlin regiert“. Deutschland sei allmächtig in Europa, und alle anderen EU-Staaten hätten brav zu folgen. Selbst Großbritannien, einstige Großmacht, sei nur noch Vasall.

Diese Sicht ist zwar weit verbreitet in England, aber interessant wird dieses Buch, weil es von einem britischen Diplomaten geschrieben wurde, der Europa und Deutschland bestens kennt: Paul Lever amtierte von 1997 bis 2003 als britischer Botschafter in Berlin. Aber er war auch in Brüssel stationiert, als Großbritannien 1973 der EU beitrat; in den 1980ern hat er für die Europäische Union gearbeitet, und in den 1990ern war er im britischen Außenministerium leitend für die Kontakte mit der EU zuständig. Hier spricht also ein Insider – der dennoch für den Brexit ist, um endlich der deutschen Übermacht zu entkommen.

Das Buch ist für Briten geschrieben; sie sollen verstehen, wie Deutschland und Europa funk­tio­nieren. Trotzdem ist der Text auch für Deutsche lohnend, obwohl simple Fakten oftmals nicht stimmen. Ein paar Beispiele: Bei Lever hatte Westdeutschland nur neun Bundesländer, dafür lebten in der DDR aber 20 Millionen Menschen, Kurt Georg Kiesinger war angeblich der zweite Kanzler, und Deutschland soll nur dreimal Fußballweltmeister gewesen sein.

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Doch diese Details sind unwichtig; es geht nicht so sehr um Wahrheit, als vielmehr um Wahrnehmung. Levers Buch ist ein einzigartiges Dokument, wenn man verstehen will, wie die Briten Europa erleben.

Eigentlich, so der Tenor, benötigen die Briten die EU gar nicht. Sie sei letztlich ein kontinentaleuropäisches Projekt, das 1957 von Verlierern des Zweiten Weltkriegs gegründet wurde. „Alle sechs Gründerstaaten hatten Besetzung und Zerstörung in der Zeit von 1939 bis 1945 erlebt. In allen diesen Ländern herrschte das Gefühl vor, dass ihre Regierung versagt hatte und dass eine neue politische Ordnung nötig ist.“ Wie anders war es dagegen in Großbritannien: „Unsere demokratischen Institutionen hatten nicht versagt, unsere politischen Führer hatten uns nicht verraten, unser Selbstwertgefühl war nicht zerstört. Im Gegenteil: Wir waren stolz, wie wir durchgehalten hatten, und wir empfanden, dass wir unseren Sieg verdient hatten. Es war tatsächlich unsere beste Zeit.“

Die Briten besannen sich zwar und wollten 1961 nun doch in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eintreten, wie die EU damals hieß. Aber damit begann eine lange Reihe von Verletzungen, die manchmal echt und manchmal eingebildet waren. Erste Demütigung: Die Franzosen legten ihr Veto ein, sodass sich der Beitritt Großbritanniens bis 1973 verzögerte.

Traumatisch war auch das Jahr 1992, als die Briten aus dem Europäischen Währungssystem ausscheiden mussten. Denn Deutschland verweigerte jede Hilfe, als Hedgefonds-Manager George Soros eine Spekulationswelle gegen das Pfund lostrat – was ihm selbst einen Gewinn von mindestens einer Milliarde Dollar einbrachte.

Quelle     :    TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen   :

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Description
Deutsch: Die Publizistin Ulrike Herrmann 2016 bei einem Vortrag zum Thema Vom Anfang und Ende des Kapitalismus im Club W71, Weikersheim.
Date
Source Own work
Author Schorle

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Unten   —    Panama Papers illustration

 

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