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RENTENANGST

Das Briefgeheimnis

Erstellt von Redaktion am Dienstag 4. Oktober 2022

Strobl vor dem Untersuchungsausschuss

Und nun im Chor weiter singen

Von Johanna Henkel Waidhofer

Nur Thomas Strobl selber könnte Licht ins Dunkel bringen. Dann allerdings müsste er vor dem Untersuchungsausschuss maximal transparent auspacken, was ihn wirklich geritten hat, das inzwischen berüchtigte Anwaltsschreiben an einen einzigen Journalisten weiterzuleiten. Stattdessen verstrickt sich der Innenminister in widersprüchliche Geschichten.

Es gibt einiges, das für den 62-Jährigen spricht an diesem denkwürdigen Freitag, dem 23. September, der bis Samstag dauert. 15 Stunden lang stellt sich der stellvertretende Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende den vielen Fragen, vor allem von SPD und FDP. Nur selten wird er ungehalten, und nur einmal – irgendwann nach Mitternacht – verlangt er von sich aus nach einer Pause, um in seinem Gedächtnis zu kramen und, einen Leitz-Ordner unterm Arm, den Plenarsaal im Landtag kurz zu verlassen. Der ist selbst um diese Uhrzeit einigermaßen gut besetzt, mit den Abgeordneten und deren Mitarbeiter:innen ohnehin, aber auch mit etlichen Medienleuten.

Immer wieder hatte sich Thomas Strobl da schon bemüht zu vermitteln, wie ernst es ihm mit der Aufklärung sexueller Übergriffe sei. Die sind – gemeinsam mit einer zweifelhaften Beförderungspraxis und dem Eigenleben in der Polizeispitze – eigentlich Hauptthemen in dem Gremium. Mehrfach appelliert er an Betroffene sich zu melden: „Menschenskinder, nehmt die Hilfe an, wir wollen das Dunkelfeld erhellen.“ Wortreich schildert er den unangefochtenen, auch von ihm gewollten Aufstieg von Andreas Renner zum Inspekteur der Polizei (IdP). „Große Stücke“ habe er auf ihn gehalten in der Überzeugung, „dass er die optimale Besetzung für die Zukunft der Landespolizei ist“. Entsprechend enttäuscht sei er gewesen, als vor zehn Monaten die Vorwürfe gegen Renner publik wurden.

Das war am 22. November 2021. Warum das Innenministerium zwar ein Disziplinarverfahren einleitete, aber sofort wieder aussetzte, obwohl die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen da noch gar nicht aufgenommen worden waren, zählt zu den noch immer unaufgeklärten Ungereimtheiten in der ganzen Affäre. Auch deshalb muss der Zeuge entgegen ursprünglicher Planungen im Oktober noch einmal aussagen – vor allem in nichtöffentlicher Sitzung, weil ihm die Opposition Akten vorhalten will, aus denen öffentlich nicht zitiert werden darf.

Strobl elektrisiert und in Alarmstimmung

Was allerdings längst nicht der einzige Grund ist. Gerade die Brief-Affäre drängt ebenfalls immer wieder aus den Kulissen. Die Widersprüche sind evident. Einerseits will Strobl „elektrisiert“ und in „Alarmstimmung“ gewesen sein, als das Schreiben von Renners Anwalt am 23. Dezember auf seinen Tisch kam. Andererseits hat er sich in den Wochen danach nicht mehr interessiert für den Gang der Dinge. Bezweifelt werden darf dazu, dass er von sich aus überhaupt die Übergabe an den Journalisten Franz Feyder von der  „Stuttgarter Nachrichten“ (StN) bekannt hätte, wäre dies nicht – aparterweise durch die verschwisterte „Stuttgarter Zeitung“ (StZ) – öffentlich geworden und er Anfang Mai vor den Innenausschuss gerufen worden.

Details aus dem inzwischen als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Papier müssen hinter verschlossenen Türen bleiben. Aus der Berichterstattung der StN ist aber bekannt, dass es „brisant wird in der Mitte der zweiten Seite“. Dort versichere der Jurist, es dürfe im Namen seines Mandanten bei dieser Gelegenheit ausdrücklich die Bereitschaft zum persönlichen Gespräch betont werden, was vorliegend der Sache eher dienlich sein dürfte und im allseitigen Interesse zielführender sein könne als eine unvermittelte Rechtswegbeschreitung, weshalb eine solche für den Mandanten einzuleiten einstweilen zurückgestellt worden sei. „Was der 50 Worte umfassende Satz eigentlich aussagt“, heißt es in den StN weiter: „Redet mit mir, einigt euch mit mir oder es gibt eine Schlammschlacht.“

Jede Sekunde, so der Zeuge Strobl einigermaßen dramatisch, habe er an diesem Tag vor dem Heiligen Abend mit dem Bekanntwerden dieses Ansinnens rechnen müssen. Jedenfalls sei „unmittelbar Handlungsbedarf“ entstanden. Da kam ihm das Telefoninterview mit dem StN-Mann nachmittags in einer Schalte, an der auch die Mitarbeiter:innen der Pressestelle beteiligt waren, gerade recht. Es ging um Cyberkriminalität. Danach sei man noch auf die Causa Renner zu sprechen gekommen. Und dann wird die Aussage unter dem Stichwort Wahrheitspflicht so richtig spannend. Denn Strobl weiß „so präzise“ nicht mehr, wer von beiden als erster den Brief erwähnt hat.

Sollte er aber, nicht nur weil es prinzipiell erfreulich ist, wenn Regierungsmitglieder auf ihr gutes Gedächtnis bauen können. Erst recht, wenn es um Ereignisse geht, die, wie der Zeuge an anderer Stelle sagt, einmalig waren in seinen fünf Ministerjahren. Vor allem aber hat er – privat mandatiert und aus eigener Schatulle bezahlt – beim Medienrechtler Christian Schertz ein Gutachten in Auftrag gegeben. Der Berliner sollte die Weitergabe des Anwaltsschreibens „grundsätzlich und ganzheitlich bewerten“ und kam dabei zu einem für seinen Auftraggeber höchst günstigen Befund: hundert Prozent Entlastung. Nur leider hatte Strobl, ganz offensichtlich, dem renommierten Juristen eine etwas andere Geschichte erzählt als zuvor im Innenausschuss und jetzt den Abgeordneten im Untersuchungsausschuss.

Den Innenminister lässt sein Gedächtnis im Stich

Denn nach Schertz ist mit der Weitergabe des Briefs „dem Ansinnen eines Journalisten entsprochen worden“. Die Argumente dafür sind die Pressefreiheit und das Informationsfreiheitsgesetz. Nicht im Ansatz könne er erkennen und verstehen, so Schertz auf der Pressekonferenz zur Präsentation seiner Schlüsse, wie es zu einer Affäre habe kommen können. Vielmehr sei das Ganze „zu einem Skandal oder einer Affäre hochgejazzt“ worden. Für sich nimmt er den Versuch in Anspruch, sich „unvoreingenommen und neutral“ dem Sachverhalt zu nähern, „denn ich stehe mit Wort und Namen für meine Einschätzung“.

Der Innenminister steht seit Freitagabend mit Wort und Namen für etwas anderes. Denn inzwischen – immerhin sind seit dem Freispruch erster Klasse durch seinen Rechtsbeistand fast vier Monate ins Land gegangen – lässt ihn sein Gedächtnis im Stich: Entweder von ihm selbst oder von dem Journalisten könne der Brief angesprochen worden sein. Er könne „aus der Erinnerung beantworten, dass ich ihm gesagt habe: Wenn Sie das habe wollen, dann schicken wir Ihnen das“. Gesagt, getan, mit der Folge, dass gegen den Mitarbeiter im Haus an der Willy-Brandt-Straße, der den ministeriellen Auftrag ausführte, ebenfalls ein derzeit ruhendes Disziplinarverfahren läuft. Aber auch dazu kann Strobl in öffentlicher Sitzung nicht aussagen.

Quelle         :         KONTEXT: Wochenzeitung-online

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Grafikquellen       :

Oben      —      Serie: Regionalkonferenz der CDU Baden-Württemberg am 21. November 2014 in Appenweier zur Vorstellung der Bewerber für die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2016 Bild: Thomas Strobl

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